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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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auch hier ihre Nationalität, die Katholiken magyarisiren sich leicht. Es zeigt
sich eben auch hier, daß der Katholicismus, der überall nur eine Form des
Glaubens, des Denkens und des Gottesdienstes gelten läßt, der nationalen
Eigenart nicht günstig ist, sofern diese sich ihm nicht völlig unterordnet, wo¬
gegen die freie Mannigfaltigkeit des Protestantismus dem nationalen Charakter
sich anschmiegt und ihn festigt. Nicht zufällig leisten die protestantischen
Sachsen Siebenbürgens den Magyaren den zcihesten Widerstand, und diese
selbst hätten ihre Nationalität in den Nöthen des 16. und 17. Jahrhunderts
vielleicht weniger energisch behauptet, wenn sie nicht durch das calvinische
Bekenntniß, das sie selbst wohl gern als maZz^r Kik, als magyarischen
Glauben gegenüber dem nome-t pati^L, der deutschen (d. i. katholischen) Reli¬
gion bezeichnen, mächtig unterstützt worden wären.

Von den Rumänen oder Walachen giebt Löser, da er sie nicht aus
eigner Beobachtung kennt, keine eingehendere Schilderung. Ihre rasche
Ausbreitung und Vermehrung läßt freilich darauf schließen, daß sie noch
zu einer größeren Rolle bestimmt sind, als die ist, welche sie gegen¬
wärtig spielen.

Besonderes Interesse erregen dagegen die Schilderungen, welche Löser
von den Deutschen in Ungarn entwirft. Allerdings kennt er aus selb¬
ständiger Anschauung nur die deutschen Niederlassungen in den Karpathen,
nicht die im alten Pannonien zwischen Donau und Drau und die der sieben¬
bürger Sachsen. Aber er hat genug gesehen und gehört, um die Lage und
Bedeutung der Deutsch-Ungarn überhaupt klar zu erkennen.

Man kann die geschlossenen nationalen Niederlassungen der Deutschen
in Ungarn in drei große Gruppen theilen: es sind die Colonien im alten
Pannonien, also rechts der Donau, in den Karpathen, in Siebenbürgen mit
dem nahen Banat. Die deutschen Ansiedlungen im ersteren Theile mögen
z. T. bis in's 10. vielleicht bis in's 9. Jahrhundert zurückgehen. Dicht ge¬
schlossen setzt sich an Nieder-Oesterreich ein deutsches Sprachgebiet von etwa
100 Quadratmeilen und 380,000 E. an. Nordwestlich und südöstlich des
Plattensees wohnen- dann in einzelnen inselartig verstreuten Gruppen etwa
425,000 Deutsche. Oestlich der Donau und Theiß dagegen sind sie dünner
gesät: im Banat und der Baezka (zwischen Donau und unterer Theiß) mögen
aus etwa 130 Quadratmeilen gegen 384,000 deutschen Stammes wohnen,
nördlich der Baezka und jenseits der Marosch dagegen nur 80,000.

Dichter drängen sich wiederum die alten Sachsenniederlassungen des
"Königsbodens" in Siebenbürgen; hier zählt man etwa 217,000 Deutsche. ")
Im nördlichen Ungarn mögen noch etwa 90,000 Deutsche wohnen. Außer-



") Diese Zahlen nach Vi'als, Der Deutschen NvMznhl und SprachiMet, Berlin >^ü>.
Grenzboten III. 187S. !)

auch hier ihre Nationalität, die Katholiken magyarisiren sich leicht. Es zeigt
sich eben auch hier, daß der Katholicismus, der überall nur eine Form des
Glaubens, des Denkens und des Gottesdienstes gelten läßt, der nationalen
Eigenart nicht günstig ist, sofern diese sich ihm nicht völlig unterordnet, wo¬
gegen die freie Mannigfaltigkeit des Protestantismus dem nationalen Charakter
sich anschmiegt und ihn festigt. Nicht zufällig leisten die protestantischen
Sachsen Siebenbürgens den Magyaren den zcihesten Widerstand, und diese
selbst hätten ihre Nationalität in den Nöthen des 16. und 17. Jahrhunderts
vielleicht weniger energisch behauptet, wenn sie nicht durch das calvinische
Bekenntniß, das sie selbst wohl gern als maZz^r Kik, als magyarischen
Glauben gegenüber dem nome-t pati^L, der deutschen (d. i. katholischen) Reli¬
gion bezeichnen, mächtig unterstützt worden wären.

Von den Rumänen oder Walachen giebt Löser, da er sie nicht aus
eigner Beobachtung kennt, keine eingehendere Schilderung. Ihre rasche
Ausbreitung und Vermehrung läßt freilich darauf schließen, daß sie noch
zu einer größeren Rolle bestimmt sind, als die ist, welche sie gegen¬
wärtig spielen.

Besonderes Interesse erregen dagegen die Schilderungen, welche Löser
von den Deutschen in Ungarn entwirft. Allerdings kennt er aus selb¬
ständiger Anschauung nur die deutschen Niederlassungen in den Karpathen,
nicht die im alten Pannonien zwischen Donau und Drau und die der sieben¬
bürger Sachsen. Aber er hat genug gesehen und gehört, um die Lage und
Bedeutung der Deutsch-Ungarn überhaupt klar zu erkennen.

Man kann die geschlossenen nationalen Niederlassungen der Deutschen
in Ungarn in drei große Gruppen theilen: es sind die Colonien im alten
Pannonien, also rechts der Donau, in den Karpathen, in Siebenbürgen mit
dem nahen Banat. Die deutschen Ansiedlungen im ersteren Theile mögen
z. T. bis in's 10. vielleicht bis in's 9. Jahrhundert zurückgehen. Dicht ge¬
schlossen setzt sich an Nieder-Oesterreich ein deutsches Sprachgebiet von etwa
100 Quadratmeilen und 380,000 E. an. Nordwestlich und südöstlich des
Plattensees wohnen- dann in einzelnen inselartig verstreuten Gruppen etwa
425,000 Deutsche. Oestlich der Donau und Theiß dagegen sind sie dünner
gesät: im Banat und der Baezka (zwischen Donau und unterer Theiß) mögen
aus etwa 130 Quadratmeilen gegen 384,000 deutschen Stammes wohnen,
nördlich der Baezka und jenseits der Marosch dagegen nur 80,000.

Dichter drängen sich wiederum die alten Sachsenniederlassungen des
„Königsbodens" in Siebenbürgen; hier zählt man etwa 217,000 Deutsche. ")
Im nördlichen Ungarn mögen noch etwa 90,000 Deutsche wohnen. Außer-



") Diese Zahlen nach Vi'als, Der Deutschen NvMznhl und SprachiMet, Berlin >^ü>.
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[0073] auch hier ihre Nationalität, die Katholiken magyarisiren sich leicht. Es zeigt sich eben auch hier, daß der Katholicismus, der überall nur eine Form des Glaubens, des Denkens und des Gottesdienstes gelten läßt, der nationalen Eigenart nicht günstig ist, sofern diese sich ihm nicht völlig unterordnet, wo¬ gegen die freie Mannigfaltigkeit des Protestantismus dem nationalen Charakter sich anschmiegt und ihn festigt. Nicht zufällig leisten die protestantischen Sachsen Siebenbürgens den Magyaren den zcihesten Widerstand, und diese selbst hätten ihre Nationalität in den Nöthen des 16. und 17. Jahrhunderts vielleicht weniger energisch behauptet, wenn sie nicht durch das calvinische Bekenntniß, das sie selbst wohl gern als maZz^r Kik, als magyarischen Glauben gegenüber dem nome-t pati^L, der deutschen (d. i. katholischen) Reli¬ gion bezeichnen, mächtig unterstützt worden wären. Von den Rumänen oder Walachen giebt Löser, da er sie nicht aus eigner Beobachtung kennt, keine eingehendere Schilderung. Ihre rasche Ausbreitung und Vermehrung läßt freilich darauf schließen, daß sie noch zu einer größeren Rolle bestimmt sind, als die ist, welche sie gegen¬ wärtig spielen. Besonderes Interesse erregen dagegen die Schilderungen, welche Löser von den Deutschen in Ungarn entwirft. Allerdings kennt er aus selb¬ ständiger Anschauung nur die deutschen Niederlassungen in den Karpathen, nicht die im alten Pannonien zwischen Donau und Drau und die der sieben¬ bürger Sachsen. Aber er hat genug gesehen und gehört, um die Lage und Bedeutung der Deutsch-Ungarn überhaupt klar zu erkennen. Man kann die geschlossenen nationalen Niederlassungen der Deutschen in Ungarn in drei große Gruppen theilen: es sind die Colonien im alten Pannonien, also rechts der Donau, in den Karpathen, in Siebenbürgen mit dem nahen Banat. Die deutschen Ansiedlungen im ersteren Theile mögen z. T. bis in's 10. vielleicht bis in's 9. Jahrhundert zurückgehen. Dicht ge¬ schlossen setzt sich an Nieder-Oesterreich ein deutsches Sprachgebiet von etwa 100 Quadratmeilen und 380,000 E. an. Nordwestlich und südöstlich des Plattensees wohnen- dann in einzelnen inselartig verstreuten Gruppen etwa 425,000 Deutsche. Oestlich der Donau und Theiß dagegen sind sie dünner gesät: im Banat und der Baezka (zwischen Donau und unterer Theiß) mögen aus etwa 130 Quadratmeilen gegen 384,000 deutschen Stammes wohnen, nördlich der Baezka und jenseits der Marosch dagegen nur 80,000. Dichter drängen sich wiederum die alten Sachsenniederlassungen des „Königsbodens" in Siebenbürgen; hier zählt man etwa 217,000 Deutsche. ") Im nördlichen Ungarn mögen noch etwa 90,000 Deutsche wohnen. Außer- ") Diese Zahlen nach Vi'als, Der Deutschen NvMznhl und SprachiMet, Berlin >^ü>. Grenzboten III. 187S. !)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/73>, abgerufen am 28.09.2024.