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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Formen der Hofetikette unterwerfen, aber sein Erzieher, der Graf Görtz, war
auch bedacht, den Erbprinzen nicht bloß durch tüchtige Lehrer in den Wissen¬
schaften, sondern auch durch das Leben und für das Leben zu bilden und mit
den Menschen und mit dem Leben frühzeitig bekannt zu machen. Der Graf
Görtz lud deshalb nicht nur täglich einen oder zwei Staatsdtener, oder einen
angesehenen Fremden, bisweilen auch eine Dame zu der Mittagstafel des
Erbprinzen ein, sondern er führte den Erbprinzen auch hinaus in das Leben
und unter die Menschen, in die Werkstätten der Künstler und Handwerker,
in die Wohnungen der Reichen und in die Hütten der Armen, zu den Flös¬
sern auf dem Floßplatz, zu den Pflasterern in den Straßen der Stadt und
zu den Arbeitern auf dem Felde., Sobald der Erbprinz erschien, brachten
ihm die Feldarbeirer einen Strauß von Blumen oder von jungen Erbsen,
oder es wurde der Prinz nach damaliger Sitte angebunden, oder es wurde
ihm eine Leine vorgezogen, und der Prinz mußte durch ein Geldgeschenk sich
auslösen. Da erscholl lauter Jubel, und der Prinz unterhielt sich freundlich
und herzlich mit den Leuten. Wenn auch der Erbprinz den Herren am Hofe
die steifen Complimente nicht machen wollte, mit Menschen freundlich zu reden
und zu verkehren, das verstand er. Um dem Erbprinzen einige Kenntniß von
der Landwirthschaft zu verschaffen und einige Theilnahme für dieselbe zu er¬
werben, besuchte der Graf Görtz mit dem Erbprinzen und dessen Bruder, dem
Prinzen Constantin, bisweilen ein Rittergut oder ein fürstliches Kammergut
in der Umgegend von Weimar. Zur Ausbildung und zur geselligen Ge¬
wandtheit der beiden Prinzen trugen auch die vielen Ausflüge und kleinen
Reisen bei, welche die Herzogin Amalie und der Graf Görtz mit ihnen unter¬
nahmen und auf welchen sie Gelegenheit hatten, mit Leuten der verschieden¬
sten Stände in Berührung zu kommen. Auch Volksfeste, wie Vogelschießen
und Jahrmärkte, besuchte der Graf Görtz mit den beiden Prinzen. Durch
seinen vielfachen Verkehr mit dem Volke gewann der Erbprinz nicht nur die
Liebe seiner Unterthanen, sondern er eignete sich auch schon in jungen Jahren
eine große Menschenkenntniß an. Er lernte jeden Menschen nach seinen
inneren Vorzügen ehren und lieben. Er wußte sich in die Lage und Denk¬
weise der verschiedensten Stände und Menschenklassen hineinzudenken; er er¬
kannte sogleich, selbst unter schlichtem Gewand, das Gute und schätzenswerthe
auch des gemeinen Mannes. Er wußte jeden in angemessener Weise, Alle
mit leutseliger Humanität so zu behandeln, daß er Aller Herzen, der Hohen
und der Niederen, gewann. Dieses Wesen flößte auch den Ungebildeten ein
solches Zutrauen ein, daß sie in Karl August den Fürsten vergaßen, daß sie
in ihm nur den edlen, theilnehmenden Menschenfreund vor sich sahen und sich
in ihrer naiven Eigenthümlichkeit? offen auszusprechen wagten. Im Jahre
1775 schrieb Wieland an Knebel: "Ich wünschte zehn Jahr jünger zu sein.


Formen der Hofetikette unterwerfen, aber sein Erzieher, der Graf Görtz, war
auch bedacht, den Erbprinzen nicht bloß durch tüchtige Lehrer in den Wissen¬
schaften, sondern auch durch das Leben und für das Leben zu bilden und mit
den Menschen und mit dem Leben frühzeitig bekannt zu machen. Der Graf
Görtz lud deshalb nicht nur täglich einen oder zwei Staatsdtener, oder einen
angesehenen Fremden, bisweilen auch eine Dame zu der Mittagstafel des
Erbprinzen ein, sondern er führte den Erbprinzen auch hinaus in das Leben
und unter die Menschen, in die Werkstätten der Künstler und Handwerker,
in die Wohnungen der Reichen und in die Hütten der Armen, zu den Flös¬
sern auf dem Floßplatz, zu den Pflasterern in den Straßen der Stadt und
zu den Arbeitern auf dem Felde., Sobald der Erbprinz erschien, brachten
ihm die Feldarbeirer einen Strauß von Blumen oder von jungen Erbsen,
oder es wurde der Prinz nach damaliger Sitte angebunden, oder es wurde
ihm eine Leine vorgezogen, und der Prinz mußte durch ein Geldgeschenk sich
auslösen. Da erscholl lauter Jubel, und der Prinz unterhielt sich freundlich
und herzlich mit den Leuten. Wenn auch der Erbprinz den Herren am Hofe
die steifen Complimente nicht machen wollte, mit Menschen freundlich zu reden
und zu verkehren, das verstand er. Um dem Erbprinzen einige Kenntniß von
der Landwirthschaft zu verschaffen und einige Theilnahme für dieselbe zu er¬
werben, besuchte der Graf Görtz mit dem Erbprinzen und dessen Bruder, dem
Prinzen Constantin, bisweilen ein Rittergut oder ein fürstliches Kammergut
in der Umgegend von Weimar. Zur Ausbildung und zur geselligen Ge¬
wandtheit der beiden Prinzen trugen auch die vielen Ausflüge und kleinen
Reisen bei, welche die Herzogin Amalie und der Graf Görtz mit ihnen unter¬
nahmen und auf welchen sie Gelegenheit hatten, mit Leuten der verschieden¬
sten Stände in Berührung zu kommen. Auch Volksfeste, wie Vogelschießen
und Jahrmärkte, besuchte der Graf Görtz mit den beiden Prinzen. Durch
seinen vielfachen Verkehr mit dem Volke gewann der Erbprinz nicht nur die
Liebe seiner Unterthanen, sondern er eignete sich auch schon in jungen Jahren
eine große Menschenkenntniß an. Er lernte jeden Menschen nach seinen
inneren Vorzügen ehren und lieben. Er wußte sich in die Lage und Denk¬
weise der verschiedensten Stände und Menschenklassen hineinzudenken; er er¬
kannte sogleich, selbst unter schlichtem Gewand, das Gute und schätzenswerthe
auch des gemeinen Mannes. Er wußte jeden in angemessener Weise, Alle
mit leutseliger Humanität so zu behandeln, daß er Aller Herzen, der Hohen
und der Niederen, gewann. Dieses Wesen flößte auch den Ungebildeten ein
solches Zutrauen ein, daß sie in Karl August den Fürsten vergaßen, daß sie
in ihm nur den edlen, theilnehmenden Menschenfreund vor sich sahen und sich
in ihrer naiven Eigenthümlichkeit? offen auszusprechen wagten. Im Jahre
1775 schrieb Wieland an Knebel: „Ich wünschte zehn Jahr jünger zu sein.


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[0454] Formen der Hofetikette unterwerfen, aber sein Erzieher, der Graf Görtz, war auch bedacht, den Erbprinzen nicht bloß durch tüchtige Lehrer in den Wissen¬ schaften, sondern auch durch das Leben und für das Leben zu bilden und mit den Menschen und mit dem Leben frühzeitig bekannt zu machen. Der Graf Görtz lud deshalb nicht nur täglich einen oder zwei Staatsdtener, oder einen angesehenen Fremden, bisweilen auch eine Dame zu der Mittagstafel des Erbprinzen ein, sondern er führte den Erbprinzen auch hinaus in das Leben und unter die Menschen, in die Werkstätten der Künstler und Handwerker, in die Wohnungen der Reichen und in die Hütten der Armen, zu den Flös¬ sern auf dem Floßplatz, zu den Pflasterern in den Straßen der Stadt und zu den Arbeitern auf dem Felde., Sobald der Erbprinz erschien, brachten ihm die Feldarbeirer einen Strauß von Blumen oder von jungen Erbsen, oder es wurde der Prinz nach damaliger Sitte angebunden, oder es wurde ihm eine Leine vorgezogen, und der Prinz mußte durch ein Geldgeschenk sich auslösen. Da erscholl lauter Jubel, und der Prinz unterhielt sich freundlich und herzlich mit den Leuten. Wenn auch der Erbprinz den Herren am Hofe die steifen Complimente nicht machen wollte, mit Menschen freundlich zu reden und zu verkehren, das verstand er. Um dem Erbprinzen einige Kenntniß von der Landwirthschaft zu verschaffen und einige Theilnahme für dieselbe zu er¬ werben, besuchte der Graf Görtz mit dem Erbprinzen und dessen Bruder, dem Prinzen Constantin, bisweilen ein Rittergut oder ein fürstliches Kammergut in der Umgegend von Weimar. Zur Ausbildung und zur geselligen Ge¬ wandtheit der beiden Prinzen trugen auch die vielen Ausflüge und kleinen Reisen bei, welche die Herzogin Amalie und der Graf Görtz mit ihnen unter¬ nahmen und auf welchen sie Gelegenheit hatten, mit Leuten der verschieden¬ sten Stände in Berührung zu kommen. Auch Volksfeste, wie Vogelschießen und Jahrmärkte, besuchte der Graf Görtz mit den beiden Prinzen. Durch seinen vielfachen Verkehr mit dem Volke gewann der Erbprinz nicht nur die Liebe seiner Unterthanen, sondern er eignete sich auch schon in jungen Jahren eine große Menschenkenntniß an. Er lernte jeden Menschen nach seinen inneren Vorzügen ehren und lieben. Er wußte sich in die Lage und Denk¬ weise der verschiedensten Stände und Menschenklassen hineinzudenken; er er¬ kannte sogleich, selbst unter schlichtem Gewand, das Gute und schätzenswerthe auch des gemeinen Mannes. Er wußte jeden in angemessener Weise, Alle mit leutseliger Humanität so zu behandeln, daß er Aller Herzen, der Hohen und der Niederen, gewann. Dieses Wesen flößte auch den Ungebildeten ein solches Zutrauen ein, daß sie in Karl August den Fürsten vergaßen, daß sie in ihm nur den edlen, theilnehmenden Menschenfreund vor sich sahen und sich in ihrer naiven Eigenthümlichkeit? offen auszusprechen wagten. Im Jahre 1775 schrieb Wieland an Knebel: „Ich wünschte zehn Jahr jünger zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/454>, abgerufen am 29.06.2024.