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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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welchem Meister die Herberge ist, so wird er Dir sagen, daß sie in der oder
jener Gasse ist" ....

War der Unterricht vollendet, so sagte der Schleifpfaffe zum Ziegenschurz:
"Nun, so stehe auf, kehre Dich dreimal um und sprich mir nach: Glück her¬
ein! Gott ehr' ein ehrsam Handwerk. Meister und Gesellen, da Schleife ich,
N. N., ein ehrlicher Geselle, den N. zu einem ehrlichen Gesellen zum dritten
Male. Nun, ihr Gesellen alle, gehet hinaus, holet die Schrauben herein,
damit ich ihn zu einem Ohr einschlage, zum andern wieder raus."

Und nun folgte der Schlußaet der Ceremonie. Der Schleifpfaffe wandte
sich vom Ziegenschurz wieder an die Versammlung und sprach:

"Ich sage mit Gunst, Meister und Gesellen, daß ich mag von dem Tisch
heruntersteigen, daß ich Macht habe, den Schemel vom Tische zu nehmen, und
daß ich den Schemel mag auf die Achsel heben. Ich sage mit Gunst, Meister
und Gesellen, daß ich Macht habe, die Anfrage zu thun. Derohalben frage
ich zum ersten Male, so etwan ein Meister oder Geselle da wäre, der es wüßte,
daß ich in diesem Schleifen ein Wort oder etliche möchte verfehlt haben, der
wolle aufstehen, vor den Tisch treten und solches anmelden, hernach aber stille
.schweigen. Es ist ungefragt zum ersten Male."

Mit ähnlichen Worten fragte der Redner noch zwei Mal, dann bat er
-- natürlich "mit Gunst" -- abtreten zu dürfen, und wenn er wieder herein¬
kam, sprach er:

"Guten Tag! Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk, Meister
und Gesellen. Ich sage mit Gunst: vorhin habe ich mit hereingebracht einen
Ziegenschurz, einen Reifenmörder, einen Holzverderber, einen Pflastertreter,
einen Meister- und Gesellenverräther; ich hoffe, jetzund werde ich hereinbringen
einen ehrlichen Gesellen. Ist etwa Einer oder der Andere da, der besser ge¬
schliffen ist als dieser, so wollen wir sie mit einander unter die Bank stecken
und wieder hervorziehen, damit sie alle beide gut geschliffen werden.

Hiermit wünsche ich Dir Glück und Segen zu Deinem Gesellenstand und
auf Deine Wanderschaft. Gott helfe, daß Dir's wohl gehe zu Wasser und
zu Land, und wo Du heute oder morgen mögest hinkommen, da Handwerks¬
gewohnheit nicht ist, so hilf sie aufrichten. Hast Du nicht Geld, so nimm
Geldeswerth. Hilf Handwerksgewohnheit stärken und nicht schwächen, hilf
eher zehn ehrlich machen, als einen unehrlich. Wo es aber nicht sein kann,
so nimm den Bündel und lauf davon."

Hierauf mußte der neue Geselle auf die Gasse laufen und Feuer schreien.
Die andern Gesellen kamen dann und begossen ihn mit Wasser. War er
wieder einigermaßen trocken, so ging es zum Schmause. Dabei wurde ihm
der oberste Platz eingeräumt, ihm ein Kranz aufgesetzt und seine Gesundheit
getrunken.


Grenzboten lit. 187S. 12

welchem Meister die Herberge ist, so wird er Dir sagen, daß sie in der oder
jener Gasse ist" ....

War der Unterricht vollendet, so sagte der Schleifpfaffe zum Ziegenschurz:
„Nun, so stehe auf, kehre Dich dreimal um und sprich mir nach: Glück her¬
ein! Gott ehr' ein ehrsam Handwerk. Meister und Gesellen, da Schleife ich,
N. N., ein ehrlicher Geselle, den N. zu einem ehrlichen Gesellen zum dritten
Male. Nun, ihr Gesellen alle, gehet hinaus, holet die Schrauben herein,
damit ich ihn zu einem Ohr einschlage, zum andern wieder raus."

Und nun folgte der Schlußaet der Ceremonie. Der Schleifpfaffe wandte
sich vom Ziegenschurz wieder an die Versammlung und sprach:

„Ich sage mit Gunst, Meister und Gesellen, daß ich mag von dem Tisch
heruntersteigen, daß ich Macht habe, den Schemel vom Tische zu nehmen, und
daß ich den Schemel mag auf die Achsel heben. Ich sage mit Gunst, Meister
und Gesellen, daß ich Macht habe, die Anfrage zu thun. Derohalben frage
ich zum ersten Male, so etwan ein Meister oder Geselle da wäre, der es wüßte,
daß ich in diesem Schleifen ein Wort oder etliche möchte verfehlt haben, der
wolle aufstehen, vor den Tisch treten und solches anmelden, hernach aber stille
.schweigen. Es ist ungefragt zum ersten Male."

Mit ähnlichen Worten fragte der Redner noch zwei Mal, dann bat er
— natürlich „mit Gunst" — abtreten zu dürfen, und wenn er wieder herein¬
kam, sprach er:

„Guten Tag! Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk, Meister
und Gesellen. Ich sage mit Gunst: vorhin habe ich mit hereingebracht einen
Ziegenschurz, einen Reifenmörder, einen Holzverderber, einen Pflastertreter,
einen Meister- und Gesellenverräther; ich hoffe, jetzund werde ich hereinbringen
einen ehrlichen Gesellen. Ist etwa Einer oder der Andere da, der besser ge¬
schliffen ist als dieser, so wollen wir sie mit einander unter die Bank stecken
und wieder hervorziehen, damit sie alle beide gut geschliffen werden.

Hiermit wünsche ich Dir Glück und Segen zu Deinem Gesellenstand und
auf Deine Wanderschaft. Gott helfe, daß Dir's wohl gehe zu Wasser und
zu Land, und wo Du heute oder morgen mögest hinkommen, da Handwerks¬
gewohnheit nicht ist, so hilf sie aufrichten. Hast Du nicht Geld, so nimm
Geldeswerth. Hilf Handwerksgewohnheit stärken und nicht schwächen, hilf
eher zehn ehrlich machen, als einen unehrlich. Wo es aber nicht sein kann,
so nimm den Bündel und lauf davon."

Hierauf mußte der neue Geselle auf die Gasse laufen und Feuer schreien.
Die andern Gesellen kamen dann und begossen ihn mit Wasser. War er
wieder einigermaßen trocken, so ging es zum Schmause. Dabei wurde ihm
der oberste Platz eingeräumt, ihm ein Kranz aufgesetzt und seine Gesundheit
getrunken.


Grenzboten lit. 187S. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/97>, abgerufen am 29.06.2024.