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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Besitz, ebenso aber auch die Oesterreicher: beiden schien das von natürlichen
Mauern umwallte Land die beste Ausfallpforte sei es nach Schlesien, sei es
nach Böhmen und wirklich hat es in dieser letzteren Eigenschaft im Kartoffel¬
kriege von 1779 und im deutschen Kriege von 1866, wie man weiß, eine be¬
deutsame Rolle gespielt. Gar zu gerne hätte man es in Wien sich wieder
mit verschafft, und da es einstweilen mit der Gewalt so großartig mißglückt
war, klopfte die österreichische Diplomatie immer wieder an, versteht sich unter
dem Angebot der scheinbar glänzendsten Entschädigungen, aber immer ver¬
gebens. In diese Rubrik gehört jene erst neuerlich bekannt gewordene Aeuße¬
rung des Königs in Bezug auf einen dieser österreichischen Lockvögel, der ihm
Hunderte von Quadratmeilen des köstlichsten Weizenbodens am Sau und
Dniester in Galizien für die paar armseligen Fetzen Landes ohne Ackerbau
und ohne sonstige Werthstücke bot: "der Herr van Swieten muß wohl glauben,
daß sich mein Chiragra aus den Händen in den Kopf gezogen hat, sonst könnte
er mir mit einem solchen Vorschlag nicht kommen." Glatz blieb also preußisch
und es kümmerte den König nicht viel, daß damit ein unmittelbarer Bestand¬
theil des eigentlichen Böhmens der heiligen Wenzelskrone ausgebrochen war.
Hatte er ihr doch durch Schlesiens' Eroberung noch ganz andere Edelsteine ge¬
raubt, ohne sich das nationale Herzweh der Tschechen, die damals freilich noch
nicht erfunden waren, anfechten zu lassen.--.

Friedrich verband darum auch das Ländchen in administrativer Hinsicht
mit dem großen Schlesien; und der Minister für Schlesien, ungefähr das, was
jetzt ein Oberpräsident ist, hatte auch Glatz sich unterstehn. Auch hier hat die
"Verpreußung" wie unsere süddeutschen Freunde das nannten, in sehr kurzer
Zeit alles erfaßt. Man fühlte sich auch hier zum erstenmal von Vernunft,
Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit regiert, das sind von jeher die besten Vor¬
kämpfer jenes fürchterlichen Frevels an der Majestät der deutschen Lümmelei
und Rüpelhaftigkeit gewesen. --

Nur in einer Beziehung bleibt die Verbindung mit Böhmen bis heu¬
tigen Tages bestehn; Glatz ist nicht Breslau. sondern Prag kirchlich sub-
ordinire. Damals mochte man auf solche scheinbar für immer beseitigte An¬
tiquitäten keinen Werth legen: im gegenwärtigen Moment könnte aber doch
leicht durch einen boshaften Zufall der preußischen Regierung manche Ver¬
legenheit daraus erwachsen. Wenn bis jetzt noch nichts davon verlautet hat,
so giebt das keine Garantie für die noch unabsehbaren Verschling ungen, die
der Zukunft unseres größten Kampfes vorbehalten sind. Hat ja schon die
gleichsam zum Aequivalant ähnliche Doppelstellung gewisser Theile von öster-
reichisch-Schlesien, die kirchlich zur Diöcese Breslau gehören, allerlei Unan¬
nehmlichkeiten in ihrem Gefolge gehabt. Der Breslauer Bischof Förster sitzt
auf seinem Johannesberg unerreichbar selbst für den starken Arm, gegen den


Besitz, ebenso aber auch die Oesterreicher: beiden schien das von natürlichen
Mauern umwallte Land die beste Ausfallpforte sei es nach Schlesien, sei es
nach Böhmen und wirklich hat es in dieser letzteren Eigenschaft im Kartoffel¬
kriege von 1779 und im deutschen Kriege von 1866, wie man weiß, eine be¬
deutsame Rolle gespielt. Gar zu gerne hätte man es in Wien sich wieder
mit verschafft, und da es einstweilen mit der Gewalt so großartig mißglückt
war, klopfte die österreichische Diplomatie immer wieder an, versteht sich unter
dem Angebot der scheinbar glänzendsten Entschädigungen, aber immer ver¬
gebens. In diese Rubrik gehört jene erst neuerlich bekannt gewordene Aeuße¬
rung des Königs in Bezug auf einen dieser österreichischen Lockvögel, der ihm
Hunderte von Quadratmeilen des köstlichsten Weizenbodens am Sau und
Dniester in Galizien für die paar armseligen Fetzen Landes ohne Ackerbau
und ohne sonstige Werthstücke bot: „der Herr van Swieten muß wohl glauben,
daß sich mein Chiragra aus den Händen in den Kopf gezogen hat, sonst könnte
er mir mit einem solchen Vorschlag nicht kommen." Glatz blieb also preußisch
und es kümmerte den König nicht viel, daß damit ein unmittelbarer Bestand¬
theil des eigentlichen Böhmens der heiligen Wenzelskrone ausgebrochen war.
Hatte er ihr doch durch Schlesiens' Eroberung noch ganz andere Edelsteine ge¬
raubt, ohne sich das nationale Herzweh der Tschechen, die damals freilich noch
nicht erfunden waren, anfechten zu lassen.—.

Friedrich verband darum auch das Ländchen in administrativer Hinsicht
mit dem großen Schlesien; und der Minister für Schlesien, ungefähr das, was
jetzt ein Oberpräsident ist, hatte auch Glatz sich unterstehn. Auch hier hat die
„Verpreußung" wie unsere süddeutschen Freunde das nannten, in sehr kurzer
Zeit alles erfaßt. Man fühlte sich auch hier zum erstenmal von Vernunft,
Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit regiert, das sind von jeher die besten Vor¬
kämpfer jenes fürchterlichen Frevels an der Majestät der deutschen Lümmelei
und Rüpelhaftigkeit gewesen. —

Nur in einer Beziehung bleibt die Verbindung mit Böhmen bis heu¬
tigen Tages bestehn; Glatz ist nicht Breslau. sondern Prag kirchlich sub-
ordinire. Damals mochte man auf solche scheinbar für immer beseitigte An¬
tiquitäten keinen Werth legen: im gegenwärtigen Moment könnte aber doch
leicht durch einen boshaften Zufall der preußischen Regierung manche Ver¬
legenheit daraus erwachsen. Wenn bis jetzt noch nichts davon verlautet hat,
so giebt das keine Garantie für die noch unabsehbaren Verschling ungen, die
der Zukunft unseres größten Kampfes vorbehalten sind. Hat ja schon die
gleichsam zum Aequivalant ähnliche Doppelstellung gewisser Theile von öster-
reichisch-Schlesien, die kirchlich zur Diöcese Breslau gehören, allerlei Unan¬
nehmlichkeiten in ihrem Gefolge gehabt. Der Breslauer Bischof Förster sitzt
auf seinem Johannesberg unerreichbar selbst für den starken Arm, gegen den


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[0496] Besitz, ebenso aber auch die Oesterreicher: beiden schien das von natürlichen Mauern umwallte Land die beste Ausfallpforte sei es nach Schlesien, sei es nach Böhmen und wirklich hat es in dieser letzteren Eigenschaft im Kartoffel¬ kriege von 1779 und im deutschen Kriege von 1866, wie man weiß, eine be¬ deutsame Rolle gespielt. Gar zu gerne hätte man es in Wien sich wieder mit verschafft, und da es einstweilen mit der Gewalt so großartig mißglückt war, klopfte die österreichische Diplomatie immer wieder an, versteht sich unter dem Angebot der scheinbar glänzendsten Entschädigungen, aber immer ver¬ gebens. In diese Rubrik gehört jene erst neuerlich bekannt gewordene Aeuße¬ rung des Königs in Bezug auf einen dieser österreichischen Lockvögel, der ihm Hunderte von Quadratmeilen des köstlichsten Weizenbodens am Sau und Dniester in Galizien für die paar armseligen Fetzen Landes ohne Ackerbau und ohne sonstige Werthstücke bot: „der Herr van Swieten muß wohl glauben, daß sich mein Chiragra aus den Händen in den Kopf gezogen hat, sonst könnte er mir mit einem solchen Vorschlag nicht kommen." Glatz blieb also preußisch und es kümmerte den König nicht viel, daß damit ein unmittelbarer Bestand¬ theil des eigentlichen Böhmens der heiligen Wenzelskrone ausgebrochen war. Hatte er ihr doch durch Schlesiens' Eroberung noch ganz andere Edelsteine ge¬ raubt, ohne sich das nationale Herzweh der Tschechen, die damals freilich noch nicht erfunden waren, anfechten zu lassen.—. Friedrich verband darum auch das Ländchen in administrativer Hinsicht mit dem großen Schlesien; und der Minister für Schlesien, ungefähr das, was jetzt ein Oberpräsident ist, hatte auch Glatz sich unterstehn. Auch hier hat die „Verpreußung" wie unsere süddeutschen Freunde das nannten, in sehr kurzer Zeit alles erfaßt. Man fühlte sich auch hier zum erstenmal von Vernunft, Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit regiert, das sind von jeher die besten Vor¬ kämpfer jenes fürchterlichen Frevels an der Majestät der deutschen Lümmelei und Rüpelhaftigkeit gewesen. — Nur in einer Beziehung bleibt die Verbindung mit Böhmen bis heu¬ tigen Tages bestehn; Glatz ist nicht Breslau. sondern Prag kirchlich sub- ordinire. Damals mochte man auf solche scheinbar für immer beseitigte An¬ tiquitäten keinen Werth legen: im gegenwärtigen Moment könnte aber doch leicht durch einen boshaften Zufall der preußischen Regierung manche Ver¬ legenheit daraus erwachsen. Wenn bis jetzt noch nichts davon verlautet hat, so giebt das keine Garantie für die noch unabsehbaren Verschling ungen, die der Zukunft unseres größten Kampfes vorbehalten sind. Hat ja schon die gleichsam zum Aequivalant ähnliche Doppelstellung gewisser Theile von öster- reichisch-Schlesien, die kirchlich zur Diöcese Breslau gehören, allerlei Unan¬ nehmlichkeiten in ihrem Gefolge gehabt. Der Breslauer Bischof Förster sitzt auf seinem Johannesberg unerreichbar selbst für den starken Arm, gegen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/496>, abgerufen am 29.06.2024.