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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Erfindern und ihren Nachtretern in die Welt ausposaunt, zuletzt von ihnen
selbst geglaubt werden, Böhmen habe von unvordenklichen Zeiten her, wo
möglich noch vor den keltischen Bojano. die ihm den Namen gegeben, sich
einer slavischen autochthonen Bevölkerung erfreut, über deren zähes und unschein¬
bares Dasein der Strom der verschiedensten Völker- und Erobererfluthen hinweg¬
gegangen sei, etwa so wie eine verheerende Überschwemmung alle hochgewachsenen
und edleren Gebilde des Erdbodens erbarmungslos mit sich fortreißt, aber an
den niedrigen Gräsern und Mosen weiter keinen Schaden anrichtet, als daß
sie dieselben hier und dort mit Schichten von Schlamm und Gerölle über¬
deckt, woraus sie aber immer wieder, wenn auch schmutzig genug, an das Licht
sich durchzuarbeiten verstehn.

So gesellt sich zu einer geographischen Abnormität auch noch eine ethno¬
graphische und gewiß ist diese letztere eine sehr verhängnißvolle Zugabe zu
unserer an sich schon so gefährdeten Stellung als Volk in der Mitte anderer
Völker. Da wir die Gewohnheit haben, unsere eigenen wirklichen Schäden
mit gemüthlichem Leichtsinn zu ignortren, um uns desto mehr über die einge¬
bildeten zu erhitzen, so kann es nicht Wunder nehmen, daß die ganze Legion
unserer Conjecturalpolitiker und Cvnstructoren der Zukunft so gut wie keine
Ahnung von einem Probleme hat, dessen Gefahren kaum zu überschätzen sind.
Es scheint sich von selbst zu verstehn, daß wir die vier Millionen starke
Avantgarde des riesigen slavischen Völkercomplexes, der durch Naturanlage
und Geschichte zu ewigem Antagonismus gegen das deutsche Wesen berufen
ist, nicht in unserem stärksten Festungswerke stehn lassen dürfen. Aber es läßt
sich auch nicht eine Spur von Wahrscheinlichkeit entdecken, wie wir des Feindes
Herr werden und wieder in den Besitz unseres Eigenthums gelangen sollten.
Jedem deutschen Leser wird der Stand der Sache sofort einleuchten, wenn er ihn
auf die schon erwähnten topischen Parallelen der Auvergne oder Castiliens über¬
trägt. Jeder würde es undenkbar finden, wenn die Franzosen mehrere Millionen
Deutsche, die Spanier ebenso viele Franzosen in ihren Hochwarten ruhig sitzen
ließen, die auch bei erster Gelegenheit bereit wären die Avantgarde des Nati¬
onalfeindes vorzustellen. Wahrscheinlich würde man es sehr gerechtfertigt fin¬
den, wenn ein so permanent bedrohtes Volk alles daran setzte, einem solchen
Zustand ein Ende zu machen und wieder Herr im eigenen Hause zu werden.

Doch plagen wir uns nicht mit solchen Grillen, da ja für den Moment
noch gar keine Gefahr droht. Trösten wir uns lieber mit dem ächtdeutschen
Text, daß kein Unglück ohne ein bischen Glück, jedem Uebel auch ein Körn¬
chen Gutes beigemengt ist. So könnte man es z. B. ganz romantisch finden,
wenn ein Wandersmann alten Schlages und er ist doch noch nicht völlig aus¬
gestorben, aus dem Herzen Deutschlands, aus den Geländen am Main und
der Redmtz aufzöge nach der deutschen Grenzmetropole Breslau und unter-


Erfindern und ihren Nachtretern in die Welt ausposaunt, zuletzt von ihnen
selbst geglaubt werden, Böhmen habe von unvordenklichen Zeiten her, wo
möglich noch vor den keltischen Bojano. die ihm den Namen gegeben, sich
einer slavischen autochthonen Bevölkerung erfreut, über deren zähes und unschein¬
bares Dasein der Strom der verschiedensten Völker- und Erobererfluthen hinweg¬
gegangen sei, etwa so wie eine verheerende Überschwemmung alle hochgewachsenen
und edleren Gebilde des Erdbodens erbarmungslos mit sich fortreißt, aber an
den niedrigen Gräsern und Mosen weiter keinen Schaden anrichtet, als daß
sie dieselben hier und dort mit Schichten von Schlamm und Gerölle über¬
deckt, woraus sie aber immer wieder, wenn auch schmutzig genug, an das Licht
sich durchzuarbeiten verstehn.

So gesellt sich zu einer geographischen Abnormität auch noch eine ethno¬
graphische und gewiß ist diese letztere eine sehr verhängnißvolle Zugabe zu
unserer an sich schon so gefährdeten Stellung als Volk in der Mitte anderer
Völker. Da wir die Gewohnheit haben, unsere eigenen wirklichen Schäden
mit gemüthlichem Leichtsinn zu ignortren, um uns desto mehr über die einge¬
bildeten zu erhitzen, so kann es nicht Wunder nehmen, daß die ganze Legion
unserer Conjecturalpolitiker und Cvnstructoren der Zukunft so gut wie keine
Ahnung von einem Probleme hat, dessen Gefahren kaum zu überschätzen sind.
Es scheint sich von selbst zu verstehn, daß wir die vier Millionen starke
Avantgarde des riesigen slavischen Völkercomplexes, der durch Naturanlage
und Geschichte zu ewigem Antagonismus gegen das deutsche Wesen berufen
ist, nicht in unserem stärksten Festungswerke stehn lassen dürfen. Aber es läßt
sich auch nicht eine Spur von Wahrscheinlichkeit entdecken, wie wir des Feindes
Herr werden und wieder in den Besitz unseres Eigenthums gelangen sollten.
Jedem deutschen Leser wird der Stand der Sache sofort einleuchten, wenn er ihn
auf die schon erwähnten topischen Parallelen der Auvergne oder Castiliens über¬
trägt. Jeder würde es undenkbar finden, wenn die Franzosen mehrere Millionen
Deutsche, die Spanier ebenso viele Franzosen in ihren Hochwarten ruhig sitzen
ließen, die auch bei erster Gelegenheit bereit wären die Avantgarde des Nati¬
onalfeindes vorzustellen. Wahrscheinlich würde man es sehr gerechtfertigt fin¬
den, wenn ein so permanent bedrohtes Volk alles daran setzte, einem solchen
Zustand ein Ende zu machen und wieder Herr im eigenen Hause zu werden.

Doch plagen wir uns nicht mit solchen Grillen, da ja für den Moment
noch gar keine Gefahr droht. Trösten wir uns lieber mit dem ächtdeutschen
Text, daß kein Unglück ohne ein bischen Glück, jedem Uebel auch ein Körn¬
chen Gutes beigemengt ist. So könnte man es z. B. ganz romantisch finden,
wenn ein Wandersmann alten Schlages und er ist doch noch nicht völlig aus¬
gestorben, aus dem Herzen Deutschlands, aus den Geländen am Main und
der Redmtz aufzöge nach der deutschen Grenzmetropole Breslau und unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/490>, abgerufen am 29.06.2024.