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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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darinnen dies Messer des Geistes steckt.---- Ja, wo wir es versehen,
daß wir (da Gott für sei) die Sprachen fahren lassen, so werden wir nicht
allein das Evangelium verlieren, sondern wird auch endlich dahin gerathen,
daß wir weder Lateinisch noch Deutsch recht reden oder schreiben können."

Ein Unterricht in der Religion wird nicht von Spencer erwähnt, und
einer Religionswissenschaft, die etwas anders ist als eine Darstellung des
Entwicklungsganges der Religionen, etwas anders als eine historische Disciplin,
wird er auch schwerlich den Zutritt in den Jugendunterricht einräumen. Denn
jede positive Religion -- eine nicht positive, sogenannte natürliche Religion ist
nur eine Abstraktion von den positiven Religionen -- ruht auf der Autorität
des Religionsstifters und fordert Unterwerfung unter dieselbe. Freilich ist
diese nicht unbedingt eine blinde, die christliche Religion wenigstens fordert
frei und freudig die Kritik heraus. Sie will an ihren Früchten erkannt sein
und erbietet sich den Beweis des Geistes und der Kraft anzutreten. Und
dieser Beweis, der in erster Linie nicht durch logische, sondern durch ethische
Mittel sich vollzieht, ist von ihr durch achtzehn Jahrhunderte mit siegreicher
Gewalt geführt worden. Und deshalb kann der Unterricht in derselben An¬
spruch darauf erheben, als integrirender Bestandtheil in den Kreis der Dis¬
ciplinen aufgenommen zu werden., welche eine wahrhaft werthvolle Bildung
unsrer Jugend vermitteln wollen.

Was endlich den Vorschlag anlangt, der Pädagogik eine Stelle im
Jugendunterricht einzuräumen, so würden wir an sich nichts gegen ihn
einzuwenden haben, wenn wir nur einen geeigneten Platz für dieselbe zu
sehen vermöchten. Aber so lange unsre Jugend sich in der Schule befindet,
ist sie selbst noch in einem solchen Maße der Erziehung bedürftig, daß sie
einer Erziehungslehre nicht das Verständniß und die Reife entgegen bringen
kann, auf welche jene rechnen muß. Erst die Universität für die männliche
Jugend, und Fortbildungsschulen für die weibliche Jugend der höheren Stände
werden diese Lücke auszufüllen vermögen. Der bei weitem größte Theil der
Bevölkerung wird freilich eines solchen Unterrichts entbehren und auf die
durch das sich steigernde Kulturleben veredelte und bereicherte allgemeine
pädagogische Ueberlieferung angewiesen sein.

Wir wenden uns nun zum zweiten Abschnitt der Erziehungslehre Spencers,
"welche die Erziehung des Verstandes" zum Gegenstande hat.

Seine Forderungen lassen sich in dem Gebot natur-un segni, der Natur
zu folgen, zusammenfassen. Induktion, Anschauungsunterricht, Fortschritt
vom Einfachen zum Zusammengesetzten bilden die Losung. Pestalozzi in den
Prinzipien, nicht in den einzelnen Methoden, erscheint als der Vertreter der
rechten pädagogischen Einsicht. Diese Prinzipien entwickelt Spencer in logischer
Ordnung und bildet so diese Reihenfolge: 1. Fortschritt vom Einfachen zum


Grenzboten III. 187S> 68

darinnen dies Messer des Geistes steckt.--— Ja, wo wir es versehen,
daß wir (da Gott für sei) die Sprachen fahren lassen, so werden wir nicht
allein das Evangelium verlieren, sondern wird auch endlich dahin gerathen,
daß wir weder Lateinisch noch Deutsch recht reden oder schreiben können."

Ein Unterricht in der Religion wird nicht von Spencer erwähnt, und
einer Religionswissenschaft, die etwas anders ist als eine Darstellung des
Entwicklungsganges der Religionen, etwas anders als eine historische Disciplin,
wird er auch schwerlich den Zutritt in den Jugendunterricht einräumen. Denn
jede positive Religion — eine nicht positive, sogenannte natürliche Religion ist
nur eine Abstraktion von den positiven Religionen — ruht auf der Autorität
des Religionsstifters und fordert Unterwerfung unter dieselbe. Freilich ist
diese nicht unbedingt eine blinde, die christliche Religion wenigstens fordert
frei und freudig die Kritik heraus. Sie will an ihren Früchten erkannt sein
und erbietet sich den Beweis des Geistes und der Kraft anzutreten. Und
dieser Beweis, der in erster Linie nicht durch logische, sondern durch ethische
Mittel sich vollzieht, ist von ihr durch achtzehn Jahrhunderte mit siegreicher
Gewalt geführt worden. Und deshalb kann der Unterricht in derselben An¬
spruch darauf erheben, als integrirender Bestandtheil in den Kreis der Dis¬
ciplinen aufgenommen zu werden., welche eine wahrhaft werthvolle Bildung
unsrer Jugend vermitteln wollen.

Was endlich den Vorschlag anlangt, der Pädagogik eine Stelle im
Jugendunterricht einzuräumen, so würden wir an sich nichts gegen ihn
einzuwenden haben, wenn wir nur einen geeigneten Platz für dieselbe zu
sehen vermöchten. Aber so lange unsre Jugend sich in der Schule befindet,
ist sie selbst noch in einem solchen Maße der Erziehung bedürftig, daß sie
einer Erziehungslehre nicht das Verständniß und die Reife entgegen bringen
kann, auf welche jene rechnen muß. Erst die Universität für die männliche
Jugend, und Fortbildungsschulen für die weibliche Jugend der höheren Stände
werden diese Lücke auszufüllen vermögen. Der bei weitem größte Theil der
Bevölkerung wird freilich eines solchen Unterrichts entbehren und auf die
durch das sich steigernde Kulturleben veredelte und bereicherte allgemeine
pädagogische Ueberlieferung angewiesen sein.

Wir wenden uns nun zum zweiten Abschnitt der Erziehungslehre Spencers,
„welche die Erziehung des Verstandes" zum Gegenstande hat.

Seine Forderungen lassen sich in dem Gebot natur-un segni, der Natur
zu folgen, zusammenfassen. Induktion, Anschauungsunterricht, Fortschritt
vom Einfachen zum Zusammengesetzten bilden die Losung. Pestalozzi in den
Prinzipien, nicht in den einzelnen Methoden, erscheint als der Vertreter der
rechten pädagogischen Einsicht. Diese Prinzipien entwickelt Spencer in logischer
Ordnung und bildet so diese Reihenfolge: 1. Fortschritt vom Einfachen zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/465>, abgerufen am 29.06.2024.