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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Wie Gelten Iiegenschmz Hesess wurde.
Von Moritz Busch.

Wenn in der alten Zeit der Lehrling in einer deutschen Innung gehörig
ausgelernt hatte, so wurde er vor den Zunftmeister gebracht und von diesem
vor offner Lade im Namen des Handwerks feierlich "frei- und losgesprochen."
Er war damit aus einem "Jungen" zum "Jünger" geworden. "Gesell"
wurde er erst durch eine zweite feierliche Handlung, die bei den verschiedenen
Gewerken verschiedene Namen führte und, wie ich weiter unten auszuführen
gedenke, auch bei andern Berufsarten üblich war. Der Jünger wurde "ge¬
hänselt", "getauft", "geschliffen", "gehobelt" oder "gedreht", und zwar geschah
dies in der Versammlung der Gesellen, denen jener zu diesem Zwecke gewöhn¬
lich von zwei Meistern zugeführt wurde, durch den Altgesellen.

Zweck dieser Ceremonie war Unterrichtung des angehenden Gesellen in
den Bräuchen seiner Zunft, die er wissen mußte, wenn er in die Fremde ging.

Die Unterweisung geschah vermittelst einer stereotypen Rede, deren
Hauptstellen dem Betreffenden durch gewisse Handgreiflichkeiten, Zupfen an
den Haaren, Schläge mit Ruthen oder Löffeln, Backenstreiche u. d. einge¬
prägt wurden.

Bei manchen Handwerken kam hierzu noch eine Prüfung. Bei den Beut¬
lern mußte der Jünger Handschuh und Strümpfe mit Kohle auf den Tisch
zeichnen, und versah er sich dabei, so hatte er die Zeichnung auszulöschen,
wobei man ihm mit Ruthen auf die Finger schlug. Bei den Buchbindern
mußte er alle Handgriffe, die zum Einbinden eines Buches erforderlich sind,
nach bestimmter Formel aufzählen, während er auf einem Klötzchen, dem
"Arbeitsholze", saß. Die Gesellen nahmen ihm dies oft im Verlauf seiner
Rede weg und warfen es auf die Straße, von wo er es zurückzuholen und
dann genau da fortzufahren hatte, wo er stehen geblieben war. Vermochte
er das nicht, so erhielt er von dem ihn Prüfenden mit einem Rührlöffel einen
Schlag auf die Hand.

Dazu traten ferner bei einigen Zünften verschiedene mehr oder minder
symbolische Handlungen und häufig auch reine Neckereien, die bisweilen


Grenzboten III. 1875. 11
Wie Gelten Iiegenschmz Hesess wurde.
Von Moritz Busch.

Wenn in der alten Zeit der Lehrling in einer deutschen Innung gehörig
ausgelernt hatte, so wurde er vor den Zunftmeister gebracht und von diesem
vor offner Lade im Namen des Handwerks feierlich „frei- und losgesprochen."
Er war damit aus einem „Jungen" zum „Jünger" geworden. „Gesell"
wurde er erst durch eine zweite feierliche Handlung, die bei den verschiedenen
Gewerken verschiedene Namen führte und, wie ich weiter unten auszuführen
gedenke, auch bei andern Berufsarten üblich war. Der Jünger wurde „ge¬
hänselt", „getauft", „geschliffen", „gehobelt" oder „gedreht", und zwar geschah
dies in der Versammlung der Gesellen, denen jener zu diesem Zwecke gewöhn¬
lich von zwei Meistern zugeführt wurde, durch den Altgesellen.

Zweck dieser Ceremonie war Unterrichtung des angehenden Gesellen in
den Bräuchen seiner Zunft, die er wissen mußte, wenn er in die Fremde ging.

Die Unterweisung geschah vermittelst einer stereotypen Rede, deren
Hauptstellen dem Betreffenden durch gewisse Handgreiflichkeiten, Zupfen an
den Haaren, Schläge mit Ruthen oder Löffeln, Backenstreiche u. d. einge¬
prägt wurden.

Bei manchen Handwerken kam hierzu noch eine Prüfung. Bei den Beut¬
lern mußte der Jünger Handschuh und Strümpfe mit Kohle auf den Tisch
zeichnen, und versah er sich dabei, so hatte er die Zeichnung auszulöschen,
wobei man ihm mit Ruthen auf die Finger schlug. Bei den Buchbindern
mußte er alle Handgriffe, die zum Einbinden eines Buches erforderlich sind,
nach bestimmter Formel aufzählen, während er auf einem Klötzchen, dem
„Arbeitsholze", saß. Die Gesellen nahmen ihm dies oft im Verlauf seiner
Rede weg und warfen es auf die Straße, von wo er es zurückzuholen und
dann genau da fortzufahren hatte, wo er stehen geblieben war. Vermochte
er das nicht, so erhielt er von dem ihn Prüfenden mit einem Rührlöffel einen
Schlag auf die Hand.

Dazu traten ferner bei einigen Zünften verschiedene mehr oder minder
symbolische Handlungen und häufig auch reine Neckereien, die bisweilen


Grenzboten III. 1875. 11
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[0089] Wie Gelten Iiegenschmz Hesess wurde. Von Moritz Busch. Wenn in der alten Zeit der Lehrling in einer deutschen Innung gehörig ausgelernt hatte, so wurde er vor den Zunftmeister gebracht und von diesem vor offner Lade im Namen des Handwerks feierlich „frei- und losgesprochen." Er war damit aus einem „Jungen" zum „Jünger" geworden. „Gesell" wurde er erst durch eine zweite feierliche Handlung, die bei den verschiedenen Gewerken verschiedene Namen führte und, wie ich weiter unten auszuführen gedenke, auch bei andern Berufsarten üblich war. Der Jünger wurde „ge¬ hänselt", „getauft", „geschliffen", „gehobelt" oder „gedreht", und zwar geschah dies in der Versammlung der Gesellen, denen jener zu diesem Zwecke gewöhn¬ lich von zwei Meistern zugeführt wurde, durch den Altgesellen. Zweck dieser Ceremonie war Unterrichtung des angehenden Gesellen in den Bräuchen seiner Zunft, die er wissen mußte, wenn er in die Fremde ging. Die Unterweisung geschah vermittelst einer stereotypen Rede, deren Hauptstellen dem Betreffenden durch gewisse Handgreiflichkeiten, Zupfen an den Haaren, Schläge mit Ruthen oder Löffeln, Backenstreiche u. d. einge¬ prägt wurden. Bei manchen Handwerken kam hierzu noch eine Prüfung. Bei den Beut¬ lern mußte der Jünger Handschuh und Strümpfe mit Kohle auf den Tisch zeichnen, und versah er sich dabei, so hatte er die Zeichnung auszulöschen, wobei man ihm mit Ruthen auf die Finger schlug. Bei den Buchbindern mußte er alle Handgriffe, die zum Einbinden eines Buches erforderlich sind, nach bestimmter Formel aufzählen, während er auf einem Klötzchen, dem „Arbeitsholze", saß. Die Gesellen nahmen ihm dies oft im Verlauf seiner Rede weg und warfen es auf die Straße, von wo er es zurückzuholen und dann genau da fortzufahren hatte, wo er stehen geblieben war. Vermochte er das nicht, so erhielt er von dem ihn Prüfenden mit einem Rührlöffel einen Schlag auf die Hand. Dazu traten ferner bei einigen Zünften verschiedene mehr oder minder symbolische Handlungen und häufig auch reine Neckereien, die bisweilen Grenzboten III. 1875. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/89>, abgerufen am 29.06.2024.