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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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wegs auf einmal ohne daß Land und Himmel sich verändert hätte, sein Ohr
von dem zischelnden Strome einer wildfremden Sprache getroffen, sein Auge
durch den Anblick von Physiognomien, Trachten und Hütten stutzig gemacht
würde, die von allem. was sonst auf deutscher Erde vielgestaltig genug zu
sehen ist, so weit absteht wie Moskau von Nürnberg oder Bamberg. Um so
mehr würde es ihn anheimeln, wenn er dann noch ein gutes Stück weiter,
statt immer tiefer in die Fremde, wieder in die Heimath käme, so traut und
bekannt sehen ihn die Gebirgsdörfer der Sudeten mit ihren saubern weißen
Häuschen zwischen tiefem Baumschatten und bunten Blumenbeeten an, so ganz
bekannt tönen ihm die Klänge der deutschen Mundart, die jetzt alle Leute
wieder reden, als hätte er sie schon in Franken oder Thüringen vernommen,
und vergessen, an welchem Orte es gewesen sei. Denn ganz seine eigensten
Töne sind es doch nicht: es mischt sich doch immer etwas leise fremdartiges
hinein und auch die Menschen und ihr BeHaben, so gemüthlich es sich auch
darstellt, haben doch in ihrem Wesen etwas, das einem erfahrenen Blicke
sagen könnte, hier sei der äußerste Saum deutscher Art erreicht.

Das dazwischen gelagerte Slavenvolk hat die in ihrem Rücken wohnenden
Deutschen gewiß nicht von ihrer natürlichen Verbindung mit der Hauptmasse
ihres Vaterlandes abschneiden können, aber es hat dieselbe doch zu allen Zeiten
bis an die Gegenwart heran etwas behindert. Schon daß vom 14. bis weit
ins 18. Jahrhundert Schlesien staatsrechtlich zu dem mystischen Begriff
der Länder der Wenzelskrone gerechnet werden konnte, mußte ihm eine bei¬
nahe völlige Abgeschiedenheit von dem wie auch immer beschaffenen Getriebe
der allgemein Deutschen politischen Evolutionen dieser langen Zeit zu Wege
bringen. Als das Land dann im Jahre 1740 durch die Grenadiere des alten,
damals noch so jugendfrischem Fritz aus seinem Marasmus aufgerüttelt wurde,
klammerte sich alles, was von politischer Lebenskraft noch vorhanden war,
ausschließlich an die neue Staatsordnung. Schlesien wurde in wunderbarer
Raschheit innerhalb 40 Jahren die preußischste aller preußischen Provinzen
und ist es geblieben, aber eben deshalb diejenige, in der der eigentlich deutsche
Beruf Preußens am wenigsten in das allgemeine Bewußtsein drang. Selbst
in der Erhebung der Freiheitskriege, wo Breslau bekanntlich in der entschei¬
denden Stunde der Heerd der Bewegung wurde, sind es doch eigentlich nur
die auswärtigen Elemente, die Blüthe der gebildeten deutschen Jugend, die sich
dort zu den freiwilligen Jägern sammelte, in denen das idealistisch - deutsch¬
patriotische Element jener Zeit seine Vertretung fand: die schlesische Linie
und Landwehr zog nur mit Gott für König und Vaterland d. h. Preußen
in die Schlacht. --

Das übrige Deutschland hat dieser seiner Ostmark ihre eigenthümliche Jso-
lirung einigermaßen vergolten. Schlesien existirte bis vor kurzem für das


wegs auf einmal ohne daß Land und Himmel sich verändert hätte, sein Ohr
von dem zischelnden Strome einer wildfremden Sprache getroffen, sein Auge
durch den Anblick von Physiognomien, Trachten und Hütten stutzig gemacht
würde, die von allem. was sonst auf deutscher Erde vielgestaltig genug zu
sehen ist, so weit absteht wie Moskau von Nürnberg oder Bamberg. Um so
mehr würde es ihn anheimeln, wenn er dann noch ein gutes Stück weiter,
statt immer tiefer in die Fremde, wieder in die Heimath käme, so traut und
bekannt sehen ihn die Gebirgsdörfer der Sudeten mit ihren saubern weißen
Häuschen zwischen tiefem Baumschatten und bunten Blumenbeeten an, so ganz
bekannt tönen ihm die Klänge der deutschen Mundart, die jetzt alle Leute
wieder reden, als hätte er sie schon in Franken oder Thüringen vernommen,
und vergessen, an welchem Orte es gewesen sei. Denn ganz seine eigensten
Töne sind es doch nicht: es mischt sich doch immer etwas leise fremdartiges
hinein und auch die Menschen und ihr BeHaben, so gemüthlich es sich auch
darstellt, haben doch in ihrem Wesen etwas, das einem erfahrenen Blicke
sagen könnte, hier sei der äußerste Saum deutscher Art erreicht.

Das dazwischen gelagerte Slavenvolk hat die in ihrem Rücken wohnenden
Deutschen gewiß nicht von ihrer natürlichen Verbindung mit der Hauptmasse
ihres Vaterlandes abschneiden können, aber es hat dieselbe doch zu allen Zeiten
bis an die Gegenwart heran etwas behindert. Schon daß vom 14. bis weit
ins 18. Jahrhundert Schlesien staatsrechtlich zu dem mystischen Begriff
der Länder der Wenzelskrone gerechnet werden konnte, mußte ihm eine bei¬
nahe völlige Abgeschiedenheit von dem wie auch immer beschaffenen Getriebe
der allgemein Deutschen politischen Evolutionen dieser langen Zeit zu Wege
bringen. Als das Land dann im Jahre 1740 durch die Grenadiere des alten,
damals noch so jugendfrischem Fritz aus seinem Marasmus aufgerüttelt wurde,
klammerte sich alles, was von politischer Lebenskraft noch vorhanden war,
ausschließlich an die neue Staatsordnung. Schlesien wurde in wunderbarer
Raschheit innerhalb 40 Jahren die preußischste aller preußischen Provinzen
und ist es geblieben, aber eben deshalb diejenige, in der der eigentlich deutsche
Beruf Preußens am wenigsten in das allgemeine Bewußtsein drang. Selbst
in der Erhebung der Freiheitskriege, wo Breslau bekanntlich in der entschei¬
denden Stunde der Heerd der Bewegung wurde, sind es doch eigentlich nur
die auswärtigen Elemente, die Blüthe der gebildeten deutschen Jugend, die sich
dort zu den freiwilligen Jägern sammelte, in denen das idealistisch - deutsch¬
patriotische Element jener Zeit seine Vertretung fand: die schlesische Linie
und Landwehr zog nur mit Gott für König und Vaterland d. h. Preußen
in die Schlacht. —

Das übrige Deutschland hat dieser seiner Ostmark ihre eigenthümliche Jso-
lirung einigermaßen vergolten. Schlesien existirte bis vor kurzem für das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/491>, abgerufen am 29.06.2024.