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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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erwähne ich nur die drei schlimmsten und gefährlichsten: Das Schmauch-, das
Wasser- und das Staupenspiel. Bei dem ersten wurden die Betreffenden von
den älteren Angehörigen der Colonie an Stricken unter der Dachluke des
Schütting aufgehangen, welche für den Durchlaß des Rauches bestimmt war.
Dann zündet man unter ihnen Hausen von Haaren und andern bei der Ver¬
brennung übelriechenden Stoffen an, deren Qualm zu ihnen hinaufstieg, wäh¬
rend man ihnen eine Anzahl Fragen vorlegte, um sie zum Oeffnen des Mun¬
des und zu reichlichem Einschlucken des stinkenden Rauches zu nöthigen. Nach
vollendeter Prüfung wurden die Gepeinigten -- wenn sie nicht inzwischen er¬
stickt waren, was zuweilen geschah -- in den Hof geführt und tüchtig mit
Wasser getauft. Das Wasserspiel fand um Pfingsten statt und bestand darin,
daß die Lehrlinge des Comptoirs zu Schiffe gebracht, entkleidet und dreimal
in die See getaucht wurden, worauf man sie mit Ruthen peitschte. Auch hier¬
bei sollen Tödtungen vorgekommen sein. Das dritte Spiel folgte ein paar
Tage später. Der Schütting wurde, während die Lehrlinge in den nächsten
Wald geschickt wurden, um den Maienschmuck und zugleich die Ruthen zu
ihrer eignen Stäupung zu holen, festlich hergerichtet und namentlich die eine
Ecke mit Teppichen verhangen und dadurch in das "Paradies" verwandelt.
Am nächsten Morgen zog man vom Comptoir in großer Procession paarweise
nach einem Garten vor dem Thore. Die jüngeren Hauswirthe führten den
Zug in schwarzen Mänteln, den Degen an der Seite. Hinter ihnen schritten
Trompeter her, die wacker das Kalbfell rührten. Nebenher liefen Masken,
ein Narr, ein norwegischer Bauer, ein Bauerweib u. a., welche dem Volke
das Spiel erklärten und rühmten, die Leute neckten, sie mit Wasser begossen
und mit Kuhschwänzen Hiebe austheilten -- Possen, die sich bei der Rückkehr
des Zuges wiederholten. Im Schütting angekommen, wo sich inzwischen auch
die Lehrlinge eingefunden hatten, hörte die Gesellschaft zunächst eine Rede
an, in der einer der älteren Hauswirthe die Lehrlinge zu Ordnung, Fleiß und
Treue ermahnte, sie vor Trunkenheit und Schlägerei warnte und mit den
Worten schloß, wer sich das Spiel im weiteren Verlaufe nicht auszuhalten ge¬
traue, der könne noch zurücktreten. Mittags gab es dann einen Schmaus,
bei dem die Lehrlinge aufzuwarten hatten. Am Schlüsse desselben wurde der
Narr infolge eines fingirten Streites mit seinem Herrn zuerst in das Para¬
dies geschickt, worauf die Lehrlinge ein Mahl erhielten, bei dem man sie be¬
trunken machte, und nach welchem sie einer nach dem andern vom Narren in
das Paradies abgeholt wurden. Jeder von ihnen mußte sich die Beinkleider
aufknüpfen und dann unter dem Teppichvorhange durch auf Händen und
Knieen in diesen abgesperrten Raum und dort mit dem Kopfe in einen ihm
vorgehaltenen Sack kriechen, worauf ihm vier starke Gesellen das entblößte
entgegengesetzte Ende mit Ruthen bearbeiteten, bis das Blut floß. Damit man


erwähne ich nur die drei schlimmsten und gefährlichsten: Das Schmauch-, das
Wasser- und das Staupenspiel. Bei dem ersten wurden die Betreffenden von
den älteren Angehörigen der Colonie an Stricken unter der Dachluke des
Schütting aufgehangen, welche für den Durchlaß des Rauches bestimmt war.
Dann zündet man unter ihnen Hausen von Haaren und andern bei der Ver¬
brennung übelriechenden Stoffen an, deren Qualm zu ihnen hinaufstieg, wäh¬
rend man ihnen eine Anzahl Fragen vorlegte, um sie zum Oeffnen des Mun¬
des und zu reichlichem Einschlucken des stinkenden Rauches zu nöthigen. Nach
vollendeter Prüfung wurden die Gepeinigten — wenn sie nicht inzwischen er¬
stickt waren, was zuweilen geschah — in den Hof geführt und tüchtig mit
Wasser getauft. Das Wasserspiel fand um Pfingsten statt und bestand darin,
daß die Lehrlinge des Comptoirs zu Schiffe gebracht, entkleidet und dreimal
in die See getaucht wurden, worauf man sie mit Ruthen peitschte. Auch hier¬
bei sollen Tödtungen vorgekommen sein. Das dritte Spiel folgte ein paar
Tage später. Der Schütting wurde, während die Lehrlinge in den nächsten
Wald geschickt wurden, um den Maienschmuck und zugleich die Ruthen zu
ihrer eignen Stäupung zu holen, festlich hergerichtet und namentlich die eine
Ecke mit Teppichen verhangen und dadurch in das „Paradies" verwandelt.
Am nächsten Morgen zog man vom Comptoir in großer Procession paarweise
nach einem Garten vor dem Thore. Die jüngeren Hauswirthe führten den
Zug in schwarzen Mänteln, den Degen an der Seite. Hinter ihnen schritten
Trompeter her, die wacker das Kalbfell rührten. Nebenher liefen Masken,
ein Narr, ein norwegischer Bauer, ein Bauerweib u. a., welche dem Volke
das Spiel erklärten und rühmten, die Leute neckten, sie mit Wasser begossen
und mit Kuhschwänzen Hiebe austheilten — Possen, die sich bei der Rückkehr
des Zuges wiederholten. Im Schütting angekommen, wo sich inzwischen auch
die Lehrlinge eingefunden hatten, hörte die Gesellschaft zunächst eine Rede
an, in der einer der älteren Hauswirthe die Lehrlinge zu Ordnung, Fleiß und
Treue ermahnte, sie vor Trunkenheit und Schlägerei warnte und mit den
Worten schloß, wer sich das Spiel im weiteren Verlaufe nicht auszuhalten ge¬
traue, der könne noch zurücktreten. Mittags gab es dann einen Schmaus,
bei dem die Lehrlinge aufzuwarten hatten. Am Schlüsse desselben wurde der
Narr infolge eines fingirten Streites mit seinem Herrn zuerst in das Para¬
dies geschickt, worauf die Lehrlinge ein Mahl erhielten, bei dem man sie be¬
trunken machte, und nach welchem sie einer nach dem andern vom Narren in
das Paradies abgeholt wurden. Jeder von ihnen mußte sich die Beinkleider
aufknüpfen und dann unter dem Teppichvorhange durch auf Händen und
Knieen in diesen abgesperrten Raum und dort mit dem Kopfe in einen ihm
vorgehaltenen Sack kriechen, worauf ihm vier starke Gesellen das entblößte
entgegengesetzte Ende mit Ruthen bearbeiteten, bis das Blut floß. Damit man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/100>, abgerufen am 29.06.2024.