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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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xander von Rußland vor und sprach sich über die beabsichtigten Kriegsopera-
tionen aus. Augenzeugen versichern, des Herzogs ruhige Haltung habe mehr
der eines Kaisers, Napoleon dagegen mit seiner ungewöhnlichen Gesprächig¬
keit einem Manne geglichen, der sein Anliegen einem Höheren vortrage.

Karl August fehlte es auch nicht an Wärme und Innigkeit des reli¬
giösen Glaubens. Der religiöse Unterricht seiner Jugend hatte ihm keine für
Geist und Herz befriedigende Nahrung gewährt, sondern ihn nur mit den nack¬
ten Dogmen der Kirche und mit spitzfindigen und unfruchtbaren Menschen¬
satzungen bekannt zu machen gesucht. Aber als Zögling seines eigenen Gei¬
stes eignete sich Karl August selbst die frommen Ueberzeugungen des christli¬
chen Glaubens an, durch das Lesen der heiligen Schrift und durch die Worte
christlicher Lehrer. Je tiefer er sich in seiner Wiß- und Forschbegierde in die
Betrachtung der Natur versenkte, desto klarer trat ihm auch das Dasein ihres
erhabenen Urhebers vor Augen; je eifriger er die Wunderwerke der Schö¬
pfung zum Gegenstande seiner Beobachtung machte, desto deutlicher erkannte
er auch die Weisheit, Güte, Größe und Herrlichkeit ihres erhabenen Meisters.
Vorwitziges Eindringen in die Geheimnisse Gottes und der Zukunft, unnützes
Grübeln über das dem menschlichen Verstände Unerforschliche, zweckloses Strei¬
ten über das, was menschlicher Einsicht unerreichbar ist, was kein Mensch zu
entscheiden vermag, achtete er nicht für heilsam und zulässig, sondern in from¬
mer Ueberzeugung hielt er fest an den Wahrheiten des christlichen Glaubens
und suchte diesen durch edles und tüchtiges Handeln zu bethätigen. Nur in
vertrauten Gesprächen äußerte er sich über den geheimnißvollen Zusammen¬
hang zwischen der übersinnlichen und sinnlichen Welt und erklärte da vieles
für nicht bestreitbar, was andere dafür halten. Als ein Nachkomme jenes
fürstlichen Hauses, welches durch die größten Opfer das Dasein der protestan¬
tischen Kirche errungen hat, gewährte er jedem dieselbe Freiheit der Ueberzeu¬
gung und des Glaubens, welche er für sich in Anspruch nahm. Er verab¬
scheute alle unchristlichen Maßregeln, durch welche Geister und Gewissen ge¬
bunden werden; er gönnte selbst dem Wahnglauben und der Schwärmerei
das Recht, sich offen auszusprechen, so lange dadurch die bürgerliche und kirch¬
liche Ordnung nicht gefährdet wurde. Er wollte dem Irrthum nicht Spott
und Hohn, sondern gründliche Belehrung entgegengesetzt wissen, und freute
sich auf religiösem Gebiet des Sieges, welchen die Vernunft über die Unver¬
nunft, die Wahrheit über den Irrthum, das Licht über die Finsterniß und
der wahre Christenglaube über den verderblichen Aberglauben davon trug.

Die Liebe und Verehrung aller Unterthanen war der schönste Beweis der
hohen Tugenden Karl Augusts. Bei der Feier seiner funfzigjährigen Regie-
rung versäumte im ganzen Lande keine Stadt und kein Dorf, das Anden¬
ken des geliebten Fürsten durch wohlthätige Stiftungen zu ehren. Als Karl


Grenzboten Hi. 1875. 57

xander von Rußland vor und sprach sich über die beabsichtigten Kriegsopera-
tionen aus. Augenzeugen versichern, des Herzogs ruhige Haltung habe mehr
der eines Kaisers, Napoleon dagegen mit seiner ungewöhnlichen Gesprächig¬
keit einem Manne geglichen, der sein Anliegen einem Höheren vortrage.

Karl August fehlte es auch nicht an Wärme und Innigkeit des reli¬
giösen Glaubens. Der religiöse Unterricht seiner Jugend hatte ihm keine für
Geist und Herz befriedigende Nahrung gewährt, sondern ihn nur mit den nack¬
ten Dogmen der Kirche und mit spitzfindigen und unfruchtbaren Menschen¬
satzungen bekannt zu machen gesucht. Aber als Zögling seines eigenen Gei¬
stes eignete sich Karl August selbst die frommen Ueberzeugungen des christli¬
chen Glaubens an, durch das Lesen der heiligen Schrift und durch die Worte
christlicher Lehrer. Je tiefer er sich in seiner Wiß- und Forschbegierde in die
Betrachtung der Natur versenkte, desto klarer trat ihm auch das Dasein ihres
erhabenen Urhebers vor Augen; je eifriger er die Wunderwerke der Schö¬
pfung zum Gegenstande seiner Beobachtung machte, desto deutlicher erkannte
er auch die Weisheit, Güte, Größe und Herrlichkeit ihres erhabenen Meisters.
Vorwitziges Eindringen in die Geheimnisse Gottes und der Zukunft, unnützes
Grübeln über das dem menschlichen Verstände Unerforschliche, zweckloses Strei¬
ten über das, was menschlicher Einsicht unerreichbar ist, was kein Mensch zu
entscheiden vermag, achtete er nicht für heilsam und zulässig, sondern in from¬
mer Ueberzeugung hielt er fest an den Wahrheiten des christlichen Glaubens
und suchte diesen durch edles und tüchtiges Handeln zu bethätigen. Nur in
vertrauten Gesprächen äußerte er sich über den geheimnißvollen Zusammen¬
hang zwischen der übersinnlichen und sinnlichen Welt und erklärte da vieles
für nicht bestreitbar, was andere dafür halten. Als ein Nachkomme jenes
fürstlichen Hauses, welches durch die größten Opfer das Dasein der protestan¬
tischen Kirche errungen hat, gewährte er jedem dieselbe Freiheit der Ueberzeu¬
gung und des Glaubens, welche er für sich in Anspruch nahm. Er verab¬
scheute alle unchristlichen Maßregeln, durch welche Geister und Gewissen ge¬
bunden werden; er gönnte selbst dem Wahnglauben und der Schwärmerei
das Recht, sich offen auszusprechen, so lange dadurch die bürgerliche und kirch¬
liche Ordnung nicht gefährdet wurde. Er wollte dem Irrthum nicht Spott
und Hohn, sondern gründliche Belehrung entgegengesetzt wissen, und freute
sich auf religiösem Gebiet des Sieges, welchen die Vernunft über die Unver¬
nunft, die Wahrheit über den Irrthum, das Licht über die Finsterniß und
der wahre Christenglaube über den verderblichen Aberglauben davon trug.

Die Liebe und Verehrung aller Unterthanen war der schönste Beweis der
hohen Tugenden Karl Augusts. Bei der Feier seiner funfzigjährigen Regie-
rung versäumte im ganzen Lande keine Stadt und kein Dorf, das Anden¬
ken des geliebten Fürsten durch wohlthätige Stiftungen zu ehren. Als Karl


Grenzboten Hi. 1875. 57
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[0457] xander von Rußland vor und sprach sich über die beabsichtigten Kriegsopera- tionen aus. Augenzeugen versichern, des Herzogs ruhige Haltung habe mehr der eines Kaisers, Napoleon dagegen mit seiner ungewöhnlichen Gesprächig¬ keit einem Manne geglichen, der sein Anliegen einem Höheren vortrage. Karl August fehlte es auch nicht an Wärme und Innigkeit des reli¬ giösen Glaubens. Der religiöse Unterricht seiner Jugend hatte ihm keine für Geist und Herz befriedigende Nahrung gewährt, sondern ihn nur mit den nack¬ ten Dogmen der Kirche und mit spitzfindigen und unfruchtbaren Menschen¬ satzungen bekannt zu machen gesucht. Aber als Zögling seines eigenen Gei¬ stes eignete sich Karl August selbst die frommen Ueberzeugungen des christli¬ chen Glaubens an, durch das Lesen der heiligen Schrift und durch die Worte christlicher Lehrer. Je tiefer er sich in seiner Wiß- und Forschbegierde in die Betrachtung der Natur versenkte, desto klarer trat ihm auch das Dasein ihres erhabenen Urhebers vor Augen; je eifriger er die Wunderwerke der Schö¬ pfung zum Gegenstande seiner Beobachtung machte, desto deutlicher erkannte er auch die Weisheit, Güte, Größe und Herrlichkeit ihres erhabenen Meisters. Vorwitziges Eindringen in die Geheimnisse Gottes und der Zukunft, unnützes Grübeln über das dem menschlichen Verstände Unerforschliche, zweckloses Strei¬ ten über das, was menschlicher Einsicht unerreichbar ist, was kein Mensch zu entscheiden vermag, achtete er nicht für heilsam und zulässig, sondern in from¬ mer Ueberzeugung hielt er fest an den Wahrheiten des christlichen Glaubens und suchte diesen durch edles und tüchtiges Handeln zu bethätigen. Nur in vertrauten Gesprächen äußerte er sich über den geheimnißvollen Zusammen¬ hang zwischen der übersinnlichen und sinnlichen Welt und erklärte da vieles für nicht bestreitbar, was andere dafür halten. Als ein Nachkomme jenes fürstlichen Hauses, welches durch die größten Opfer das Dasein der protestan¬ tischen Kirche errungen hat, gewährte er jedem dieselbe Freiheit der Ueberzeu¬ gung und des Glaubens, welche er für sich in Anspruch nahm. Er verab¬ scheute alle unchristlichen Maßregeln, durch welche Geister und Gewissen ge¬ bunden werden; er gönnte selbst dem Wahnglauben und der Schwärmerei das Recht, sich offen auszusprechen, so lange dadurch die bürgerliche und kirch¬ liche Ordnung nicht gefährdet wurde. Er wollte dem Irrthum nicht Spott und Hohn, sondern gründliche Belehrung entgegengesetzt wissen, und freute sich auf religiösem Gebiet des Sieges, welchen die Vernunft über die Unver¬ nunft, die Wahrheit über den Irrthum, das Licht über die Finsterniß und der wahre Christenglaube über den verderblichen Aberglauben davon trug. Die Liebe und Verehrung aller Unterthanen war der schönste Beweis der hohen Tugenden Karl Augusts. Bei der Feier seiner funfzigjährigen Regie- rung versäumte im ganzen Lande keine Stadt und kein Dorf, das Anden¬ ken des geliebten Fürsten durch wohlthätige Stiftungen zu ehren. Als Karl Grenzboten Hi. 1875. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/457>, abgerufen am 29.06.2024.