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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Katholifirung errichtet, aber manche auch von jüngsten Datum, während die
lange Zwischenzeit und namentlich das philosophische Jahrhundert nichts that,
als sie verfallen lassen, wenn sich nicht irgend eine zarte Seele unter den
Weiblein der Umgegend fand, die durch eine Restauration auf ihre Kosten
sich ein Capital für die himmlischen Freuden sammeln wollte. Jetzt aber
sehen alle diese Denkmäler des kirchlichen Sinnes so frisch, so sauber aus, als
wären sie erst gestern fertig geworden. Sie glänzen im hellsten Anstrich oder
auch in der buntesten Farbenpracht, wie sie nur der Farbentopf eines länd¬
lichen Tizian hervorzaubern kann, und auch das Gold ist an ihnen nicht ge¬
spart. Die Physiognomie der ganzen Landschaft erhält dadurch etwas be¬
lebtes, farbenreiches, das zwischen dem herschenden Grün in allen seinen Ab¬
stufungen das Auge angenehm berührt, was auch der Verstand und das Ge¬
wissen des Patrioten dagegen einzuwenden haben mag.

Einstweilen hat sich die ultram"meare Winkelpresse hier noch nicht fest¬
zusetzen vermocht und Glatz muß von außen her, namentlich von Neisse, dem schle-
sischen, "Rom" -- welchen Namen es auch heute noch nicht mit Unrecht führt, --
mit dieser schmutzigen Waare versehen werden. Aber es geschieht mit der
bekannten Rührigkeit dieser Leute so, daß bis in die fernsten Einzelgehöfte
der Gebirgswälder diese, giftsäenden Blätter täglich geweht werden. Auch
dagegen wissen wir alle, die wir für unser deutsches Vaterland und die höchsten
idealen Güter der Menschheit kämpfen, kein Mittel: man muß dem Unheil
seinen Laus lassen und es ist und bleibt ein Unheil, das sogar durch die Ver¬
besserung des Schulunterrichts eher wächst als abnimmt. Denn die frühere
Generation brachte aus der Schule im Durchschnitt weder Neigung noch
Fähigkeit mit, sich mit Lectüre zu beschäftigen, die gegenwärtige ist im Besitz
der vollständigen Kunst zu lesen, aber sie verwendet sie nur, um die "Zeitung"
oder auch jene halb erbaulichen, halb revolutionären fliegenden Blätter täglich
zu studiren, die aus unbekanntem Verstecke mit der "Zeitung" überall hin
geschleudert oder von dem Herrn Pfarrer und Caplan unentgeltlich bei ihren
Rundzügen durch die Wohnungen ihrer frommen Herde vertheilt werden.
Nur durch Zufall gerathen solche Blätter einmal in die unrechten Hände,
daher viele gar nichts von ihrer Existenz wissen. Sie sind übrigens mit der
bekannten Schlauheit ihrer Verfasser so gehalten, daß selbst der pflicht¬
eifrigste Staatsanwalt keine Handhabe des Gesetzes gegen sie finden würde,
wenn er auch von ihrer Staatsgefährlichkeit fest überzeugt ist, wie jeder an¬
dere sachkundige Leser.

Es ist also auch in dieses umfriedete Gehege, in diesen grünen Natur¬
park zwischen freien mächtigen Gebirgsmauern etwas von dem feindseligen
und giftigen Miasma eingedrungen, das unser deutsches Volksleben so schwer
krank macht. Hier steht es einstweilen zwar noch so, daß der optimistische


Katholifirung errichtet, aber manche auch von jüngsten Datum, während die
lange Zwischenzeit und namentlich das philosophische Jahrhundert nichts that,
als sie verfallen lassen, wenn sich nicht irgend eine zarte Seele unter den
Weiblein der Umgegend fand, die durch eine Restauration auf ihre Kosten
sich ein Capital für die himmlischen Freuden sammeln wollte. Jetzt aber
sehen alle diese Denkmäler des kirchlichen Sinnes so frisch, so sauber aus, als
wären sie erst gestern fertig geworden. Sie glänzen im hellsten Anstrich oder
auch in der buntesten Farbenpracht, wie sie nur der Farbentopf eines länd¬
lichen Tizian hervorzaubern kann, und auch das Gold ist an ihnen nicht ge¬
spart. Die Physiognomie der ganzen Landschaft erhält dadurch etwas be¬
lebtes, farbenreiches, das zwischen dem herschenden Grün in allen seinen Ab¬
stufungen das Auge angenehm berührt, was auch der Verstand und das Ge¬
wissen des Patrioten dagegen einzuwenden haben mag.

Einstweilen hat sich die ultram«meare Winkelpresse hier noch nicht fest¬
zusetzen vermocht und Glatz muß von außen her, namentlich von Neisse, dem schle-
sischen, „Rom" — welchen Namen es auch heute noch nicht mit Unrecht führt, —
mit dieser schmutzigen Waare versehen werden. Aber es geschieht mit der
bekannten Rührigkeit dieser Leute so, daß bis in die fernsten Einzelgehöfte
der Gebirgswälder diese, giftsäenden Blätter täglich geweht werden. Auch
dagegen wissen wir alle, die wir für unser deutsches Vaterland und die höchsten
idealen Güter der Menschheit kämpfen, kein Mittel: man muß dem Unheil
seinen Laus lassen und es ist und bleibt ein Unheil, das sogar durch die Ver¬
besserung des Schulunterrichts eher wächst als abnimmt. Denn die frühere
Generation brachte aus der Schule im Durchschnitt weder Neigung noch
Fähigkeit mit, sich mit Lectüre zu beschäftigen, die gegenwärtige ist im Besitz
der vollständigen Kunst zu lesen, aber sie verwendet sie nur, um die „Zeitung"
oder auch jene halb erbaulichen, halb revolutionären fliegenden Blätter täglich
zu studiren, die aus unbekanntem Verstecke mit der „Zeitung" überall hin
geschleudert oder von dem Herrn Pfarrer und Caplan unentgeltlich bei ihren
Rundzügen durch die Wohnungen ihrer frommen Herde vertheilt werden.
Nur durch Zufall gerathen solche Blätter einmal in die unrechten Hände,
daher viele gar nichts von ihrer Existenz wissen. Sie sind übrigens mit der
bekannten Schlauheit ihrer Verfasser so gehalten, daß selbst der pflicht¬
eifrigste Staatsanwalt keine Handhabe des Gesetzes gegen sie finden würde,
wenn er auch von ihrer Staatsgefährlichkeit fest überzeugt ist, wie jeder an¬
dere sachkundige Leser.

Es ist also auch in dieses umfriedete Gehege, in diesen grünen Natur¬
park zwischen freien mächtigen Gebirgsmauern etwas von dem feindseligen
und giftigen Miasma eingedrungen, das unser deutsches Volksleben so schwer
krank macht. Hier steht es einstweilen zwar noch so, daß der optimistische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/502>, abgerufen am 29.06.2024.