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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Schaden angerichtet, aber es wäre thörichter Leichtsinn, wenn man glauben
wollte, sie hätten gar nichts gewirkt. Es ist doch eine gewisse aufgeregte,
mürrische Stimmung in den sonst so bequem - gemüthlichen und leicht zu
handhabenden gemeinen Mann gekommen und überall fehlt es auch nicht
an einzelnen Fanatikern, die sich zu den Gebildeten zählen, weil ihr Geld¬
beutel ihnen erlaubt, sich kostbarere Möbel anzuschaffen und zehnmal üppiger
zu "leben", d. h. zu essen und zu trinken, als es früher in den bessern Zeiten
unserer Volkscultur die wirklich Gebildeten thaten.

Daß die Nationalität hiebei eine sehr wichtige Rolle spielt, zeigt sich von
Tag zu Tag deutlicher. Das oberschlesische ländliche Proletariat, welches in
Folge des systematischen Vertilgungskrieges, den die österreichische Regierung
seir 1624 gegen die auch dort schon wohl verheißungsvoll gediehene deutsche
Colonisation führte, weil sie, als deutsch, meist evangelisch war, ist in Folge
dessen nicht bloß stockkatholisch, sondern auch stockpolnisch geblieben. Es sind
die berüchtigten Wasserpolacken, bis 1866 für den Staat die harmlosesten Leute
und wenn gehörig gewaschen und gekämmt, ein ausgezeichnetes Material zu
Soldaten. Seit dieser Zeit wühlen dort polnische und schwarze Emissäre im
herzlichsten EinVerständniß, wie überall, und mit unleugbar großem Erfolg.
Die Kenntniß der deutschen Sprache hat dort, trotz der fortwährenden Ein¬
wanderung Deutscher in die Städte, die Sitze der weltbekannten schlesischen
Montanindustrie und-Speculation, entschiedene Rückschritte gemacht, wie selbst
die officiellen Berichte eingestehn. Mit dem Sturze des unseligen Muster'schen
Regimes ist zwar auch hier ein Ansatz zur Selbstbesinnung auf Seiten der
Staatsgewalt gemacht, aber seine Früchte werden in diesem Jahrhundert noch
kaum reifen. Für den Augenblick sind diese Wasserpolacken ebenso von na¬
tionaler wie von religiöser Wiederhaarigkeit gegen alles, was deutsch und
evangelisch ist, geradezu in eine Art von Rausch versetzt, der sich bei manchen
Gelegenheiten z. B. bei den Excessen in Königshütte und dem neuesten Unfug
bei den Schulinspectionen und Revisionen auf eine Weise entladen hat, die
viel zu denken giebt.

Es bedürfte noch mindestens 30 -- 40 Jahre fortgesetzter Wühlereien, ehe
die deutschen Katholiken hier zu Lande so weit verhetzt wären, wie ihre pol¬
nischen "Glaubensbrüder." Aber daß man überhaupt nur wagen darf, auch
ihnen das kirchliche Bekenntniß als das eigentlich Bindende, die Nationalität
als das Nebensächliche darzustellen, beweist wie frech die Feinde unseres Volkes
schon geworden sind und wie wenig alle die bisher gegen sie verwandten
Mittel angeschlagen haben. 20 ja 12 Jahre rückwärts von heute würde sich
jeder deutsche schlesische Katholik der "Brüderschaft" mit einem Wasserpolacken
geschämt haben, jetzt wird es schon nicht mehr als Injurie, sondern als eine
unleugbare, wenn auch übelmundende Wahrheit angenommen.


Schaden angerichtet, aber es wäre thörichter Leichtsinn, wenn man glauben
wollte, sie hätten gar nichts gewirkt. Es ist doch eine gewisse aufgeregte,
mürrische Stimmung in den sonst so bequem - gemüthlichen und leicht zu
handhabenden gemeinen Mann gekommen und überall fehlt es auch nicht
an einzelnen Fanatikern, die sich zu den Gebildeten zählen, weil ihr Geld¬
beutel ihnen erlaubt, sich kostbarere Möbel anzuschaffen und zehnmal üppiger
zu „leben", d. h. zu essen und zu trinken, als es früher in den bessern Zeiten
unserer Volkscultur die wirklich Gebildeten thaten.

Daß die Nationalität hiebei eine sehr wichtige Rolle spielt, zeigt sich von
Tag zu Tag deutlicher. Das oberschlesische ländliche Proletariat, welches in
Folge des systematischen Vertilgungskrieges, den die österreichische Regierung
seir 1624 gegen die auch dort schon wohl verheißungsvoll gediehene deutsche
Colonisation führte, weil sie, als deutsch, meist evangelisch war, ist in Folge
dessen nicht bloß stockkatholisch, sondern auch stockpolnisch geblieben. Es sind
die berüchtigten Wasserpolacken, bis 1866 für den Staat die harmlosesten Leute
und wenn gehörig gewaschen und gekämmt, ein ausgezeichnetes Material zu
Soldaten. Seit dieser Zeit wühlen dort polnische und schwarze Emissäre im
herzlichsten EinVerständniß, wie überall, und mit unleugbar großem Erfolg.
Die Kenntniß der deutschen Sprache hat dort, trotz der fortwährenden Ein¬
wanderung Deutscher in die Städte, die Sitze der weltbekannten schlesischen
Montanindustrie und-Speculation, entschiedene Rückschritte gemacht, wie selbst
die officiellen Berichte eingestehn. Mit dem Sturze des unseligen Muster'schen
Regimes ist zwar auch hier ein Ansatz zur Selbstbesinnung auf Seiten der
Staatsgewalt gemacht, aber seine Früchte werden in diesem Jahrhundert noch
kaum reifen. Für den Augenblick sind diese Wasserpolacken ebenso von na¬
tionaler wie von religiöser Wiederhaarigkeit gegen alles, was deutsch und
evangelisch ist, geradezu in eine Art von Rausch versetzt, der sich bei manchen
Gelegenheiten z. B. bei den Excessen in Königshütte und dem neuesten Unfug
bei den Schulinspectionen und Revisionen auf eine Weise entladen hat, die
viel zu denken giebt.

Es bedürfte noch mindestens 30 — 40 Jahre fortgesetzter Wühlereien, ehe
die deutschen Katholiken hier zu Lande so weit verhetzt wären, wie ihre pol¬
nischen „Glaubensbrüder." Aber daß man überhaupt nur wagen darf, auch
ihnen das kirchliche Bekenntniß als das eigentlich Bindende, die Nationalität
als das Nebensächliche darzustellen, beweist wie frech die Feinde unseres Volkes
schon geworden sind und wie wenig alle die bisher gegen sie verwandten
Mittel angeschlagen haben. 20 ja 12 Jahre rückwärts von heute würde sich
jeder deutsche schlesische Katholik der „Brüderschaft" mit einem Wasserpolacken
geschämt haben, jetzt wird es schon nicht mehr als Injurie, sondern als eine
unleugbare, wenn auch übelmundende Wahrheit angenommen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/498>, abgerufen am 29.06.2024.