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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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außer den Alpen in Deutschland die Höhe von 4000 Fuß überragen, fast
gleich, oder sie meist um einige hundert Fuß übertreffend.

Allerdings können die gebildeteren Katholiken des Landes diesen Ueber¬
schwang von marianischen Gnadenorten und Pilgerheeren einigermaßen ent¬
schuldigen oder erklären. Die deutschen Landeseinwohner, so eifrig sie auch
in der Ausübung ihrer religiösen Verpflichtungen sein mögen, würden lange
nicht zahlreich genug sein, um das Contingent der Wallfahrer allein zu stellen,
wenn man nicht annehmen wollte, daß jedes männliche und weibliche er¬
wachsene Individuum mindestens 3 -- 4 mal in jedem Jahre jedem der drei
renommirtesten Muttergottesbilder seine Andacht und sein Opfer darbringe.
Die umwohnenden Slaven, sowohl die Tschechen im Süden und Westen, die
unmittelbarsten Grenznachbarn der deutschen Glatzer, wie die Polen, Wasfer-
und eigentliche Polen in gleicher Weise, die zwar nicht Nachbarn, aber doch in
ihrem äußersten Saum nur einige Meilen von der Nordostgenüge des Länd¬
chens entfernt sind, stellen reichlich ^ dieser Wallfahrer. Selbst aus Russisch-
Polen kommen ganze Schwärme, obgleich dort die "schwarze Marie von
Czenstochau" eine, sollte man denken, viel größere Anziehungskraft üben müßte,
schon weil es eine "schwarze Marie" ist, d. h. ein in dem gewöhnlichen
dunkeln Colorit der byzantinisch-slavischen Kirchenmalerei gehaltenes Bild,
vielleicht von ganz jungem Datum, vielleicht uralt, denn hier hat sich seit
einem Jahrtausend weder in den Typen, noch in der Farbentechnik irgend
etwas geändert, gerade so wie die slavischen Völker selbst noch in aller
und jeder Beziehung dieselben geblieben sind, die sie zu Agethias oder
Prokops Zeiten waren, sobald man das Bischen westeuropäischen Cultur¬
lack von dem eigentlichen Kerne ablöst. Die den Slaven, allerdings den
Polen weniger als den Russen, Tschechen, Slaven und anderen angeborne
Wanderlust, wohl zu unterscheiden von der deutschen, die immer auf ein be¬
stimmtes Ziel gerichtet ist und nicht leicht zum Landstreicherthum ausartet,
befriedigt sich unter der Firma des Seelenheils und des gottgefälligen Werkes
in solchen frommen Kreuz- und Querzügen auss Allerbeste. --

Wer in dem Ländchen schon seit längerer Zeit bekannt ist, dem zeigen
schon gewisse kleine Veränderungen in seiner äußeren Physiognomie, daß das
speeisch-katholische Wesen neuerdings sich immer stärker herausdrängt, natürlich
shstematisch gepflegt von den Wühlern und Hetzern von Profession, unter
denen auch hier die Carrierelustigen und ehrgeizigen Capläne sich hervorthun,
während die ältere Generation der Geistlichen noch immer gerne einen leid¬
lichen modius viveväi mit der Regierung erhalten möchte. An allen Straßen
und Feldwegen, aus allen etwas hervorragenden Höhen erheben sich Crucifixe
oder Martersäulen oder kleine Feldkapellen, die das heilige Bild vor Regen
und Schnee schützen. Die meisten davon sind sofort nach der gewaltsamen


außer den Alpen in Deutschland die Höhe von 4000 Fuß überragen, fast
gleich, oder sie meist um einige hundert Fuß übertreffend.

Allerdings können die gebildeteren Katholiken des Landes diesen Ueber¬
schwang von marianischen Gnadenorten und Pilgerheeren einigermaßen ent¬
schuldigen oder erklären. Die deutschen Landeseinwohner, so eifrig sie auch
in der Ausübung ihrer religiösen Verpflichtungen sein mögen, würden lange
nicht zahlreich genug sein, um das Contingent der Wallfahrer allein zu stellen,
wenn man nicht annehmen wollte, daß jedes männliche und weibliche er¬
wachsene Individuum mindestens 3 — 4 mal in jedem Jahre jedem der drei
renommirtesten Muttergottesbilder seine Andacht und sein Opfer darbringe.
Die umwohnenden Slaven, sowohl die Tschechen im Süden und Westen, die
unmittelbarsten Grenznachbarn der deutschen Glatzer, wie die Polen, Wasfer-
und eigentliche Polen in gleicher Weise, die zwar nicht Nachbarn, aber doch in
ihrem äußersten Saum nur einige Meilen von der Nordostgenüge des Länd¬
chens entfernt sind, stellen reichlich ^ dieser Wallfahrer. Selbst aus Russisch-
Polen kommen ganze Schwärme, obgleich dort die „schwarze Marie von
Czenstochau" eine, sollte man denken, viel größere Anziehungskraft üben müßte,
schon weil es eine „schwarze Marie" ist, d. h. ein in dem gewöhnlichen
dunkeln Colorit der byzantinisch-slavischen Kirchenmalerei gehaltenes Bild,
vielleicht von ganz jungem Datum, vielleicht uralt, denn hier hat sich seit
einem Jahrtausend weder in den Typen, noch in der Farbentechnik irgend
etwas geändert, gerade so wie die slavischen Völker selbst noch in aller
und jeder Beziehung dieselben geblieben sind, die sie zu Agethias oder
Prokops Zeiten waren, sobald man das Bischen westeuropäischen Cultur¬
lack von dem eigentlichen Kerne ablöst. Die den Slaven, allerdings den
Polen weniger als den Russen, Tschechen, Slaven und anderen angeborne
Wanderlust, wohl zu unterscheiden von der deutschen, die immer auf ein be¬
stimmtes Ziel gerichtet ist und nicht leicht zum Landstreicherthum ausartet,
befriedigt sich unter der Firma des Seelenheils und des gottgefälligen Werkes
in solchen frommen Kreuz- und Querzügen auss Allerbeste. —

Wer in dem Ländchen schon seit längerer Zeit bekannt ist, dem zeigen
schon gewisse kleine Veränderungen in seiner äußeren Physiognomie, daß das
speeisch-katholische Wesen neuerdings sich immer stärker herausdrängt, natürlich
shstematisch gepflegt von den Wühlern und Hetzern von Profession, unter
denen auch hier die Carrierelustigen und ehrgeizigen Capläne sich hervorthun,
während die ältere Generation der Geistlichen noch immer gerne einen leid¬
lichen modius viveväi mit der Regierung erhalten möchte. An allen Straßen
und Feldwegen, aus allen etwas hervorragenden Höhen erheben sich Crucifixe
oder Martersäulen oder kleine Feldkapellen, die das heilige Bild vor Regen
und Schnee schützen. Die meisten davon sind sofort nach der gewaltsamen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/501>, abgerufen am 29.06.2024.