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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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August Mailand besuchte, gewann er so sehr die ^ Liebe der Mailänder, daß
sie, Ihn zu ehren, eine Medaille schlugen, mit der schönen Inschrift: II xriu-
oixs uomo. Die Nachricht vom Tode des großen Fürsten war selbst in fran¬
zösischen Zeitschriften mit ehrenvollen Klagen begleitet.

In seiner Regententhätigkeit als Landesfürst ragt Karl August durch
seine Fürsorge für das Wohl seines Landes über die meisten gleichzeitigen
Fürsten hervor. Das verführerische System fürstlicher Allgewalt, welches im
siebenzehnten Jahrhundert Ludwig XIV. von Frankreich in äußerlich glanz¬
voller, innerlich verderbter Gestalt aufgestellt hatte, übte noch fort und fort
seinen verderblichen Einfluß auf viele deutsche Fürsten aus. Diese gestalteten
ihre Souveränität zum äußersten Absolutismus um. Nach ihrer Meinung
gab es im Staate nur einen absolut gebietenden, unwiderstehlichen Willen
und eine rechtlose Schaar blindlings gehorchender und duldender Sklaven.
Die herrschenden Stände waren alles, das Volk schien nur berufen und ver¬
pflichtet zu arbeiten, zu zahlen, Lasten zu tragen und Noth zu leiden. Viele
Inhaber kleiner Territorien betrachteten ihr Land wie eine fürstliche Domäne
oder ein großes Rittergut, die Beamten als einen Theil der Haus- und Hof¬
dienerschaft. Die Entfaltung eines glänzenden Waffenprunkes und die Mittel
zur Befriedigung dieser und anderer fürstlichen Leidenschaften umfaßten die
ganze Thätigkeit der meisten Dynasten und Regierungen. Die Finanzpolitik
suchte ihre höchste Weisheit darin, so viel Geld als möglich für die fürstliche
Kasse aus den Taschen der Unterthanen zu ziehen. Die Last der Steuerpflich¬
tigen wurde noch drückender durch die Ungleichheit der Vertheilung dieser Last,
durch zahlreiche Steuerbefreiungen Einzelner und ganzer Stände. Die Ver¬
wendung der Steuern ließ viel zu wünschen übrig. Die Bedürfnisse des
Fürsten, der Hof, das Militair verschlangen den bei weitem größten Theil
der Einnahmen. Für die Pflege der geistigen Bildung blieb nur wenig übrig.
Die Verbindung der Justiz mit der Verwaltung beeinträchtigte die richterliche
Unabhängigkeit. Das Unwesen des Stellenverkaufs war sehr allgemein ver¬
breitet und wurde ganz schamlos betrieben. -- Das Beispiel Friedrichs II.
und später Josephs II. sowie die von England und Frankreich aus verbrei¬
teten Ideen der Aufklärung, der Gerechtigkeit und des Wohlwollens für die
Menschheit blieben nicht ohne Wirkung auf einzelne deutsche Fürsten, aber
viele beharrten um so starrsinniger in dem alten System der Willkürherrschaft,
manche Fürsten meinten gute fremde Einrichtungen und die Fortschritte an¬
derer Staaten ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Verhältnisse in ihren
Ländern nachahmen, sie meinten alles durch strenge Befehle erzwingen zu
können.

Der Regierungsantritt Karl Augusts fällt in eine Zeit, wo die vorge¬
schrittene Aufklärung mit dem Bestehenden nicht überall zu vereinigen war.


August Mailand besuchte, gewann er so sehr die ^ Liebe der Mailänder, daß
sie, Ihn zu ehren, eine Medaille schlugen, mit der schönen Inschrift: II xriu-
oixs uomo. Die Nachricht vom Tode des großen Fürsten war selbst in fran¬
zösischen Zeitschriften mit ehrenvollen Klagen begleitet.

In seiner Regententhätigkeit als Landesfürst ragt Karl August durch
seine Fürsorge für das Wohl seines Landes über die meisten gleichzeitigen
Fürsten hervor. Das verführerische System fürstlicher Allgewalt, welches im
siebenzehnten Jahrhundert Ludwig XIV. von Frankreich in äußerlich glanz¬
voller, innerlich verderbter Gestalt aufgestellt hatte, übte noch fort und fort
seinen verderblichen Einfluß auf viele deutsche Fürsten aus. Diese gestalteten
ihre Souveränität zum äußersten Absolutismus um. Nach ihrer Meinung
gab es im Staate nur einen absolut gebietenden, unwiderstehlichen Willen
und eine rechtlose Schaar blindlings gehorchender und duldender Sklaven.
Die herrschenden Stände waren alles, das Volk schien nur berufen und ver¬
pflichtet zu arbeiten, zu zahlen, Lasten zu tragen und Noth zu leiden. Viele
Inhaber kleiner Territorien betrachteten ihr Land wie eine fürstliche Domäne
oder ein großes Rittergut, die Beamten als einen Theil der Haus- und Hof¬
dienerschaft. Die Entfaltung eines glänzenden Waffenprunkes und die Mittel
zur Befriedigung dieser und anderer fürstlichen Leidenschaften umfaßten die
ganze Thätigkeit der meisten Dynasten und Regierungen. Die Finanzpolitik
suchte ihre höchste Weisheit darin, so viel Geld als möglich für die fürstliche
Kasse aus den Taschen der Unterthanen zu ziehen. Die Last der Steuerpflich¬
tigen wurde noch drückender durch die Ungleichheit der Vertheilung dieser Last,
durch zahlreiche Steuerbefreiungen Einzelner und ganzer Stände. Die Ver¬
wendung der Steuern ließ viel zu wünschen übrig. Die Bedürfnisse des
Fürsten, der Hof, das Militair verschlangen den bei weitem größten Theil
der Einnahmen. Für die Pflege der geistigen Bildung blieb nur wenig übrig.
Die Verbindung der Justiz mit der Verwaltung beeinträchtigte die richterliche
Unabhängigkeit. Das Unwesen des Stellenverkaufs war sehr allgemein ver¬
breitet und wurde ganz schamlos betrieben. — Das Beispiel Friedrichs II.
und später Josephs II. sowie die von England und Frankreich aus verbrei¬
teten Ideen der Aufklärung, der Gerechtigkeit und des Wohlwollens für die
Menschheit blieben nicht ohne Wirkung auf einzelne deutsche Fürsten, aber
viele beharrten um so starrsinniger in dem alten System der Willkürherrschaft,
manche Fürsten meinten gute fremde Einrichtungen und die Fortschritte an¬
derer Staaten ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Verhältnisse in ihren
Ländern nachahmen, sie meinten alles durch strenge Befehle erzwingen zu
können.

Der Regierungsantritt Karl Augusts fällt in eine Zeit, wo die vorge¬
schrittene Aufklärung mit dem Bestehenden nicht überall zu vereinigen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/458>, abgerufen am 29.06.2024.