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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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ziemlich grausam waren. Bei den Tischlern war die Ceremonie des Hänselns
eine Darstellung des Verfahrens bei der Umgestaltung des Rohstoffes in ein
Arbeitsproduct. Der Jünger, der hier den anmuthigen Spitznamen "Kuh¬
schwanz" führte, wurde auf eine Bank gelegt und zunächst bedankt, beschnitten
und behobelt, worauf dem Altgesellen von dem anwesenden Meister befohlen
wurde, aus dem Behobelten eine Säule zu machen. Der Altgesell riß diese
Säule auf dem Leibe des Kuhschwanzes mit einem Holzzirkel auf, dessen eine
Spitze in einen mit schwarzer Farbe gefüllten Pinsel auslief. Der Meister
erklärte diese Säule für mißlungen, und darauf überstrich der Altgeselle dem
Jünger das Gesicht mit Ruß. Bei den Messerschmieden bekam der Aufzu¬
nehmende unter Anderm vom Herbergsvater ein paar Ohrfeigen, wozu dieser
sagte: "Das leide von mir; wenn dir aber ein Anderer eine giebt, so wehre
dich." Bei den Beutlern, wo der Bewerber um die Gesellenwürde mit einem
Strohkranz auf dem Kopfe und Kniebändern von Stroh zu erscheinen hatte,
wurde derselbe am Schlüsse der Ceremonie durch einen Barbier bearbeitet, der
ihn mit einem Hakmesser abschabte, ihn mit einem Ziegelsteine berieb und
dann mit Staub puderte, worauf ihm "der böse Zahn" ausgerissen und in
den mit einem Löffel offengehaltnen Mund ein rohes El geworfen wurde,
welches "der Zahn der Weisheit" hieß.

Mehr hierüber findet man in der Schrift "das deutsche Handwerk" von
F. W. Stahl, der ich im Obigen auszugsweise gefolgt bin.°")

In der ältesten Zeit nannte man die Aufnahme in die Gesellenschaft
die "Taufe" und den, welcher sie an dem Jünger vollzog, den "Pfaffen",
neben dem noch "Pathen" und ein "Glöckner" fungirten. Diese erschienen
in feierlichem Aufzuge in der Herberge, voran der Pfaffe mit Meßbuch und
Weihwedel, dann die Pathen mit dem Jünger, zuletzt der Glöckner, der seine
Glocke schwang, und sangen "I^nates vonüuum". Als diese Profanirung
kirchlicher Gebräuche Anstoß erregte, richteten die Gesellen sich anders ein.
Die Taufe wurde bei den Tischlern zum "Hobeln", bei den Schmieden zum
"Feuer anblasen", bei den Gerbern zum "Einweichen", bei den Böttchern zum
"Schleifen", der Pfaffe verwandelte sich in einen "Hobel"- oder Schleif¬
gesellen", die Pathen hießen fortan "Zeugen" oder, wie bei den Böttchern,
"Schleifgöttinnen". Der Jünger führte während der Hänselung einen beson¬
dern Namen. Bei den Weißgerbern hieß er der "Jude", bei den Tischlern,
wie bemerkt, der "Kuhschwanz" oder auch der "Schlüssel", bei den Böttchern
der "Ziegenschurz". Am Schlüsse der Ceremonie aber empfing er einen
andern Namen, den Gesellennamen, bei dem er fortan allein genannt wer¬
den durfte.



') Dieselbe ist 1874 in Gießen, bei Ricker erschienen.

ziemlich grausam waren. Bei den Tischlern war die Ceremonie des Hänselns
eine Darstellung des Verfahrens bei der Umgestaltung des Rohstoffes in ein
Arbeitsproduct. Der Jünger, der hier den anmuthigen Spitznamen „Kuh¬
schwanz" führte, wurde auf eine Bank gelegt und zunächst bedankt, beschnitten
und behobelt, worauf dem Altgesellen von dem anwesenden Meister befohlen
wurde, aus dem Behobelten eine Säule zu machen. Der Altgesell riß diese
Säule auf dem Leibe des Kuhschwanzes mit einem Holzzirkel auf, dessen eine
Spitze in einen mit schwarzer Farbe gefüllten Pinsel auslief. Der Meister
erklärte diese Säule für mißlungen, und darauf überstrich der Altgeselle dem
Jünger das Gesicht mit Ruß. Bei den Messerschmieden bekam der Aufzu¬
nehmende unter Anderm vom Herbergsvater ein paar Ohrfeigen, wozu dieser
sagte: „Das leide von mir; wenn dir aber ein Anderer eine giebt, so wehre
dich." Bei den Beutlern, wo der Bewerber um die Gesellenwürde mit einem
Strohkranz auf dem Kopfe und Kniebändern von Stroh zu erscheinen hatte,
wurde derselbe am Schlüsse der Ceremonie durch einen Barbier bearbeitet, der
ihn mit einem Hakmesser abschabte, ihn mit einem Ziegelsteine berieb und
dann mit Staub puderte, worauf ihm „der böse Zahn" ausgerissen und in
den mit einem Löffel offengehaltnen Mund ein rohes El geworfen wurde,
welches „der Zahn der Weisheit" hieß.

Mehr hierüber findet man in der Schrift „das deutsche Handwerk" von
F. W. Stahl, der ich im Obigen auszugsweise gefolgt bin.°")

In der ältesten Zeit nannte man die Aufnahme in die Gesellenschaft
die „Taufe" und den, welcher sie an dem Jünger vollzog, den „Pfaffen",
neben dem noch „Pathen" und ein „Glöckner" fungirten. Diese erschienen
in feierlichem Aufzuge in der Herberge, voran der Pfaffe mit Meßbuch und
Weihwedel, dann die Pathen mit dem Jünger, zuletzt der Glöckner, der seine
Glocke schwang, und sangen „I^nates vonüuum". Als diese Profanirung
kirchlicher Gebräuche Anstoß erregte, richteten die Gesellen sich anders ein.
Die Taufe wurde bei den Tischlern zum „Hobeln", bei den Schmieden zum
„Feuer anblasen", bei den Gerbern zum „Einweichen", bei den Böttchern zum
„Schleifen", der Pfaffe verwandelte sich in einen „Hobel"- oder Schleif¬
gesellen", die Pathen hießen fortan „Zeugen" oder, wie bei den Böttchern,
„Schleifgöttinnen". Der Jünger führte während der Hänselung einen beson¬
dern Namen. Bei den Weißgerbern hieß er der „Jude", bei den Tischlern,
wie bemerkt, der „Kuhschwanz" oder auch der „Schlüssel", bei den Böttchern
der „Ziegenschurz". Am Schlüsse der Ceremonie aber empfing er einen
andern Namen, den Gesellennamen, bei dem er fortan allein genannt wer¬
den durfte.



') Dieselbe ist 1874 in Gießen, bei Ricker erschienen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/90>, abgerufen am 29.06.2024.