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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Zusammengesetzten, 2. vom Unbestimmten -- unfertigen Begriffen -- zum
Bestimmter, den wissenschaftlichen Formeln, 3. vom Conkreten zum Abstrakten.
4. Die Erziehung des Kindes muß eine Wiederholung der Erziehung sein'
welche das Menschengeschlecht durchlaufen hat. S. Fortschritt vom Empirischen
zum Theoretischen. Erst Kenntniß der Sprache, dann der Grammatik. 6. Be¬
förderung der Selbstthätigkeit, Man erzähle den Kindern so wenig wie möglich
und leite sie an, so viel als möglich Entdeckungen zu machen. 7. Das Maß
des als Anreiz wirkenden Vergnügens ist die Probe für die Richtigkeit der
befolgten Methode.

Spencer wendet sich sodann zur praktischen Anwendung dieser Theorie.
Der Unterricht beginnt mit der Uebung der Sinne; und es ist die Kinder¬
stube, in welcher er stattfindet. Das Auge, das Ohr und das Gefühl wird
vor Allem zu entwickeln sein. Da dieser Forderung im Allgemeinen genügt
wird, so beschränkt sich Spencer darauf zu wünschen, daß die Anregung der
Sinne soviel möglich eine systematische werde, und daß ihnen zu diesem Zweck
stark kontraftirende Eindrücke geboten werden, von Tönen die mit auffallend¬
sten Stärke und Höhe-Unterschieden, von Farben die einander am wenigsten
verwandten, von Gegenständen die an Härte oder Verbindung der Theile die
unähnlichsten. Es folgt der Anschauungsunterricht. Er soll nicht im Zeigen
und Mittheilen bestehen, sondern in der Weckung der Selbstthätigkeit, in der
Anleitung selbst zu finden, in der Regulirung, Correktur und Förderung der
so gewonnenen Resultate. Durch Beantworten der Fragen des Kindes, durch
Stellung von Fragen soll dieser Prozeß sich vollziehen. Der Anschauungs¬
unterricht soll sich auch auf die späteren Stufen der Entwicklung ausdehnen,
und ebenso soll die Methode den Schüler zur Selbstbelehrung zu veranlassen,
auf allen Gebieten befolgt werden. Unter diesem Gesichtspunkt bespricht
Spencer sehr eingehend den Unterricht im Zeichnen und der Geometrie, und
die Winke, die er hier giebt, scheinen uns sehr beachtenswerth.

Gegen diese Grundsätze haben wir nichts einzuwenden, nur vermissen wir
eine Erörterung der Methode, nach welcher die Disziplinen zu lehren sind,
welche sich nicht ausschließlich auf sinnliche Wahrnehmung gründen. Es zeigt
sich, daß der Titel des Buchs "Erziehungslehre" unglücklich gewählt ist. er
verheißt eine Vollständigkeit, die nicht gewährt wird, statt dessen wird uns
vielmehr eine Reihe von Aufsätzen gegeben, deren Inhalt den zufälligen
Neigungen, den bevorzugten Gedankenrichtungen des Verfassers das Da¬
sein dankt.

"Die sittliche Erziehung" bildet das Thema des dritten Capitels. Hier
rächt sich in besonders hohem Grade die Inkongruenz zwischen dem vielver¬
sprechenden Titel und dem geringen Maße des thatsächlich Gebotnen. Wir


Zusammengesetzten, 2. vom Unbestimmten — unfertigen Begriffen — zum
Bestimmter, den wissenschaftlichen Formeln, 3. vom Conkreten zum Abstrakten.
4. Die Erziehung des Kindes muß eine Wiederholung der Erziehung sein'
welche das Menschengeschlecht durchlaufen hat. S. Fortschritt vom Empirischen
zum Theoretischen. Erst Kenntniß der Sprache, dann der Grammatik. 6. Be¬
förderung der Selbstthätigkeit, Man erzähle den Kindern so wenig wie möglich
und leite sie an, so viel als möglich Entdeckungen zu machen. 7. Das Maß
des als Anreiz wirkenden Vergnügens ist die Probe für die Richtigkeit der
befolgten Methode.

Spencer wendet sich sodann zur praktischen Anwendung dieser Theorie.
Der Unterricht beginnt mit der Uebung der Sinne; und es ist die Kinder¬
stube, in welcher er stattfindet. Das Auge, das Ohr und das Gefühl wird
vor Allem zu entwickeln sein. Da dieser Forderung im Allgemeinen genügt
wird, so beschränkt sich Spencer darauf zu wünschen, daß die Anregung der
Sinne soviel möglich eine systematische werde, und daß ihnen zu diesem Zweck
stark kontraftirende Eindrücke geboten werden, von Tönen die mit auffallend¬
sten Stärke und Höhe-Unterschieden, von Farben die einander am wenigsten
verwandten, von Gegenständen die an Härte oder Verbindung der Theile die
unähnlichsten. Es folgt der Anschauungsunterricht. Er soll nicht im Zeigen
und Mittheilen bestehen, sondern in der Weckung der Selbstthätigkeit, in der
Anleitung selbst zu finden, in der Regulirung, Correktur und Förderung der
so gewonnenen Resultate. Durch Beantworten der Fragen des Kindes, durch
Stellung von Fragen soll dieser Prozeß sich vollziehen. Der Anschauungs¬
unterricht soll sich auch auf die späteren Stufen der Entwicklung ausdehnen,
und ebenso soll die Methode den Schüler zur Selbstbelehrung zu veranlassen,
auf allen Gebieten befolgt werden. Unter diesem Gesichtspunkt bespricht
Spencer sehr eingehend den Unterricht im Zeichnen und der Geometrie, und
die Winke, die er hier giebt, scheinen uns sehr beachtenswerth.

Gegen diese Grundsätze haben wir nichts einzuwenden, nur vermissen wir
eine Erörterung der Methode, nach welcher die Disziplinen zu lehren sind,
welche sich nicht ausschließlich auf sinnliche Wahrnehmung gründen. Es zeigt
sich, daß der Titel des Buchs „Erziehungslehre" unglücklich gewählt ist. er
verheißt eine Vollständigkeit, die nicht gewährt wird, statt dessen wird uns
vielmehr eine Reihe von Aufsätzen gegeben, deren Inhalt den zufälligen
Neigungen, den bevorzugten Gedankenrichtungen des Verfassers das Da¬
sein dankt.

„Die sittliche Erziehung" bildet das Thema des dritten Capitels. Hier
rächt sich in besonders hohem Grade die Inkongruenz zwischen dem vielver¬
sprechenden Titel und dem geringen Maße des thatsächlich Gebotnen. Wir


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[0466] Zusammengesetzten, 2. vom Unbestimmten — unfertigen Begriffen — zum Bestimmter, den wissenschaftlichen Formeln, 3. vom Conkreten zum Abstrakten. 4. Die Erziehung des Kindes muß eine Wiederholung der Erziehung sein' welche das Menschengeschlecht durchlaufen hat. S. Fortschritt vom Empirischen zum Theoretischen. Erst Kenntniß der Sprache, dann der Grammatik. 6. Be¬ förderung der Selbstthätigkeit, Man erzähle den Kindern so wenig wie möglich und leite sie an, so viel als möglich Entdeckungen zu machen. 7. Das Maß des als Anreiz wirkenden Vergnügens ist die Probe für die Richtigkeit der befolgten Methode. Spencer wendet sich sodann zur praktischen Anwendung dieser Theorie. Der Unterricht beginnt mit der Uebung der Sinne; und es ist die Kinder¬ stube, in welcher er stattfindet. Das Auge, das Ohr und das Gefühl wird vor Allem zu entwickeln sein. Da dieser Forderung im Allgemeinen genügt wird, so beschränkt sich Spencer darauf zu wünschen, daß die Anregung der Sinne soviel möglich eine systematische werde, und daß ihnen zu diesem Zweck stark kontraftirende Eindrücke geboten werden, von Tönen die mit auffallend¬ sten Stärke und Höhe-Unterschieden, von Farben die einander am wenigsten verwandten, von Gegenständen die an Härte oder Verbindung der Theile die unähnlichsten. Es folgt der Anschauungsunterricht. Er soll nicht im Zeigen und Mittheilen bestehen, sondern in der Weckung der Selbstthätigkeit, in der Anleitung selbst zu finden, in der Regulirung, Correktur und Förderung der so gewonnenen Resultate. Durch Beantworten der Fragen des Kindes, durch Stellung von Fragen soll dieser Prozeß sich vollziehen. Der Anschauungs¬ unterricht soll sich auch auf die späteren Stufen der Entwicklung ausdehnen, und ebenso soll die Methode den Schüler zur Selbstbelehrung zu veranlassen, auf allen Gebieten befolgt werden. Unter diesem Gesichtspunkt bespricht Spencer sehr eingehend den Unterricht im Zeichnen und der Geometrie, und die Winke, die er hier giebt, scheinen uns sehr beachtenswerth. Gegen diese Grundsätze haben wir nichts einzuwenden, nur vermissen wir eine Erörterung der Methode, nach welcher die Disziplinen zu lehren sind, welche sich nicht ausschließlich auf sinnliche Wahrnehmung gründen. Es zeigt sich, daß der Titel des Buchs „Erziehungslehre" unglücklich gewählt ist. er verheißt eine Vollständigkeit, die nicht gewährt wird, statt dessen wird uns vielmehr eine Reihe von Aufsätzen gegeben, deren Inhalt den zufälligen Neigungen, den bevorzugten Gedankenrichtungen des Verfassers das Da¬ sein dankt. „Die sittliche Erziehung" bildet das Thema des dritten Capitels. Hier rächt sich in besonders hohem Grade die Inkongruenz zwischen dem vielver¬ sprechenden Titel und dem geringen Maße des thatsächlich Gebotnen. Wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/466>, abgerufen am 29.06.2024.