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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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edle Pflanze nach andern Ländern verpflanzt und verbreitet, so schleppt der
Jude germanische Culturelemente nicht nur nach Ungarn, sondern nach dem
tiefen Osten, auch noch über Seliastopol hinaus." Denn die Juden in Ungarn
sprechen nur deutsch. Sie mögen im Verkehr Magyarisch oder Ruthenisch
reden, in ihren Häusern reden und lesen sie nur Deutsch, selbst ihre Gebet¬
bücher sind oft nur mit hebräischen Lettern gedruckt. Zählt man aber
Deutsche und Juden in Ungarn zusammen, so erhält man eine Ziffer von
etwa 2.300,000 Menschen, die alle Deutsch als ihre Muttersprache betrachten,
und in ihren Händen liegt die Cultur. --

Daß in diesem Völkergemisch die jeden einzelnen Stamm an Zahl über¬
treffenden und in der Mitte des Landes angesiedelten Magyaren die herrschende
Stellung behaupten, ist nur natürlich. Freilich sind sie kein wirkliches Cultur¬
volk, sie sind eine Nation von Bauern, an deren Spitze ein zahlreicher poli¬
tischer Adel steht. Das Vorhandensein dieses Adels vor allem macht die
Magyaren fähig zur Herrschaft. Die besten Eigenschaften des Volkscharakters
repräsentiren diese Edelleute, stolze, patriotische, hochgesinnte, feurige Männer
von den besten Umgangsformen, auf ihren schönen Edelsitzen von einer wahr¬
haft vornehmen Gastfreiheit. Freilich auch die Schattenseiten der Magyaren
fehlen ihnen nicht: die Abneigung gegen fortdauernde, gründliche Arbeit, die
Unfähigkeit andere Nationen zu verstehen, die nationale Beschränktheit. Trotz
alledem wird sicher dieser Adel seine Führerschaft behaupten, so lange es ein
magyarisches Volksthum giebt, denn in seinen Händen hält er wahrhaft fürst¬
lichen Grundbesitz und er allein hat politische Erfahrung und Einsicht, die es
nicht ganz unberechtigt erscheinen läßt, wenn er sich gern mit dem Ade! Eng¬
lands vergleicht.

Leider hängt sich an diesen echten Adel sein häßliches verzerrtes Abbild,
der sogenannte Bauernadel. Entstanden ist er aus den schon vor 1848 freien
dauern, den dvesIcvroL, die eben deshalb die Rechte des Adels genossen,
j>'tzt aber, nach der Emancipation des gesammten Bauernstandes, ohne alle
Vorrechte sind. Jene Erinnerung jedoch an den alten Vorrang sitzt diesen
Leuten noch tief in den Gliedern; zu stolz, um gewöhnlicher ländlicher Be¬
schäftigung, überhaupt einer regelmäßigen Arbeit sich zu widmen, werfen sie
sich einseitig auf die Politik. Aus ihnen gehen viele Abgeordnete, vor allein
die Stellenjäger und deshalb die meisten Beamten, Advocaten und Journalisten
hervor, und da sie weder genügende Kenntnisse noch Lust zur Arbeit mit¬
bringen, so verschulden sie vor allem die beispiellose Mißverwaltung, an
welcher Ungarn krankt. Unruhiger Ehrgeiz, nationale Bornirtheit kommen
hinzu, um diese ganze Classe zu einer wahren Plage für Ungarn zu machen.

Dieser doppelte Adel, wenn man so sagen darf, regiert das Land und
macht die Gesetze. Denn trotz der sehr liberalen Verfassung kommt auf die


edle Pflanze nach andern Ländern verpflanzt und verbreitet, so schleppt der
Jude germanische Culturelemente nicht nur nach Ungarn, sondern nach dem
tiefen Osten, auch noch über Seliastopol hinaus." Denn die Juden in Ungarn
sprechen nur deutsch. Sie mögen im Verkehr Magyarisch oder Ruthenisch
reden, in ihren Häusern reden und lesen sie nur Deutsch, selbst ihre Gebet¬
bücher sind oft nur mit hebräischen Lettern gedruckt. Zählt man aber
Deutsche und Juden in Ungarn zusammen, so erhält man eine Ziffer von
etwa 2.300,000 Menschen, die alle Deutsch als ihre Muttersprache betrachten,
und in ihren Händen liegt die Cultur. —

Daß in diesem Völkergemisch die jeden einzelnen Stamm an Zahl über¬
treffenden und in der Mitte des Landes angesiedelten Magyaren die herrschende
Stellung behaupten, ist nur natürlich. Freilich sind sie kein wirkliches Cultur¬
volk, sie sind eine Nation von Bauern, an deren Spitze ein zahlreicher poli¬
tischer Adel steht. Das Vorhandensein dieses Adels vor allem macht die
Magyaren fähig zur Herrschaft. Die besten Eigenschaften des Volkscharakters
repräsentiren diese Edelleute, stolze, patriotische, hochgesinnte, feurige Männer
von den besten Umgangsformen, auf ihren schönen Edelsitzen von einer wahr¬
haft vornehmen Gastfreiheit. Freilich auch die Schattenseiten der Magyaren
fehlen ihnen nicht: die Abneigung gegen fortdauernde, gründliche Arbeit, die
Unfähigkeit andere Nationen zu verstehen, die nationale Beschränktheit. Trotz
alledem wird sicher dieser Adel seine Führerschaft behaupten, so lange es ein
magyarisches Volksthum giebt, denn in seinen Händen hält er wahrhaft fürst¬
lichen Grundbesitz und er allein hat politische Erfahrung und Einsicht, die es
nicht ganz unberechtigt erscheinen läßt, wenn er sich gern mit dem Ade! Eng¬
lands vergleicht.

Leider hängt sich an diesen echten Adel sein häßliches verzerrtes Abbild,
der sogenannte Bauernadel. Entstanden ist er aus den schon vor 1848 freien
dauern, den dvesIcvroL, die eben deshalb die Rechte des Adels genossen,
j>'tzt aber, nach der Emancipation des gesammten Bauernstandes, ohne alle
Vorrechte sind. Jene Erinnerung jedoch an den alten Vorrang sitzt diesen
Leuten noch tief in den Gliedern; zu stolz, um gewöhnlicher ländlicher Be¬
schäftigung, überhaupt einer regelmäßigen Arbeit sich zu widmen, werfen sie
sich einseitig auf die Politik. Aus ihnen gehen viele Abgeordnete, vor allein
die Stellenjäger und deshalb die meisten Beamten, Advocaten und Journalisten
hervor, und da sie weder genügende Kenntnisse noch Lust zur Arbeit mit¬
bringen, so verschulden sie vor allem die beispiellose Mißverwaltung, an
welcher Ungarn krankt. Unruhiger Ehrgeiz, nationale Bornirtheit kommen
hinzu, um diese ganze Classe zu einer wahren Plage für Ungarn zu machen.

Dieser doppelte Adel, wenn man so sagen darf, regiert das Land und
macht die Gesetze. Denn trotz der sehr liberalen Verfassung kommt auf die


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[0076] edle Pflanze nach andern Ländern verpflanzt und verbreitet, so schleppt der Jude germanische Culturelemente nicht nur nach Ungarn, sondern nach dem tiefen Osten, auch noch über Seliastopol hinaus." Denn die Juden in Ungarn sprechen nur deutsch. Sie mögen im Verkehr Magyarisch oder Ruthenisch reden, in ihren Häusern reden und lesen sie nur Deutsch, selbst ihre Gebet¬ bücher sind oft nur mit hebräischen Lettern gedruckt. Zählt man aber Deutsche und Juden in Ungarn zusammen, so erhält man eine Ziffer von etwa 2.300,000 Menschen, die alle Deutsch als ihre Muttersprache betrachten, und in ihren Händen liegt die Cultur. — Daß in diesem Völkergemisch die jeden einzelnen Stamm an Zahl über¬ treffenden und in der Mitte des Landes angesiedelten Magyaren die herrschende Stellung behaupten, ist nur natürlich. Freilich sind sie kein wirkliches Cultur¬ volk, sie sind eine Nation von Bauern, an deren Spitze ein zahlreicher poli¬ tischer Adel steht. Das Vorhandensein dieses Adels vor allem macht die Magyaren fähig zur Herrschaft. Die besten Eigenschaften des Volkscharakters repräsentiren diese Edelleute, stolze, patriotische, hochgesinnte, feurige Männer von den besten Umgangsformen, auf ihren schönen Edelsitzen von einer wahr¬ haft vornehmen Gastfreiheit. Freilich auch die Schattenseiten der Magyaren fehlen ihnen nicht: die Abneigung gegen fortdauernde, gründliche Arbeit, die Unfähigkeit andere Nationen zu verstehen, die nationale Beschränktheit. Trotz alledem wird sicher dieser Adel seine Führerschaft behaupten, so lange es ein magyarisches Volksthum giebt, denn in seinen Händen hält er wahrhaft fürst¬ lichen Grundbesitz und er allein hat politische Erfahrung und Einsicht, die es nicht ganz unberechtigt erscheinen läßt, wenn er sich gern mit dem Ade! Eng¬ lands vergleicht. Leider hängt sich an diesen echten Adel sein häßliches verzerrtes Abbild, der sogenannte Bauernadel. Entstanden ist er aus den schon vor 1848 freien dauern, den dvesIcvroL, die eben deshalb die Rechte des Adels genossen, j>'tzt aber, nach der Emancipation des gesammten Bauernstandes, ohne alle Vorrechte sind. Jene Erinnerung jedoch an den alten Vorrang sitzt diesen Leuten noch tief in den Gliedern; zu stolz, um gewöhnlicher ländlicher Be¬ schäftigung, überhaupt einer regelmäßigen Arbeit sich zu widmen, werfen sie sich einseitig auf die Politik. Aus ihnen gehen viele Abgeordnete, vor allein die Stellenjäger und deshalb die meisten Beamten, Advocaten und Journalisten hervor, und da sie weder genügende Kenntnisse noch Lust zur Arbeit mit¬ bringen, so verschulden sie vor allem die beispiellose Mißverwaltung, an welcher Ungarn krankt. Unruhiger Ehrgeiz, nationale Bornirtheit kommen hinzu, um diese ganze Classe zu einer wahren Plage für Ungarn zu machen. Dieser doppelte Adel, wenn man so sagen darf, regiert das Land und macht die Gesetze. Denn trotz der sehr liberalen Verfassung kommt auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/76>, abgerufen am 29.06.2024.