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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Hauptstraße, von der die Nebengassen auslaufen und die in ihrem breitesten
Theile den "Ring" bildet mit dem Rathaus, die Bogengänge (hier "Bor¬
leben") vor den Häusern, oft noch die alten Festungsmauern oder auf hohem
Berge die Ruinen einer festen Burg.

Aber mögen auch die Deutschen Ober-Ungarns und der Zips im beson¬
deren an Zahl sehr zusammengeschwunden, mag ihre wirthschaftliche Bedeutung
zurückgegangen sein, ihre deutsche Tüchtigkeit, ihr gutes Schulwesen, ihren
behaglich breiten Dialekt und ihre Volkslieder haben sie bewahrt und sie
sind deshalb ein sehr wichtiges Culturelement in Ungarn geworden, um so
mehr, als sie sich der ungarischen Staatsidee mit Begeisterung, leider oft
selbst mit Verleugnung des eignen Volksthums angeschlossen haben. Als
Kaufleute und Beamte sind sie überall in Ungarn zu finden; wo irgend
eine gescheidte liberale Idee auftaucht, da steckt, meint Löser, meist ein
Zipser dahinter.

Ueberhaupt aber ist die Bedeutung des deutschen Elements für Ungarn
kaum zu überschätzen. Seine geschlossenen Niederlassungen haben Ungarn die
einzigen wirklichen Städte, d. H.Cultur gegeben und geben sie ihm noch. Und
so eifrig gegenwärtig magyarisirt wird, so viele Deutsche sich auch den Magy¬
aren angeschlossen haben, ja in sie aufgegangen sind, wie jener Zipser Schedel,
der als Toldy der Begründer der magyarischen Literaturgeschichte geworden ist,
eben culturelle Ueberlegenheit der Deutschen fordert noch gegenwärtig ihre
Ausbreitung, vielleicht sogar mehr als früher, allerdings in anderer Form.
Denn nicht in geschlossenen Gemeinden lassen sich jetzt die Deutschen nieder,
sondern sie kommen einzeln, zumal als Geschäftsleute. Ihre Sprache ist all¬
gemein durch ganz Ungarn verbreitet und bekannt, gewiß reden dort viel mehr
Menschen Deutsch als Magyarisch. Schon sprechen die Magyaren von einer
mächtigen deutschen Propaganda selbst in Süd-Ungarn. Und je mehr Ungarn
ein modernes Land wird, um so mehr wird das Gewicht der Deutschen wachsen,
denn sie werden vom Zeitgeist getragen.

Als ihre Bundesgenossen, ja als ihre Volksgenossen in sprachlicher Be¬
ziehung erscheinen die Juden. Sie sind überall zu treffen, in Städten und
Dörfern bis in die fernsten Winkel der Karpathen. Ihr Element ist hier wie
überall der Schacher, der Kleinhandel in jeder Branche, und das Geldgeschäft.
In den Dörfern aller Nationalitäten setzen sie sich als Krämer und Wirthe
fest, sie sind vielen Edelleuten schon unentbehrlich, sie spüren alle verborgenen
Schätze des Landes aus, lassen die Wälder abtreiben und "machen" in Güter¬
käufen. Sie bringen den Ruthenen und Slowaken die Branntweinpest in ihre
Hütten, sie schlachten die Güter aus und werfen die Schale weg, sie wirken
so oft genug verderblich, und doch erscheinen sie überall als Culturträger
niederer Art. "So wie der Zugvogel ohne Ahnung in seinem Dünger manche


Hauptstraße, von der die Nebengassen auslaufen und die in ihrem breitesten
Theile den „Ring" bildet mit dem Rathaus, die Bogengänge (hier „Bor¬
leben") vor den Häusern, oft noch die alten Festungsmauern oder auf hohem
Berge die Ruinen einer festen Burg.

Aber mögen auch die Deutschen Ober-Ungarns und der Zips im beson¬
deren an Zahl sehr zusammengeschwunden, mag ihre wirthschaftliche Bedeutung
zurückgegangen sein, ihre deutsche Tüchtigkeit, ihr gutes Schulwesen, ihren
behaglich breiten Dialekt und ihre Volkslieder haben sie bewahrt und sie
sind deshalb ein sehr wichtiges Culturelement in Ungarn geworden, um so
mehr, als sie sich der ungarischen Staatsidee mit Begeisterung, leider oft
selbst mit Verleugnung des eignen Volksthums angeschlossen haben. Als
Kaufleute und Beamte sind sie überall in Ungarn zu finden; wo irgend
eine gescheidte liberale Idee auftaucht, da steckt, meint Löser, meist ein
Zipser dahinter.

Ueberhaupt aber ist die Bedeutung des deutschen Elements für Ungarn
kaum zu überschätzen. Seine geschlossenen Niederlassungen haben Ungarn die
einzigen wirklichen Städte, d. H.Cultur gegeben und geben sie ihm noch. Und
so eifrig gegenwärtig magyarisirt wird, so viele Deutsche sich auch den Magy¬
aren angeschlossen haben, ja in sie aufgegangen sind, wie jener Zipser Schedel,
der als Toldy der Begründer der magyarischen Literaturgeschichte geworden ist,
eben culturelle Ueberlegenheit der Deutschen fordert noch gegenwärtig ihre
Ausbreitung, vielleicht sogar mehr als früher, allerdings in anderer Form.
Denn nicht in geschlossenen Gemeinden lassen sich jetzt die Deutschen nieder,
sondern sie kommen einzeln, zumal als Geschäftsleute. Ihre Sprache ist all¬
gemein durch ganz Ungarn verbreitet und bekannt, gewiß reden dort viel mehr
Menschen Deutsch als Magyarisch. Schon sprechen die Magyaren von einer
mächtigen deutschen Propaganda selbst in Süd-Ungarn. Und je mehr Ungarn
ein modernes Land wird, um so mehr wird das Gewicht der Deutschen wachsen,
denn sie werden vom Zeitgeist getragen.

Als ihre Bundesgenossen, ja als ihre Volksgenossen in sprachlicher Be¬
ziehung erscheinen die Juden. Sie sind überall zu treffen, in Städten und
Dörfern bis in die fernsten Winkel der Karpathen. Ihr Element ist hier wie
überall der Schacher, der Kleinhandel in jeder Branche, und das Geldgeschäft.
In den Dörfern aller Nationalitäten setzen sie sich als Krämer und Wirthe
fest, sie sind vielen Edelleuten schon unentbehrlich, sie spüren alle verborgenen
Schätze des Landes aus, lassen die Wälder abtreiben und „machen" in Güter¬
käufen. Sie bringen den Ruthenen und Slowaken die Branntweinpest in ihre
Hütten, sie schlachten die Güter aus und werfen die Schale weg, sie wirken
so oft genug verderblich, und doch erscheinen sie überall als Culturträger
niederer Art. „So wie der Zugvogel ohne Ahnung in seinem Dünger manche


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[0075] Hauptstraße, von der die Nebengassen auslaufen und die in ihrem breitesten Theile den „Ring" bildet mit dem Rathaus, die Bogengänge (hier „Bor¬ leben") vor den Häusern, oft noch die alten Festungsmauern oder auf hohem Berge die Ruinen einer festen Burg. Aber mögen auch die Deutschen Ober-Ungarns und der Zips im beson¬ deren an Zahl sehr zusammengeschwunden, mag ihre wirthschaftliche Bedeutung zurückgegangen sein, ihre deutsche Tüchtigkeit, ihr gutes Schulwesen, ihren behaglich breiten Dialekt und ihre Volkslieder haben sie bewahrt und sie sind deshalb ein sehr wichtiges Culturelement in Ungarn geworden, um so mehr, als sie sich der ungarischen Staatsidee mit Begeisterung, leider oft selbst mit Verleugnung des eignen Volksthums angeschlossen haben. Als Kaufleute und Beamte sind sie überall in Ungarn zu finden; wo irgend eine gescheidte liberale Idee auftaucht, da steckt, meint Löser, meist ein Zipser dahinter. Ueberhaupt aber ist die Bedeutung des deutschen Elements für Ungarn kaum zu überschätzen. Seine geschlossenen Niederlassungen haben Ungarn die einzigen wirklichen Städte, d. H.Cultur gegeben und geben sie ihm noch. Und so eifrig gegenwärtig magyarisirt wird, so viele Deutsche sich auch den Magy¬ aren angeschlossen haben, ja in sie aufgegangen sind, wie jener Zipser Schedel, der als Toldy der Begründer der magyarischen Literaturgeschichte geworden ist, eben culturelle Ueberlegenheit der Deutschen fordert noch gegenwärtig ihre Ausbreitung, vielleicht sogar mehr als früher, allerdings in anderer Form. Denn nicht in geschlossenen Gemeinden lassen sich jetzt die Deutschen nieder, sondern sie kommen einzeln, zumal als Geschäftsleute. Ihre Sprache ist all¬ gemein durch ganz Ungarn verbreitet und bekannt, gewiß reden dort viel mehr Menschen Deutsch als Magyarisch. Schon sprechen die Magyaren von einer mächtigen deutschen Propaganda selbst in Süd-Ungarn. Und je mehr Ungarn ein modernes Land wird, um so mehr wird das Gewicht der Deutschen wachsen, denn sie werden vom Zeitgeist getragen. Als ihre Bundesgenossen, ja als ihre Volksgenossen in sprachlicher Be¬ ziehung erscheinen die Juden. Sie sind überall zu treffen, in Städten und Dörfern bis in die fernsten Winkel der Karpathen. Ihr Element ist hier wie überall der Schacher, der Kleinhandel in jeder Branche, und das Geldgeschäft. In den Dörfern aller Nationalitäten setzen sie sich als Krämer und Wirthe fest, sie sind vielen Edelleuten schon unentbehrlich, sie spüren alle verborgenen Schätze des Landes aus, lassen die Wälder abtreiben und „machen" in Güter¬ käufen. Sie bringen den Ruthenen und Slowaken die Branntweinpest in ihre Hütten, sie schlachten die Güter aus und werfen die Schale weg, sie wirken so oft genug verderblich, und doch erscheinen sie überall als Culturträger niederer Art. „So wie der Zugvogel ohne Ahnung in seinem Dünger manche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/75>, abgerufen am 29.06.2024.