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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Glatz ist durch und durch deutsch; ob von jeher, wie manche glauben,
die von der alten Hypothese einer deutschen Urbevölkerung in den Sudeten
nicht lassen wollen, obgleich die meisten Fluß- und Berg-, ja sogar viele ältere
Ortsnamen unzweifelhaft slavisch sind, oder erst durch eine intensive deutsche
Colonisation im Mittelalter sehr früh und vollständig, wie nur irgend ein
Theil des schlesischen Tieflandes, dem Deutschthum wieder gewonnen, lassen
wir hier bei Seite. Wie für das ganze deutsche Schlesien gab es auch für
Glatz eine Periode, es war die glänzendste ihres ganzen bisherigen Daseins,
wo man hier nur evangelische Christen fand und der Katholicismus in einige
Klöster und adeliche Familien, die ihre Connexionen mit Wien oder Prag nicht
verderben wollten, sich verkrochen hatte. Seit 1624 hat sich das durch die
bekannten Liechtensteinischen Dragonaden gründlich geändert: kein Theil
Schlesiens, oder vielmehr, da Glatz damals in gar keiner Verbindung mit
Schlesien stand, sondern direct zu Böhmen gehörte, kein Theil Böhmens hat
ein so furchtbares Martyrium zu bestehn gehabt als dieses grüne, so friedlich
anmuthig ausschauende Ländchen. Böhmen hatte doch noch einen geringen
Bruchtheil katholischer Bevölkerung, in Glatz fehlte auch dieser und doch ist
es hier in 20 -- 30 Jahren gelungen, jede Spur des Protestantismus aus¬
zutilgen. Es ist das buchstäblich zu nehmen, denn die Jesuiten und Kapuziner
begnügten sich nicht damit, auf ihre bekannte Weise zu "bekehren", sie zer¬
störten auch alles und jedes, was auf die glückliche Periode der evangelischen
Zeit irgend welchen Bezug hatte oder dafür zeugen konnte. Alle Kirchenbücher
von 1530 an, wo das Evangelium gesiegt hatte, bis 1624 sind systematisch
vernichtet, aber auch alle andern kirchlichen oder öffentlichen Urkunden, aus
denen man den früheren Stand der Religion irgend hätte erkennen können.
Ueberall hat diese neukatholische Reaction vollständig mit der Geschichte ge¬
brochen, weil diese den Stab über sie brechen mußte, aber so wie hier mit
solchem Raffinement und in solcher Ungestörtheit und Vollständigkeit ist
es nirgends geschehen. Glatz kann sich auch darin rühmen, ein Unicum
zu sein. --

So geht die Kirchengeschichte oder was den Schwarzen dasselbe bedeutet,
die Weltgeschichte für das Glatzer Ländchen mit dem Jahre 1624 an. Alles
frühere, die evangelische, wie die mittelalterliche ächt katholische Zeit existirt
hier nicht, denn auch die städtischen bürgerlichen Urkunden aus noch früherer
Vergangenheit sind dem Feuereifer dieser neukatholischen Vertilger jeder Spur
von menschlicher Bildung zum großen Theil geopfert worden. Es scheint,
hätten sie alles Papier und Pergament, jedes geschriebene oder gedruckte
Wort, das nicht von einem ihrer Rotte verfaßt war, dem Untergang geweiht.

Der Neukatholieismus hat auch hier, wie in Böhmen, dessen Geschicke


Glatz ist durch und durch deutsch; ob von jeher, wie manche glauben,
die von der alten Hypothese einer deutschen Urbevölkerung in den Sudeten
nicht lassen wollen, obgleich die meisten Fluß- und Berg-, ja sogar viele ältere
Ortsnamen unzweifelhaft slavisch sind, oder erst durch eine intensive deutsche
Colonisation im Mittelalter sehr früh und vollständig, wie nur irgend ein
Theil des schlesischen Tieflandes, dem Deutschthum wieder gewonnen, lassen
wir hier bei Seite. Wie für das ganze deutsche Schlesien gab es auch für
Glatz eine Periode, es war die glänzendste ihres ganzen bisherigen Daseins,
wo man hier nur evangelische Christen fand und der Katholicismus in einige
Klöster und adeliche Familien, die ihre Connexionen mit Wien oder Prag nicht
verderben wollten, sich verkrochen hatte. Seit 1624 hat sich das durch die
bekannten Liechtensteinischen Dragonaden gründlich geändert: kein Theil
Schlesiens, oder vielmehr, da Glatz damals in gar keiner Verbindung mit
Schlesien stand, sondern direct zu Böhmen gehörte, kein Theil Böhmens hat
ein so furchtbares Martyrium zu bestehn gehabt als dieses grüne, so friedlich
anmuthig ausschauende Ländchen. Böhmen hatte doch noch einen geringen
Bruchtheil katholischer Bevölkerung, in Glatz fehlte auch dieser und doch ist
es hier in 20 — 30 Jahren gelungen, jede Spur des Protestantismus aus¬
zutilgen. Es ist das buchstäblich zu nehmen, denn die Jesuiten und Kapuziner
begnügten sich nicht damit, auf ihre bekannte Weise zu „bekehren", sie zer¬
störten auch alles und jedes, was auf die glückliche Periode der evangelischen
Zeit irgend welchen Bezug hatte oder dafür zeugen konnte. Alle Kirchenbücher
von 1530 an, wo das Evangelium gesiegt hatte, bis 1624 sind systematisch
vernichtet, aber auch alle andern kirchlichen oder öffentlichen Urkunden, aus
denen man den früheren Stand der Religion irgend hätte erkennen können.
Ueberall hat diese neukatholische Reaction vollständig mit der Geschichte ge¬
brochen, weil diese den Stab über sie brechen mußte, aber so wie hier mit
solchem Raffinement und in solcher Ungestörtheit und Vollständigkeit ist
es nirgends geschehen. Glatz kann sich auch darin rühmen, ein Unicum
zu sein. —

So geht die Kirchengeschichte oder was den Schwarzen dasselbe bedeutet,
die Weltgeschichte für das Glatzer Ländchen mit dem Jahre 1624 an. Alles
frühere, die evangelische, wie die mittelalterliche ächt katholische Zeit existirt
hier nicht, denn auch die städtischen bürgerlichen Urkunden aus noch früherer
Vergangenheit sind dem Feuereifer dieser neukatholischen Vertilger jeder Spur
von menschlicher Bildung zum großen Theil geopfert worden. Es scheint,
hätten sie alles Papier und Pergament, jedes geschriebene oder gedruckte
Wort, das nicht von einem ihrer Rotte verfaßt war, dem Untergang geweiht.

Der Neukatholieismus hat auch hier, wie in Böhmen, dessen Geschicke


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[0499] Glatz ist durch und durch deutsch; ob von jeher, wie manche glauben, die von der alten Hypothese einer deutschen Urbevölkerung in den Sudeten nicht lassen wollen, obgleich die meisten Fluß- und Berg-, ja sogar viele ältere Ortsnamen unzweifelhaft slavisch sind, oder erst durch eine intensive deutsche Colonisation im Mittelalter sehr früh und vollständig, wie nur irgend ein Theil des schlesischen Tieflandes, dem Deutschthum wieder gewonnen, lassen wir hier bei Seite. Wie für das ganze deutsche Schlesien gab es auch für Glatz eine Periode, es war die glänzendste ihres ganzen bisherigen Daseins, wo man hier nur evangelische Christen fand und der Katholicismus in einige Klöster und adeliche Familien, die ihre Connexionen mit Wien oder Prag nicht verderben wollten, sich verkrochen hatte. Seit 1624 hat sich das durch die bekannten Liechtensteinischen Dragonaden gründlich geändert: kein Theil Schlesiens, oder vielmehr, da Glatz damals in gar keiner Verbindung mit Schlesien stand, sondern direct zu Böhmen gehörte, kein Theil Böhmens hat ein so furchtbares Martyrium zu bestehn gehabt als dieses grüne, so friedlich anmuthig ausschauende Ländchen. Böhmen hatte doch noch einen geringen Bruchtheil katholischer Bevölkerung, in Glatz fehlte auch dieser und doch ist es hier in 20 — 30 Jahren gelungen, jede Spur des Protestantismus aus¬ zutilgen. Es ist das buchstäblich zu nehmen, denn die Jesuiten und Kapuziner begnügten sich nicht damit, auf ihre bekannte Weise zu „bekehren", sie zer¬ störten auch alles und jedes, was auf die glückliche Periode der evangelischen Zeit irgend welchen Bezug hatte oder dafür zeugen konnte. Alle Kirchenbücher von 1530 an, wo das Evangelium gesiegt hatte, bis 1624 sind systematisch vernichtet, aber auch alle andern kirchlichen oder öffentlichen Urkunden, aus denen man den früheren Stand der Religion irgend hätte erkennen können. Ueberall hat diese neukatholische Reaction vollständig mit der Geschichte ge¬ brochen, weil diese den Stab über sie brechen mußte, aber so wie hier mit solchem Raffinement und in solcher Ungestörtheit und Vollständigkeit ist es nirgends geschehen. Glatz kann sich auch darin rühmen, ein Unicum zu sein. — So geht die Kirchengeschichte oder was den Schwarzen dasselbe bedeutet, die Weltgeschichte für das Glatzer Ländchen mit dem Jahre 1624 an. Alles frühere, die evangelische, wie die mittelalterliche ächt katholische Zeit existirt hier nicht, denn auch die städtischen bürgerlichen Urkunden aus noch früherer Vergangenheit sind dem Feuereifer dieser neukatholischen Vertilger jeder Spur von menschlicher Bildung zum großen Theil geopfert worden. Es scheint, hätten sie alles Papier und Pergament, jedes geschriebene oder gedruckte Wort, das nicht von einem ihrer Rotte verfaßt war, dem Untergang geweiht. Der Neukatholieismus hat auch hier, wie in Böhmen, dessen Geschicke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/499>, abgerufen am 29.06.2024.