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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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sehe Stolz, der auch den Geringen sich einen König dünken läßt und oft vor
Gemeinheit bewahrt, aber vielleicht ebenso oft in junkerlichen Dünkel aus¬
artet, in jene vielleicht sehr ritterliche, aber im Grunde rohe Gesinnung, die
die beste Wissenschaft in Kalpak und Dolman findet und verächtlich auf die
Spießbürger der Städte und das Gelehrtenvolk herabschaut. Noch gehoben
wird dieser magyarische Stolz durch eine heiße, leidenschaftliche Vaterlandsliebe,
unstreitig den großartigsten Zug im Volkscharakter. Ungarn zum glücklichsten
Lande der Welt, Pest zur herrlichsten Hauptstadt Europas, die nationalen
Honveds zur glänzendsten Truppe unter allen Heeren zu machen, das sind die
heißesten Wünsche jedes Magyaren. Ein Idealbild Ungarns, wie es sein soll,
hat er sich zurecht gemacht, er hat hartnäckig dem Systeme Metternich und
Bach widerstanden, endlich eine fast selbständige Stellung seines Landes durch¬
gesetzt, und wenn Vaterlandsliebe und Opferfähigkeit allein im Stande wären,
einen Staat zu schaffen und zu erhalten, gewiß, jenes Bild wäre längst Wirk¬
lichkeit. D.es es dies nicht ist und so, wie man es träumt, nie werden wird,
daran trägt auch die Kehrseite jenes Patriotismus die Schuld: die Unfähig¬
keit, andere Nationalitäten zu verstehen und gerecht, zu behandeln, jene natio¬
nale Bornirtheit, die jeder auch der sonnenklarsten Logik spottet und Ungarn,
"seit dem Anfange der Geschichte ein vielsprachiges Land, zu magyarisiren strebt
selbst um den Preis heilloser Culturverwüstung. Eine feurige Phantasie, die
eine strahlende Fata Morgana für Wirklichkeit nimmt, die sich berauscht in
orientalisch ausschweifenden Träumen, hilft über jedes Hinderniß hinweg, bis
man endlich doch auf die harte Realität der Dinge stößt.

Manches in diesem Volkscharakter erinnert an französische Eigenthümlich¬
keiten: die mächtige Thatkraft, die stürmische Tapferkeit, der leidenschaftliche
Patriotismus. Aber unendlich ist doch der Franzose dem Magyaren über¬
legen durch ausdauernde, ruhige Arbeitskraft in jedem Zweige menschlicher
Cultur, die Frankreich zum reichsten Lande Europas nächst England gemacht
hat. Darin vor allem liegt der tiefe Unterschied zwischen diesem alten Cultur¬
volke mit seiner bürgerlich - städtischen Gesittung und jener halbasiatischen
Nation, die nur Adel und Bauern kennt. Fremdartig, orientalisch in der
That stehen die Magyaren in der Völkerfamilie des indogermanischen Europa,
wie ihre Sprache selber. Und noch anderes in ihrem Charakter erinnert an
den Orient: ihr religiöser Indifferentismus und ihre fatalistische Gelassenheit.
Jener, der allen Mongolenvölkern im hohen Grade eigen ^ist. zeigt sich auch
in Ungarn; die katholische Kirche gebietet über gewaltige Reichthümer, nur
wenig über die Herzen der Bevölkerung. Der eigenthümliche Fatalismus aber
mag auch mit der Natur der Steppe zusammenhängen, der gegenüber der
Mensch sich wehrlos fühlt und die er als eine unüberwindliche Macht schalten


sehe Stolz, der auch den Geringen sich einen König dünken läßt und oft vor
Gemeinheit bewahrt, aber vielleicht ebenso oft in junkerlichen Dünkel aus¬
artet, in jene vielleicht sehr ritterliche, aber im Grunde rohe Gesinnung, die
die beste Wissenschaft in Kalpak und Dolman findet und verächtlich auf die
Spießbürger der Städte und das Gelehrtenvolk herabschaut. Noch gehoben
wird dieser magyarische Stolz durch eine heiße, leidenschaftliche Vaterlandsliebe,
unstreitig den großartigsten Zug im Volkscharakter. Ungarn zum glücklichsten
Lande der Welt, Pest zur herrlichsten Hauptstadt Europas, die nationalen
Honveds zur glänzendsten Truppe unter allen Heeren zu machen, das sind die
heißesten Wünsche jedes Magyaren. Ein Idealbild Ungarns, wie es sein soll,
hat er sich zurecht gemacht, er hat hartnäckig dem Systeme Metternich und
Bach widerstanden, endlich eine fast selbständige Stellung seines Landes durch¬
gesetzt, und wenn Vaterlandsliebe und Opferfähigkeit allein im Stande wären,
einen Staat zu schaffen und zu erhalten, gewiß, jenes Bild wäre längst Wirk¬
lichkeit. D.es es dies nicht ist und so, wie man es träumt, nie werden wird,
daran trägt auch die Kehrseite jenes Patriotismus die Schuld: die Unfähig¬
keit, andere Nationalitäten zu verstehen und gerecht, zu behandeln, jene natio¬
nale Bornirtheit, die jeder auch der sonnenklarsten Logik spottet und Ungarn,
»seit dem Anfange der Geschichte ein vielsprachiges Land, zu magyarisiren strebt
selbst um den Preis heilloser Culturverwüstung. Eine feurige Phantasie, die
eine strahlende Fata Morgana für Wirklichkeit nimmt, die sich berauscht in
orientalisch ausschweifenden Träumen, hilft über jedes Hinderniß hinweg, bis
man endlich doch auf die harte Realität der Dinge stößt.

Manches in diesem Volkscharakter erinnert an französische Eigenthümlich¬
keiten: die mächtige Thatkraft, die stürmische Tapferkeit, der leidenschaftliche
Patriotismus. Aber unendlich ist doch der Franzose dem Magyaren über¬
legen durch ausdauernde, ruhige Arbeitskraft in jedem Zweige menschlicher
Cultur, die Frankreich zum reichsten Lande Europas nächst England gemacht
hat. Darin vor allem liegt der tiefe Unterschied zwischen diesem alten Cultur¬
volke mit seiner bürgerlich - städtischen Gesittung und jener halbasiatischen
Nation, die nur Adel und Bauern kennt. Fremdartig, orientalisch in der
That stehen die Magyaren in der Völkerfamilie des indogermanischen Europa,
wie ihre Sprache selber. Und noch anderes in ihrem Charakter erinnert an
den Orient: ihr religiöser Indifferentismus und ihre fatalistische Gelassenheit.
Jener, der allen Mongolenvölkern im hohen Grade eigen ^ist. zeigt sich auch
in Ungarn; die katholische Kirche gebietet über gewaltige Reichthümer, nur
wenig über die Herzen der Bevölkerung. Der eigenthümliche Fatalismus aber
mag auch mit der Natur der Steppe zusammenhängen, der gegenüber der
Mensch sich wehrlos fühlt und die er als eine unüberwindliche Macht schalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/69>, abgerufen am 29.06.2024.