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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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erwarten eine Darlegung der Ziele und Mittel der Erziehung. wenigstens
nach ihren wichtigsten Momenten, und finden nur eine sehr eingehende Er¬
örterung über das Wesen der Strafe. So gewinnt es den Anschein, als
ob dieser eine negative Faktor der sittlichen Erziehung diese erschöpfe
Doch sehen wir von diesem Mangel ab, so gestehen wir, daß die Gedanken-
Spencer's über diesen Gegenstand in der That sehr beachtenswert!) sind.
Freilich sind sie sehr einseitig und bedürfen einer durchgreifenden Modifika¬
tion, aber ist diese geschehen, so werden wir ihnen unsre Zustimmung nicht
versagen können. Spencer fordert, daß die Strafe nichts anders sein solle,
als die natürliche Rückwirkung gegen das unrechte Handeln des Kindes. Die
Aeußerungen des Unwillens der Aeltern in Wort und körperlicher Züchtigung
sollen zurücktreten gegenüber den Reaktionen, die in der Natur der Sache,
in der Ordnung der Dinge liegen. Die Strafe müsse möglichst als in der
Kausalität der gesetzlichen Verhältnisse begründet erscheinen und so ihre Ge¬
rechtigkeit erweisen. Der Mißbilligung der Erzieher, die ja allerdings auch
als natürliche Rückwirkung anzusehen sei, könne nur der Werth eines ergän¬
zenden oder begleitenden Faktors der sittlichen Erziehung zuerkannt werden. Die
Strafe im Hause müsse auf denselben Grundlagen ruhen, wie im Staat und in der
Gesellschaft. Darin liegt eine beachtenswerte Wahrheit, aber sie bedarf der Be¬
schränkung, Es ist nicht richtig das Haus und die Schule mit dem öffent¬
lichen Leben auf dieselbe Linie zu stellen. Dort herrscht allerdings das Cau-
salitätsgesetz mit fast unbedingter Konsequenz, und es muß so herrschen, wenn
sich die Bande des Ganzen nicht auflösen sollen. Es ist anders schon in der
Schule, vor allem im Hause. In diesen Gebieten ist die Strafe wesentlich
Züchtigung, d. h. das Maß der Schmerz erregenden Reaktion ist nicht durch
die Objektivität des begangnen Unrechts, sondern durch die' Subjektivität des
Kindes bedingt, welches das Unrecht begangen hat. Es kann durch die In¬
dividualität des Subjekts geboten sein, daß ein und dasselbe Vergehen hier
verziehen dort bestraft, hier mit einer leichten dort mit einer schweren Strafe
belegt wird. Und diese Verschiedenheit ist keineswegs ausschließlich davon ab¬
hängig, ob dasselbe Unrecht zum ersten Male oder im Wiederholungsfall ein¬
getreten ist, sondern von der vorausgesehenen Einwirkung auf den Charakter
des Kindes. Es kann sehr oft geschehen, daß der Erzieher das Kausalitäts-
Gesetz suspendiren muß, weil es, in Wirksamkeit gesetzt, das Gemüth des
Kindes erbittern würde. Und wieder weichere, leicht erregbare Naturen wer¬
den durch ein strafendes Wort im selben Maße gezüchtigt, vielleicht in höherem
Maße sogar, als es bei härteren unempfänglicher Naturen durch eine körper¬
liche Züchtigung stattfindet. Es muß in der Hand des Erziehers liegen, ob
das Causalitätsgesetz zur Vollziehung kommen soll oder nicht, ob es in seiner
ganzen Strenge oder in abgeschwächter Gestalt zur Verwirklichung zu bringen


erwarten eine Darlegung der Ziele und Mittel der Erziehung. wenigstens
nach ihren wichtigsten Momenten, und finden nur eine sehr eingehende Er¬
örterung über das Wesen der Strafe. So gewinnt es den Anschein, als
ob dieser eine negative Faktor der sittlichen Erziehung diese erschöpfe
Doch sehen wir von diesem Mangel ab, so gestehen wir, daß die Gedanken-
Spencer's über diesen Gegenstand in der That sehr beachtenswert!) sind.
Freilich sind sie sehr einseitig und bedürfen einer durchgreifenden Modifika¬
tion, aber ist diese geschehen, so werden wir ihnen unsre Zustimmung nicht
versagen können. Spencer fordert, daß die Strafe nichts anders sein solle,
als die natürliche Rückwirkung gegen das unrechte Handeln des Kindes. Die
Aeußerungen des Unwillens der Aeltern in Wort und körperlicher Züchtigung
sollen zurücktreten gegenüber den Reaktionen, die in der Natur der Sache,
in der Ordnung der Dinge liegen. Die Strafe müsse möglichst als in der
Kausalität der gesetzlichen Verhältnisse begründet erscheinen und so ihre Ge¬
rechtigkeit erweisen. Der Mißbilligung der Erzieher, die ja allerdings auch
als natürliche Rückwirkung anzusehen sei, könne nur der Werth eines ergän¬
zenden oder begleitenden Faktors der sittlichen Erziehung zuerkannt werden. Die
Strafe im Hause müsse auf denselben Grundlagen ruhen, wie im Staat und in der
Gesellschaft. Darin liegt eine beachtenswerte Wahrheit, aber sie bedarf der Be¬
schränkung, Es ist nicht richtig das Haus und die Schule mit dem öffent¬
lichen Leben auf dieselbe Linie zu stellen. Dort herrscht allerdings das Cau-
salitätsgesetz mit fast unbedingter Konsequenz, und es muß so herrschen, wenn
sich die Bande des Ganzen nicht auflösen sollen. Es ist anders schon in der
Schule, vor allem im Hause. In diesen Gebieten ist die Strafe wesentlich
Züchtigung, d. h. das Maß der Schmerz erregenden Reaktion ist nicht durch
die Objektivität des begangnen Unrechts, sondern durch die' Subjektivität des
Kindes bedingt, welches das Unrecht begangen hat. Es kann durch die In¬
dividualität des Subjekts geboten sein, daß ein und dasselbe Vergehen hier
verziehen dort bestraft, hier mit einer leichten dort mit einer schweren Strafe
belegt wird. Und diese Verschiedenheit ist keineswegs ausschließlich davon ab¬
hängig, ob dasselbe Unrecht zum ersten Male oder im Wiederholungsfall ein¬
getreten ist, sondern von der vorausgesehenen Einwirkung auf den Charakter
des Kindes. Es kann sehr oft geschehen, daß der Erzieher das Kausalitäts-
Gesetz suspendiren muß, weil es, in Wirksamkeit gesetzt, das Gemüth des
Kindes erbittern würde. Und wieder weichere, leicht erregbare Naturen wer¬
den durch ein strafendes Wort im selben Maße gezüchtigt, vielleicht in höherem
Maße sogar, als es bei härteren unempfänglicher Naturen durch eine körper¬
liche Züchtigung stattfindet. Es muß in der Hand des Erziehers liegen, ob
das Causalitätsgesetz zur Vollziehung kommen soll oder nicht, ob es in seiner
ganzen Strenge oder in abgeschwächter Gestalt zur Verwirklichung zu bringen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/467>, abgerufen am 28.09.2024.