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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Motive, die den einen Körper geschaffen, zugleich im engsten räumlichen Zu¬
sammenfluß beider, auch mit der Erdoberfläche zu versuchen. So weit unser
Blick reicht, ist nirgends eine in solch großartigem Maßstab angelegte ähnliche
topische Gestaltung zu entdecken und Glatz oder vielmehr das Glatzerland ist
in dieser Hinsicht ein Unicum, vor dem aber selbst unser modernes etwas ge¬
hobeneres geographisches Wissen, denn eine Wissenschaft ist noch lange nicht
daraus geworden, keine Notiz nimmt.

Aber die Zwillinge heißen nicht Schlesien und Glatz', sondern Böhmen
und Glatz und die topische Bildung von Schlesien hat nicht den geringsten
Anspruch sich brüderlich neben die von Glatz zu stellen. Sie ist gerade nach
dem entgegengesetzten Systeme angelegt, insofern eine interessante Folie zu
jener und gleichsam nur durch eine geistvolle Laune der Natur zu einer
Stelle mit jener vermittelt, freilich wieder so eigenthümlich, daß sich daraus
jenes "und" zwischen Schlesien und Glatz auch im copulativen Sinne ver¬
steh" läßt.

Das 900 Quadratmeilen große verschobene Viereck Böhmen ist bekannt¬
lich nur eine einzige Kessel-oder Beckenbildung ausgedehntester Dimension. Jeder
Tropfen Wasser, der von einem seiner vier Ränder herabfließt oder der sonst in
den unzähligen Hebungen und Senkungen des Bodens dieses Kessels seinen
Ursprung hat, sammelt sich zuletzt in einem einzigen Rinnsal, der unter dem
Namen Elbe den Nordrand geradezu durchbricht. Genau nach demselben
Plane hat die Natur die Bodengestaltung von Glatz gearbeitet, nur daß
es ihr dabei, im Gegensatz zu der nüchternen und unförmigen Colossalität
des böhmischen Bodenreliefs darum zu thun gewesen scheint, hier in Glatz
auf kleinem Raum, aber in desto großartiger angelegten und durchgeführten
Motiven etwas durch und durch anmuthiges und erfreuliches zu Stande zu
bringen. Denn das Größenverhältniß ist wie 30 zu 3: Böhmen ist gerade
30 mal größer als Glatz, das kaum 30 Quadratmeilen hat, aber aus diese 30 eine
solche Fülle der reichsten Bodenausgestaltung, daß nur einzelnes auf böhmi¬
scher Seite, etwa der Absturz des Riesengebirges nach Süden bei Johannis-
bad und der Elbdurchbruch unterhalb Leitmeritz an landschaftlicher Schönheit
daneben gestellt werden kann.

Was für Böhmen die Elbe, das ist für Glatz die Neisse: auch sie führt
jeden Tropfen Wasser, der dem Ländchen gehört, aus ihm hinweg, denn daß
durch den Zufall der Geschichte an den eigentlichen Kern des Glatzer Landes
einige Streifen aus dem Elbgebiete, die ihrer topischen Beschaffenheit nach zu
Böhmen gehörten, angeflickt worden sind, kommt natürlich nicht dabei in
Betracht, so wenig, als daß Böhmen im Sinne der Statistik oder politischen
Geographie einen natürlichen Zubehör seiner topischen Vollständigkeit, das
Quellgebiet der Eger entbehrt. Freilich kann die Neisse bei Wartha, wo sie diese


Motive, die den einen Körper geschaffen, zugleich im engsten räumlichen Zu¬
sammenfluß beider, auch mit der Erdoberfläche zu versuchen. So weit unser
Blick reicht, ist nirgends eine in solch großartigem Maßstab angelegte ähnliche
topische Gestaltung zu entdecken und Glatz oder vielmehr das Glatzerland ist
in dieser Hinsicht ein Unicum, vor dem aber selbst unser modernes etwas ge¬
hobeneres geographisches Wissen, denn eine Wissenschaft ist noch lange nicht
daraus geworden, keine Notiz nimmt.

Aber die Zwillinge heißen nicht Schlesien und Glatz', sondern Böhmen
und Glatz und die topische Bildung von Schlesien hat nicht den geringsten
Anspruch sich brüderlich neben die von Glatz zu stellen. Sie ist gerade nach
dem entgegengesetzten Systeme angelegt, insofern eine interessante Folie zu
jener und gleichsam nur durch eine geistvolle Laune der Natur zu einer
Stelle mit jener vermittelt, freilich wieder so eigenthümlich, daß sich daraus
jenes „und" zwischen Schlesien und Glatz auch im copulativen Sinne ver¬
steh« läßt.

Das 900 Quadratmeilen große verschobene Viereck Böhmen ist bekannt¬
lich nur eine einzige Kessel-oder Beckenbildung ausgedehntester Dimension. Jeder
Tropfen Wasser, der von einem seiner vier Ränder herabfließt oder der sonst in
den unzähligen Hebungen und Senkungen des Bodens dieses Kessels seinen
Ursprung hat, sammelt sich zuletzt in einem einzigen Rinnsal, der unter dem
Namen Elbe den Nordrand geradezu durchbricht. Genau nach demselben
Plane hat die Natur die Bodengestaltung von Glatz gearbeitet, nur daß
es ihr dabei, im Gegensatz zu der nüchternen und unförmigen Colossalität
des böhmischen Bodenreliefs darum zu thun gewesen scheint, hier in Glatz
auf kleinem Raum, aber in desto großartiger angelegten und durchgeführten
Motiven etwas durch und durch anmuthiges und erfreuliches zu Stande zu
bringen. Denn das Größenverhältniß ist wie 30 zu 3: Böhmen ist gerade
30 mal größer als Glatz, das kaum 30 Quadratmeilen hat, aber aus diese 30 eine
solche Fülle der reichsten Bodenausgestaltung, daß nur einzelnes auf böhmi¬
scher Seite, etwa der Absturz des Riesengebirges nach Süden bei Johannis-
bad und der Elbdurchbruch unterhalb Leitmeritz an landschaftlicher Schönheit
daneben gestellt werden kann.

Was für Böhmen die Elbe, das ist für Glatz die Neisse: auch sie führt
jeden Tropfen Wasser, der dem Ländchen gehört, aus ihm hinweg, denn daß
durch den Zufall der Geschichte an den eigentlichen Kern des Glatzer Landes
einige Streifen aus dem Elbgebiete, die ihrer topischen Beschaffenheit nach zu
Böhmen gehörten, angeflickt worden sind, kommt natürlich nicht dabei in
Betracht, so wenig, als daß Böhmen im Sinne der Statistik oder politischen
Geographie einen natürlichen Zubehör seiner topischen Vollständigkeit, das
Quellgebiet der Eger entbehrt. Freilich kann die Neisse bei Wartha, wo sie diese


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[0494] Motive, die den einen Körper geschaffen, zugleich im engsten räumlichen Zu¬ sammenfluß beider, auch mit der Erdoberfläche zu versuchen. So weit unser Blick reicht, ist nirgends eine in solch großartigem Maßstab angelegte ähnliche topische Gestaltung zu entdecken und Glatz oder vielmehr das Glatzerland ist in dieser Hinsicht ein Unicum, vor dem aber selbst unser modernes etwas ge¬ hobeneres geographisches Wissen, denn eine Wissenschaft ist noch lange nicht daraus geworden, keine Notiz nimmt. Aber die Zwillinge heißen nicht Schlesien und Glatz', sondern Böhmen und Glatz und die topische Bildung von Schlesien hat nicht den geringsten Anspruch sich brüderlich neben die von Glatz zu stellen. Sie ist gerade nach dem entgegengesetzten Systeme angelegt, insofern eine interessante Folie zu jener und gleichsam nur durch eine geistvolle Laune der Natur zu einer Stelle mit jener vermittelt, freilich wieder so eigenthümlich, daß sich daraus jenes „und" zwischen Schlesien und Glatz auch im copulativen Sinne ver¬ steh« läßt. Das 900 Quadratmeilen große verschobene Viereck Böhmen ist bekannt¬ lich nur eine einzige Kessel-oder Beckenbildung ausgedehntester Dimension. Jeder Tropfen Wasser, der von einem seiner vier Ränder herabfließt oder der sonst in den unzähligen Hebungen und Senkungen des Bodens dieses Kessels seinen Ursprung hat, sammelt sich zuletzt in einem einzigen Rinnsal, der unter dem Namen Elbe den Nordrand geradezu durchbricht. Genau nach demselben Plane hat die Natur die Bodengestaltung von Glatz gearbeitet, nur daß es ihr dabei, im Gegensatz zu der nüchternen und unförmigen Colossalität des böhmischen Bodenreliefs darum zu thun gewesen scheint, hier in Glatz auf kleinem Raum, aber in desto großartiger angelegten und durchgeführten Motiven etwas durch und durch anmuthiges und erfreuliches zu Stande zu bringen. Denn das Größenverhältniß ist wie 30 zu 3: Böhmen ist gerade 30 mal größer als Glatz, das kaum 30 Quadratmeilen hat, aber aus diese 30 eine solche Fülle der reichsten Bodenausgestaltung, daß nur einzelnes auf böhmi¬ scher Seite, etwa der Absturz des Riesengebirges nach Süden bei Johannis- bad und der Elbdurchbruch unterhalb Leitmeritz an landschaftlicher Schönheit daneben gestellt werden kann. Was für Böhmen die Elbe, das ist für Glatz die Neisse: auch sie führt jeden Tropfen Wasser, der dem Ländchen gehört, aus ihm hinweg, denn daß durch den Zufall der Geschichte an den eigentlichen Kern des Glatzer Landes einige Streifen aus dem Elbgebiete, die ihrer topischen Beschaffenheit nach zu Böhmen gehörten, angeflickt worden sind, kommt natürlich nicht dabei in Betracht, so wenig, als daß Böhmen im Sinne der Statistik oder politischen Geographie einen natürlichen Zubehör seiner topischen Vollständigkeit, das Quellgebiet der Eger entbehrt. Freilich kann die Neisse bei Wartha, wo sie diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/494>, abgerufen am 28.09.2024.