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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Grafschaft verläßt, nicht mit der Wassermenge der Elbe bei Tetschen, relativ
genommen, wie unsere Elbschiffahrt leider weiß, rivalisiren. Doch ist auch
diese Neisse ein stattlicher Fluß, der in seiner Doppelartigkeit als Gebirgs-
strom und als dem Tiefland bestimmter eigentlicher Fluß sowohl durch seine
Fülle, wie durch seine Breite, wie auch durch die Anmuth seiner Färbung
recht überraschend auf das Auge wirkt, wenn es ihm zum erstenmale etwa
bei Kamenz oder dem schon genannten Wartha begegnet. Denn hier wo die
Steilwände der Gebirge zwei bis dreitausend Fuß fast unvermittelt aus der
vorgelagerten mehr Ebene als Hügelland aufsteigen, begreift man im ersten
Augenblick gar nicht, wie es möglich sei, daß ein solcher Fluß einem gerade
von jener Gebirgsmauer her entgegen strömen könne, die nur Raum für
Wildbäche, überhaupt für kurze und seichte Wasserläufe zu haben scheint, bis
sich dann das Räthsel bei dem Eintritt in den Durchbruch südlich von Wartha
löst. Hier wiederholt sich wieder in kleineren aber zierlichen Dimensionen und
in ganz anderem Gestein, folglich auch in anderen Formen, der Elbdurchbruch
der sächsischen Schweiz. Diese landschaftlichen Formen sind in ihrer Art
jenen weltberühmten der sächsischen Schweiz recht wohl an die Seite zu stellen,
nur darf man nicht von dem, was man auf der Eisenbahn davon zu sehen
bekommt, auf das Nichtsichtbare schließen. Die Eisenbahn hat hier ihre ganze
schönheitswidrige und landschaftverwüstende Kraft, wie kaum irgend wo an¬
ders in Deutschland, entfaltet. Es sind riesige Durchstiche angebracht, oder
vielmehr Abböschungen auf der einen Thalseite, die dem Auge des Laien von
mehr als erlaubter Keckheit zu sein dünken. Diese Halden von Geröll und
Felsgeschiebe, deren Höhe der Blick nicht zu ermessen vermag, haben auf
Stundenweit das landschaftliche Bild das Felsthales ganz zerstört.

Der Paß bei Wartha ist die einzige natürliche Verbindung des Landes
mit Schlesien, aber auch er führte als moderne Kunststraße nicht durch die
Felsenschlunde am Strome, sondern hoch oben über die Rücken des Grenz-
gebirgs. die die Eisenbahn mit ächt modernem Selbstbewußtsein sich mitten
hindurch gebohrt hat, warum nicht lieber in einem Tunnel, dürfte schwer zu
sagen sein.

Die Fahrstraße ist im ganzen die nämliche, auf der die preußischen Sol¬
daten 1741 in die Grafschaft hineinzogen und sie nach einer verhältnißmäßig
nicht schwierigen Belagerung der Stadt Glatz auf immer für Preußen eroberten.
Es war eine schöne Zugabe zu dem Hauptobjecte Schlesien und so konnte
der große König die UnVollständigkeit seiner Besitznahme verschmerzen, die
trotz der drei schlesischen Kriege doch noch immer etwa '/j des Ganzen in
österreichischen Händen lassen mußte, "weil es wieder nicht losgehn wollte"
wie Hebel 1815 nach dem zweiten Pariser Frieden von Elsaß und Lothringen
sagte. Als Stratege legte Friedrich den größten Werth auf diesen kleinen


Grafschaft verläßt, nicht mit der Wassermenge der Elbe bei Tetschen, relativ
genommen, wie unsere Elbschiffahrt leider weiß, rivalisiren. Doch ist auch
diese Neisse ein stattlicher Fluß, der in seiner Doppelartigkeit als Gebirgs-
strom und als dem Tiefland bestimmter eigentlicher Fluß sowohl durch seine
Fülle, wie durch seine Breite, wie auch durch die Anmuth seiner Färbung
recht überraschend auf das Auge wirkt, wenn es ihm zum erstenmale etwa
bei Kamenz oder dem schon genannten Wartha begegnet. Denn hier wo die
Steilwände der Gebirge zwei bis dreitausend Fuß fast unvermittelt aus der
vorgelagerten mehr Ebene als Hügelland aufsteigen, begreift man im ersten
Augenblick gar nicht, wie es möglich sei, daß ein solcher Fluß einem gerade
von jener Gebirgsmauer her entgegen strömen könne, die nur Raum für
Wildbäche, überhaupt für kurze und seichte Wasserläufe zu haben scheint, bis
sich dann das Räthsel bei dem Eintritt in den Durchbruch südlich von Wartha
löst. Hier wiederholt sich wieder in kleineren aber zierlichen Dimensionen und
in ganz anderem Gestein, folglich auch in anderen Formen, der Elbdurchbruch
der sächsischen Schweiz. Diese landschaftlichen Formen sind in ihrer Art
jenen weltberühmten der sächsischen Schweiz recht wohl an die Seite zu stellen,
nur darf man nicht von dem, was man auf der Eisenbahn davon zu sehen
bekommt, auf das Nichtsichtbare schließen. Die Eisenbahn hat hier ihre ganze
schönheitswidrige und landschaftverwüstende Kraft, wie kaum irgend wo an¬
ders in Deutschland, entfaltet. Es sind riesige Durchstiche angebracht, oder
vielmehr Abböschungen auf der einen Thalseite, die dem Auge des Laien von
mehr als erlaubter Keckheit zu sein dünken. Diese Halden von Geröll und
Felsgeschiebe, deren Höhe der Blick nicht zu ermessen vermag, haben auf
Stundenweit das landschaftliche Bild das Felsthales ganz zerstört.

Der Paß bei Wartha ist die einzige natürliche Verbindung des Landes
mit Schlesien, aber auch er führte als moderne Kunststraße nicht durch die
Felsenschlunde am Strome, sondern hoch oben über die Rücken des Grenz-
gebirgs. die die Eisenbahn mit ächt modernem Selbstbewußtsein sich mitten
hindurch gebohrt hat, warum nicht lieber in einem Tunnel, dürfte schwer zu
sagen sein.

Die Fahrstraße ist im ganzen die nämliche, auf der die preußischen Sol¬
daten 1741 in die Grafschaft hineinzogen und sie nach einer verhältnißmäßig
nicht schwierigen Belagerung der Stadt Glatz auf immer für Preußen eroberten.
Es war eine schöne Zugabe zu dem Hauptobjecte Schlesien und so konnte
der große König die UnVollständigkeit seiner Besitznahme verschmerzen, die
trotz der drei schlesischen Kriege doch noch immer etwa '/j des Ganzen in
österreichischen Händen lassen mußte, „weil es wieder nicht losgehn wollte"
wie Hebel 1815 nach dem zweiten Pariser Frieden von Elsaß und Lothringen
sagte. Als Stratege legte Friedrich den größten Werth auf diesen kleinen


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[0495] Grafschaft verläßt, nicht mit der Wassermenge der Elbe bei Tetschen, relativ genommen, wie unsere Elbschiffahrt leider weiß, rivalisiren. Doch ist auch diese Neisse ein stattlicher Fluß, der in seiner Doppelartigkeit als Gebirgs- strom und als dem Tiefland bestimmter eigentlicher Fluß sowohl durch seine Fülle, wie durch seine Breite, wie auch durch die Anmuth seiner Färbung recht überraschend auf das Auge wirkt, wenn es ihm zum erstenmale etwa bei Kamenz oder dem schon genannten Wartha begegnet. Denn hier wo die Steilwände der Gebirge zwei bis dreitausend Fuß fast unvermittelt aus der vorgelagerten mehr Ebene als Hügelland aufsteigen, begreift man im ersten Augenblick gar nicht, wie es möglich sei, daß ein solcher Fluß einem gerade von jener Gebirgsmauer her entgegen strömen könne, die nur Raum für Wildbäche, überhaupt für kurze und seichte Wasserläufe zu haben scheint, bis sich dann das Räthsel bei dem Eintritt in den Durchbruch südlich von Wartha löst. Hier wiederholt sich wieder in kleineren aber zierlichen Dimensionen und in ganz anderem Gestein, folglich auch in anderen Formen, der Elbdurchbruch der sächsischen Schweiz. Diese landschaftlichen Formen sind in ihrer Art jenen weltberühmten der sächsischen Schweiz recht wohl an die Seite zu stellen, nur darf man nicht von dem, was man auf der Eisenbahn davon zu sehen bekommt, auf das Nichtsichtbare schließen. Die Eisenbahn hat hier ihre ganze schönheitswidrige und landschaftverwüstende Kraft, wie kaum irgend wo an¬ ders in Deutschland, entfaltet. Es sind riesige Durchstiche angebracht, oder vielmehr Abböschungen auf der einen Thalseite, die dem Auge des Laien von mehr als erlaubter Keckheit zu sein dünken. Diese Halden von Geröll und Felsgeschiebe, deren Höhe der Blick nicht zu ermessen vermag, haben auf Stundenweit das landschaftliche Bild das Felsthales ganz zerstört. Der Paß bei Wartha ist die einzige natürliche Verbindung des Landes mit Schlesien, aber auch er führte als moderne Kunststraße nicht durch die Felsenschlunde am Strome, sondern hoch oben über die Rücken des Grenz- gebirgs. die die Eisenbahn mit ächt modernem Selbstbewußtsein sich mitten hindurch gebohrt hat, warum nicht lieber in einem Tunnel, dürfte schwer zu sagen sein. Die Fahrstraße ist im ganzen die nämliche, auf der die preußischen Sol¬ daten 1741 in die Grafschaft hineinzogen und sie nach einer verhältnißmäßig nicht schwierigen Belagerung der Stadt Glatz auf immer für Preußen eroberten. Es war eine schöne Zugabe zu dem Hauptobjecte Schlesien und so konnte der große König die UnVollständigkeit seiner Besitznahme verschmerzen, die trotz der drei schlesischen Kriege doch noch immer etwa '/j des Ganzen in österreichischen Händen lassen mußte, „weil es wieder nicht losgehn wollte" wie Hebel 1815 nach dem zweiten Pariser Frieden von Elsaß und Lothringen sagte. Als Stratege legte Friedrich den größten Werth auf diesen kleinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/495>, abgerufen am 29.06.2024.