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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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stammen in die Luft, die als Riesen in rasselnden Eisenhemden auf ihn ein¬
stürmen. In der Schmiede des Meisters Rudhard zerschlägt und zerspaltet
der junge Recke Schwerter und Amboß. Als er einst am Ki^erpärschen
Sumpfe vorbeigeht, hocken da an einem Kohlenfeuer die beiden Söhne eines
Flußgottes und hadern um den Besitz des Moores, Kalew anrufend, daß er
zwischen ihnen theile -- Schilbung und Niblung in Esthland. Auch fehlt
es nicht an einem Hort von rothem Golde, der, bevor die Helden zur letzten
Schlacht ausrücken, an geheimer Stätte versenkt wird, wo er noch heute un¬
gehoben ruht -- ein Anklang an die Mythe, deren Mittelpunkt Siegfried ist,
dürfte hier nicht zu leugnen sein. Und welcher geschichtliche Blick in die
Märchenwanderung eröffnet sich nun, wenn wir Tamino's Zauberflöte hoch
oben im Norden als goldnes Glöckchen wiederfinden, wenn in der finnischen
Räuberhöhle Perrault's Ogreße am Kupferkessel sitzt, wenn weissagende Vögel,
Wünselruthe und Wünselhütlein, aus Grimms deutschen Hausmärchen
wohl bekannt, im Romane von Fortunatus viel verwendet, uns auch in den
Liedern dieses untergehenden Volkes begegnen! Am reichsten aber drängen
sich die Vergleichungen da auf, wo die Kalewsage ihre tiefsten Töne anschlägt,
bei der niederfährt des Helden in das Todtenreich. Wir wollen nicht Heim-
dall's Ritt über die Brücke der Hat, nicht des Herakles oder Theseus Zug
in den Tartarus erwähnen, Andres liegt näher. Schnell wie die Argo fliegt
die silberne Lennok dem Weltenende zu. Aus der nordischen Charybdis er¬
rettet ein Wallfisch die Seefahrer, indem er ein rothes Tönnchen verschluckt,
das sie ihm hingeworfen, und sie auf der Flucht an dem Strudel vorbeizieht.
Dann aber verlieren sie einen Gefährten auf der Funkeninsel; lange wird
auf ihn gewartet, bis ein grauer Vogel ausplaudert, er habe der Rückkehr
entsagt und der lieben Heimath.


"Jener ist zum Frühlingslande übers Eisgebirg gefahren,
Dort in ewig jungen Freuden lebt er bei beglückten Paaren,
Dort ist ewigen Sommers Heimath, ewige Blumen und Gewitter.
segelt weiter, weise Männer, nimmer kehrt der tapfre Ritter."

Am Ende der Welt, im äußersten Norden öffnet sich den Esthen das
Todtenthor. Dort hält Sarwick, der gehörnte Fürst der Schatten, Mädchen
gefangen, die er zur Zeit der Gerstenblüthe, als sie auf dem Anger spielten,
von der Erde geraubt hat. Kalew besiegt und fesselt ihn, wie die Götter
nach Oegir's Gastmahl den Locki. Da findet er in den verödeten Hallen
seine Mutter, verweint und bleich sitzt sie am Spinnrad, aber da er sie um¬
armen will, entschwebt ihm der Schatten. Auch dieses hoffnungslose Bild
aus dem Jenseits kannten die Griechen als die Begrüßung des Odysseus und
der Ktimene.


stammen in die Luft, die als Riesen in rasselnden Eisenhemden auf ihn ein¬
stürmen. In der Schmiede des Meisters Rudhard zerschlägt und zerspaltet
der junge Recke Schwerter und Amboß. Als er einst am Ki^erpärschen
Sumpfe vorbeigeht, hocken da an einem Kohlenfeuer die beiden Söhne eines
Flußgottes und hadern um den Besitz des Moores, Kalew anrufend, daß er
zwischen ihnen theile — Schilbung und Niblung in Esthland. Auch fehlt
es nicht an einem Hort von rothem Golde, der, bevor die Helden zur letzten
Schlacht ausrücken, an geheimer Stätte versenkt wird, wo er noch heute un¬
gehoben ruht — ein Anklang an die Mythe, deren Mittelpunkt Siegfried ist,
dürfte hier nicht zu leugnen sein. Und welcher geschichtliche Blick in die
Märchenwanderung eröffnet sich nun, wenn wir Tamino's Zauberflöte hoch
oben im Norden als goldnes Glöckchen wiederfinden, wenn in der finnischen
Räuberhöhle Perrault's Ogreße am Kupferkessel sitzt, wenn weissagende Vögel,
Wünselruthe und Wünselhütlein, aus Grimms deutschen Hausmärchen
wohl bekannt, im Romane von Fortunatus viel verwendet, uns auch in den
Liedern dieses untergehenden Volkes begegnen! Am reichsten aber drängen
sich die Vergleichungen da auf, wo die Kalewsage ihre tiefsten Töne anschlägt,
bei der niederfährt des Helden in das Todtenreich. Wir wollen nicht Heim-
dall's Ritt über die Brücke der Hat, nicht des Herakles oder Theseus Zug
in den Tartarus erwähnen, Andres liegt näher. Schnell wie die Argo fliegt
die silberne Lennok dem Weltenende zu. Aus der nordischen Charybdis er¬
rettet ein Wallfisch die Seefahrer, indem er ein rothes Tönnchen verschluckt,
das sie ihm hingeworfen, und sie auf der Flucht an dem Strudel vorbeizieht.
Dann aber verlieren sie einen Gefährten auf der Funkeninsel; lange wird
auf ihn gewartet, bis ein grauer Vogel ausplaudert, er habe der Rückkehr
entsagt und der lieben Heimath.


„Jener ist zum Frühlingslande übers Eisgebirg gefahren,
Dort in ewig jungen Freuden lebt er bei beglückten Paaren,
Dort ist ewigen Sommers Heimath, ewige Blumen und Gewitter.
segelt weiter, weise Männer, nimmer kehrt der tapfre Ritter."

Am Ende der Welt, im äußersten Norden öffnet sich den Esthen das
Todtenthor. Dort hält Sarwick, der gehörnte Fürst der Schatten, Mädchen
gefangen, die er zur Zeit der Gerstenblüthe, als sie auf dem Anger spielten,
von der Erde geraubt hat. Kalew besiegt und fesselt ihn, wie die Götter
nach Oegir's Gastmahl den Locki. Da findet er in den verödeten Hallen
seine Mutter, verweint und bleich sitzt sie am Spinnrad, aber da er sie um¬
armen will, entschwebt ihm der Schatten. Auch dieses hoffnungslose Bild
aus dem Jenseits kannten die Griechen als die Begrüßung des Odysseus und
der Ktimene.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/483>, abgerufen am 28.09.2024.