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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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als schlichter unbekannter Reisender auftrat. Ueberall wurde der Name von
Karl August mit Achtung und Bewunderung genannt, bei allem Großen und
Schönen war man seiner Theilnahme, seiner werkthätigen Förderung gewiß
und deßhalb beeilte man sich, ihm selbst aus fer nen Ländern von allen neuen
Entdeckungen und Erfindungen Nachricht zu geben. Mit der seltenen Geistes¬
kraft und mit der hohen Bildung Karl August's war auch ein Herz voll
edler Gesinnung verbunden und machte dieselbe um so achtungswürdiger, je
zweideutiger und selbst gefährlicher Talent und Geist ohne sittlichen Adel zu
sein pflegt. Zufolge dieses ihm eigenen Seelenadels war ihm alles Gemeine.
Niedrige und Schlechte entschieden zuwider und nur das Edle und Würdige
fand bei ihm Beifall und Werthschätzung. Wenn es stets schwer ist auf dem
Throne das Reinmenschliche zu ergreifen und festzuhalten, in dem Glänze
irdischer Gewalt den sichern und klaren Blick in die verschlungenen Verhält¬
nisse und mannigfachen Anforderungen des bürgerlichen Lebens zu gewinnen,
so war dieses mehr als je im achtzehnten Jahrhundert der Fall. Es bestand
da ein schroffer Gegensatz in Beziehung auf Sitte und Lebensweise, gesell¬
schaftliche Ansprüche und sittliche Grundsätze zwischen den vornehmen Kreisen
-- den Höfen und dem Adel -- und dem übrigen Volke oder den sogenannten
bürgerlichen Klassen. Nicht genug, daß jene sich aus jede Weise, in der Ge¬
sellschaft wie im Staate, über diese erhoben, diese zurückstießen und verach¬
teten -- es hatte geradezu das Ansehen, als gehörten beide nicht einem und
demselben Volke an, so groß war die Kluft, welche in der ganzen Bildung
die Einen von den Andern trennte. Die vornehmen Klassen erschienen durch
und durch französisch, in Sitten, Gewohnheiten, Kleidung, Sprache und ge¬
selligen Formen. Es war nicht eine zufällige persönliche Liebhaberei, was
ihnen diese Vorliebe für das Fremde und diese Verachtung des Heimischen
eingab, sondern sie glaubten damit einen natürlichen Beruf ihrer gesellschaft¬
liches Stellung zu erfüllen; sie hielten es für ihre Pflicht, zwischen sich und
den andern Klassen eine tiefe Kluft herzustellen, und meinten, dies nicht besser
thun zu können, als indem sie das Beispiel des französischen Hofes und der
französischen Aristokratie nachahmten. Sie verachteten deutsche Bildung und
Gelehrsamkeit, die deutsche Wissenschaft und Kunst, nicht bloß, weil franzö¬
sischer Witz und italienische Melodieen ihnen mehr gefielen, als die noch un¬
gefügeren Formen deutscher Dichtung und die einfacheren und ernsteren Klänge
deutscher Musik, sondern fast noch mehr deßhalb, weil sie es für gemein hielten,
dasselbe zu treiben und zu lieben, was das Volk oder den Pöbel beschäftigte
und vergnügte. Die zwangvollste Etikette des französischen Hofes im ganzen
Benehmen, sowie in der Kleidung wurde für ein wesentliches Erforderniß der
vornehmen Welt gehalten.

Zwar mußte auch der junge Erbprinz Karl August sich den eisernen


als schlichter unbekannter Reisender auftrat. Ueberall wurde der Name von
Karl August mit Achtung und Bewunderung genannt, bei allem Großen und
Schönen war man seiner Theilnahme, seiner werkthätigen Förderung gewiß
und deßhalb beeilte man sich, ihm selbst aus fer nen Ländern von allen neuen
Entdeckungen und Erfindungen Nachricht zu geben. Mit der seltenen Geistes¬
kraft und mit der hohen Bildung Karl August's war auch ein Herz voll
edler Gesinnung verbunden und machte dieselbe um so achtungswürdiger, je
zweideutiger und selbst gefährlicher Talent und Geist ohne sittlichen Adel zu
sein pflegt. Zufolge dieses ihm eigenen Seelenadels war ihm alles Gemeine.
Niedrige und Schlechte entschieden zuwider und nur das Edle und Würdige
fand bei ihm Beifall und Werthschätzung. Wenn es stets schwer ist auf dem
Throne das Reinmenschliche zu ergreifen und festzuhalten, in dem Glänze
irdischer Gewalt den sichern und klaren Blick in die verschlungenen Verhält¬
nisse und mannigfachen Anforderungen des bürgerlichen Lebens zu gewinnen,
so war dieses mehr als je im achtzehnten Jahrhundert der Fall. Es bestand
da ein schroffer Gegensatz in Beziehung auf Sitte und Lebensweise, gesell¬
schaftliche Ansprüche und sittliche Grundsätze zwischen den vornehmen Kreisen
— den Höfen und dem Adel — und dem übrigen Volke oder den sogenannten
bürgerlichen Klassen. Nicht genug, daß jene sich aus jede Weise, in der Ge¬
sellschaft wie im Staate, über diese erhoben, diese zurückstießen und verach¬
teten — es hatte geradezu das Ansehen, als gehörten beide nicht einem und
demselben Volke an, so groß war die Kluft, welche in der ganzen Bildung
die Einen von den Andern trennte. Die vornehmen Klassen erschienen durch
und durch französisch, in Sitten, Gewohnheiten, Kleidung, Sprache und ge¬
selligen Formen. Es war nicht eine zufällige persönliche Liebhaberei, was
ihnen diese Vorliebe für das Fremde und diese Verachtung des Heimischen
eingab, sondern sie glaubten damit einen natürlichen Beruf ihrer gesellschaft¬
liches Stellung zu erfüllen; sie hielten es für ihre Pflicht, zwischen sich und
den andern Klassen eine tiefe Kluft herzustellen, und meinten, dies nicht besser
thun zu können, als indem sie das Beispiel des französischen Hofes und der
französischen Aristokratie nachahmten. Sie verachteten deutsche Bildung und
Gelehrsamkeit, die deutsche Wissenschaft und Kunst, nicht bloß, weil franzö¬
sischer Witz und italienische Melodieen ihnen mehr gefielen, als die noch un¬
gefügeren Formen deutscher Dichtung und die einfacheren und ernsteren Klänge
deutscher Musik, sondern fast noch mehr deßhalb, weil sie es für gemein hielten,
dasselbe zu treiben und zu lieben, was das Volk oder den Pöbel beschäftigte
und vergnügte. Die zwangvollste Etikette des französischen Hofes im ganzen
Benehmen, sowie in der Kleidung wurde für ein wesentliches Erforderniß der
vornehmen Welt gehalten.

Zwar mußte auch der junge Erbprinz Karl August sich den eisernen


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[0453] als schlichter unbekannter Reisender auftrat. Ueberall wurde der Name von Karl August mit Achtung und Bewunderung genannt, bei allem Großen und Schönen war man seiner Theilnahme, seiner werkthätigen Förderung gewiß und deßhalb beeilte man sich, ihm selbst aus fer nen Ländern von allen neuen Entdeckungen und Erfindungen Nachricht zu geben. Mit der seltenen Geistes¬ kraft und mit der hohen Bildung Karl August's war auch ein Herz voll edler Gesinnung verbunden und machte dieselbe um so achtungswürdiger, je zweideutiger und selbst gefährlicher Talent und Geist ohne sittlichen Adel zu sein pflegt. Zufolge dieses ihm eigenen Seelenadels war ihm alles Gemeine. Niedrige und Schlechte entschieden zuwider und nur das Edle und Würdige fand bei ihm Beifall und Werthschätzung. Wenn es stets schwer ist auf dem Throne das Reinmenschliche zu ergreifen und festzuhalten, in dem Glänze irdischer Gewalt den sichern und klaren Blick in die verschlungenen Verhält¬ nisse und mannigfachen Anforderungen des bürgerlichen Lebens zu gewinnen, so war dieses mehr als je im achtzehnten Jahrhundert der Fall. Es bestand da ein schroffer Gegensatz in Beziehung auf Sitte und Lebensweise, gesell¬ schaftliche Ansprüche und sittliche Grundsätze zwischen den vornehmen Kreisen — den Höfen und dem Adel — und dem übrigen Volke oder den sogenannten bürgerlichen Klassen. Nicht genug, daß jene sich aus jede Weise, in der Ge¬ sellschaft wie im Staate, über diese erhoben, diese zurückstießen und verach¬ teten — es hatte geradezu das Ansehen, als gehörten beide nicht einem und demselben Volke an, so groß war die Kluft, welche in der ganzen Bildung die Einen von den Andern trennte. Die vornehmen Klassen erschienen durch und durch französisch, in Sitten, Gewohnheiten, Kleidung, Sprache und ge¬ selligen Formen. Es war nicht eine zufällige persönliche Liebhaberei, was ihnen diese Vorliebe für das Fremde und diese Verachtung des Heimischen eingab, sondern sie glaubten damit einen natürlichen Beruf ihrer gesellschaft¬ liches Stellung zu erfüllen; sie hielten es für ihre Pflicht, zwischen sich und den andern Klassen eine tiefe Kluft herzustellen, und meinten, dies nicht besser thun zu können, als indem sie das Beispiel des französischen Hofes und der französischen Aristokratie nachahmten. Sie verachteten deutsche Bildung und Gelehrsamkeit, die deutsche Wissenschaft und Kunst, nicht bloß, weil franzö¬ sischer Witz und italienische Melodieen ihnen mehr gefielen, als die noch un¬ gefügeren Formen deutscher Dichtung und die einfacheren und ernsteren Klänge deutscher Musik, sondern fast noch mehr deßhalb, weil sie es für gemein hielten, dasselbe zu treiben und zu lieben, was das Volk oder den Pöbel beschäftigte und vergnügte. Die zwangvollste Etikette des französischen Hofes im ganzen Benehmen, sowie in der Kleidung wurde für ein wesentliches Erforderniß der vornehmen Welt gehalten. Zwar mußte auch der junge Erbprinz Karl August sich den eisernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/453>, abgerufen am 28.09.2024.