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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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dem aber leben durch ganz Ungarn zerstreut viele Tausende von Deutschen
als Kaufleute, Beamte, Lehrer u. s. f., um ein höchst wirksames Ferment der
Cultur zu bilden.

Zu sehr verschiedenen Zeiten sind diese Deutschen in Ungarn einge¬
wandert. Die Niederlassung in Pannonien mag im 10., wenn nicht schon im 9.
Jahrhundert begonnen haben; wenigstens haben im 9. Jahrhundert zahlreiche
deutsche Dörfer bis zum Plattensee hin bestanden, wie wohl es freilich un¬
gewiß ist, ob sie den magyarischen Sturm überdauert haben. Im 12. und
13. Jahrhundert erfolgte sodann die Einwanderung in die Karpathen,
namentlich in die schönen Thäler der Zips.

Im 13. Jahrhundert rückten auch die Sachsen in Siebenbürgen ein. Neue
dichte Schaaren deutscher Einwanderer kamen dann nach der Befestigung
der kaiserlichen Herrschaft im 18. Jahrhundert; nicht nur deutsche Grund¬
besitzer, wie der Türkensieger Prinz Eugen, sondern in größerem Stile vor
allem unter Maria Theresia zogen Deutsche, namentlich schwäbische Bauern in
Menge in's Land; aus jener Zeit datiren besonders die Colonien im Banat.

Sehr anziehend ist die Schilderung, welche Löser von den deutschen
Städten der Zips und Ober-Ungarns entwirft, von denen er die wichtigsten
wie Kaschau, Leutschau, Käsmark u. s. f. selbst besucht hat. In prachtvoller
Gebirgslandschaft, fast am Fuße der hohen Tatra, inmitten herrlicher Wal¬
dungen, die von frischen Quellen und mineralischen Wässern sprudeln, haben
sich im 12. und 13. Jahrhundert zahlreiche deutsche Städte und Dörfer ge¬
bildet. Sie haben sich Jahrhunderte lang fröhlich entwickelt, durch Industrie,"
Bergbau und Handel, der damals seine Verbindungswege zwischen dem un¬
garischen und polnischen Tieflande durch die Karpathen führte; sie haben ihre
Helden- und Leidenszeit gehabt, erst gegenüber den Mongolen, dann und vor
allem im Kampfe gegen die katholischen Magyaren im 16. und 17. Jahr¬
hundert. Diese Stürme haben ihre Nationalität und ihren Protestantismus
nicht vernichten können, aber ihre Volkszahl ist überall zurückgegangen,
namentlich auf dem Lande dringen überall die Slowaken vor. Die Städte
selbst sind in der Entwicklung zurückgeblieben, seit der Handel andere Bahnen
eingeschlagen hat. "So versanken diese deutschen Städte seit vielen Menschen¬
altern allmählich in ein behagliches Stilleben.

-- -- Es scheint hier Alles noch so, wie in unsern alten Reichsstädten
im vorigen Jahrhundert. Man lebt vom schönen Erbe der Väter, geht früh¬
stücken zum Apotheker und trinkt nach Tisch Kaffee bei dem Konditor.

-- Die alten Familien heirathen natürlich gern untereinander, und eine
auffallend große Menge führt denselben Namen." Es lebt in diesen Deutsch-
Ungarn keine frische Triebkraft, keine nationale Idee mehr.

Auch das Aeußere ihrer Städte ist noch sehr alterthümlich; die breite


dem aber leben durch ganz Ungarn zerstreut viele Tausende von Deutschen
als Kaufleute, Beamte, Lehrer u. s. f., um ein höchst wirksames Ferment der
Cultur zu bilden.

Zu sehr verschiedenen Zeiten sind diese Deutschen in Ungarn einge¬
wandert. Die Niederlassung in Pannonien mag im 10., wenn nicht schon im 9.
Jahrhundert begonnen haben; wenigstens haben im 9. Jahrhundert zahlreiche
deutsche Dörfer bis zum Plattensee hin bestanden, wie wohl es freilich un¬
gewiß ist, ob sie den magyarischen Sturm überdauert haben. Im 12. und
13. Jahrhundert erfolgte sodann die Einwanderung in die Karpathen,
namentlich in die schönen Thäler der Zips.

Im 13. Jahrhundert rückten auch die Sachsen in Siebenbürgen ein. Neue
dichte Schaaren deutscher Einwanderer kamen dann nach der Befestigung
der kaiserlichen Herrschaft im 18. Jahrhundert; nicht nur deutsche Grund¬
besitzer, wie der Türkensieger Prinz Eugen, sondern in größerem Stile vor
allem unter Maria Theresia zogen Deutsche, namentlich schwäbische Bauern in
Menge in's Land; aus jener Zeit datiren besonders die Colonien im Banat.

Sehr anziehend ist die Schilderung, welche Löser von den deutschen
Städten der Zips und Ober-Ungarns entwirft, von denen er die wichtigsten
wie Kaschau, Leutschau, Käsmark u. s. f. selbst besucht hat. In prachtvoller
Gebirgslandschaft, fast am Fuße der hohen Tatra, inmitten herrlicher Wal¬
dungen, die von frischen Quellen und mineralischen Wässern sprudeln, haben
sich im 12. und 13. Jahrhundert zahlreiche deutsche Städte und Dörfer ge¬
bildet. Sie haben sich Jahrhunderte lang fröhlich entwickelt, durch Industrie,"
Bergbau und Handel, der damals seine Verbindungswege zwischen dem un¬
garischen und polnischen Tieflande durch die Karpathen führte; sie haben ihre
Helden- und Leidenszeit gehabt, erst gegenüber den Mongolen, dann und vor
allem im Kampfe gegen die katholischen Magyaren im 16. und 17. Jahr¬
hundert. Diese Stürme haben ihre Nationalität und ihren Protestantismus
nicht vernichten können, aber ihre Volkszahl ist überall zurückgegangen,
namentlich auf dem Lande dringen überall die Slowaken vor. Die Städte
selbst sind in der Entwicklung zurückgeblieben, seit der Handel andere Bahnen
eingeschlagen hat. „So versanken diese deutschen Städte seit vielen Menschen¬
altern allmählich in ein behagliches Stilleben.

— — Es scheint hier Alles noch so, wie in unsern alten Reichsstädten
im vorigen Jahrhundert. Man lebt vom schönen Erbe der Väter, geht früh¬
stücken zum Apotheker und trinkt nach Tisch Kaffee bei dem Konditor.

— Die alten Familien heirathen natürlich gern untereinander, und eine
auffallend große Menge führt denselben Namen." Es lebt in diesen Deutsch-
Ungarn keine frische Triebkraft, keine nationale Idee mehr.

Auch das Aeußere ihrer Städte ist noch sehr alterthümlich; die breite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/74>, abgerufen am 29.06.2024.