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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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baren Katastrophe, als das leichtsinnige Vertrauen des Capitains auf seine
langjährigen Erfahrungen. >

Hat das Greenwicher Polizeigericht auch diese Frage mit schonungsloser
Offenheit behandelt? Es sagt, in wenig Worte gefaßt: Die Frage, ob Ne¬
belhörner in dem betreffenden Fall für den Schiller von heilbringenden Ein¬
fluß gewesen wären, wollen wir uns nicht anmaßen zu beantworten, weil die
höchsten Autoritäten sich der Sache angenommen haben! -- Ist das ein un¬
parteiisches Urtheil, eine Antwort auf die 3. und 5. Frage, die sich der Ge¬
richtshof selbst gestellt? Das Zeugenverhör ergiebt als unzweifelhafte That¬
sache, daß der Schiller in höchstens 1600 Meter Entfernung am Bishop Nock
vorbeifuhr, daß die Nebelglocke des Leuchtthurms auf diese kurze Entfernung
nicht gehört wurde, daß aber ein Dampfnebelhorn, auf Roseveau aufgestellt,
in der Nacht, vom 7. Mai, dem Schiller jedenfalls den Warnungston
8000 bis 10,000 Meter v o r Bishop Rock zugetragen hätte! Hätte da der
Gerichtshof nicht sein Urtheil dahin vervollständigen müssen, daß er etwa
sagte: "Neben der Vernachlässigung von Seiten der Schiffsführung trägt
aber auch und vor Allem die Englische Leuchtthurm-Berwaltung einen großen,
wenn nicht den größten Theil der Schuld an dem Tode der 331 Personen,
indem sie unterließ, ein Dampfnebelhorn auf diese so gefährliche Stelle
unsrer Küsten zu setzen, einem Punkt, an welchem mehr als die Hälfte des
ganzen europäischen Seehandels vorbeizieht." -- Also nicht die einzige Ur¬
sache der Katastrophe ist die leichtsinnige Vertrauenssicherheit des Capitciin
Thomas, sondern nach meiner Ansicht trägt die gute Hälfte der Schuld die
Leuchtthurm-Behörde Englands! Man braucht nur die Verhöre genau zu
sehen, um zu diesem Resultate zu gelangen. Dieses darzuthun war der Zweck
dieser Zeilen.

Die Schuld des verstorbenen Capitain Thomas soll deßhalb nicht ge¬
leugnet, seine Verantwortlichkeit für den Tod so vieler Menschen nicht bestritten
werden. Aber wohl erscheint es berechtigt, den Tadel auch dahin zu weisen,
wohin er vor Allem gehört. Wenn aus den Scilly-Inseln nicht bald ein
Dampfnebelhorn aufgestellt wird, so kann uns jeder Tag wieder die Kunde
einer so schrecklichen Katastrophe bringen. Die Schutzmittel gegen Schiffbruch
sind bei dem heutigen Stand der Wissenschaft jetzt am Lande leicht so zu
treffen, daß die Menschenleben auch gegen den Leichtsinn, die Nachlässigkeit,
das zu große Selbstvertrauen der Schiffsführung geschützt werden können-
Und was in dieser Richtung geschehen kann, muß geschehen. Eine Un¬
möglichkeit liegt keineswegs vor, wie die Dampfhörner bei Sandy Rock, Race
Point, Block Island, Dungeneß u. s. w. seit Jahren zur Genüge beweisen.
Auf den Scilly-Inseln kostet aber die Aufstellung einer solchen Nebeltrompete
ziemliches Geld, und dieser letztere Umstand wird wohl der Hauptgrund sein,


baren Katastrophe, als das leichtsinnige Vertrauen des Capitains auf seine
langjährigen Erfahrungen. >

Hat das Greenwicher Polizeigericht auch diese Frage mit schonungsloser
Offenheit behandelt? Es sagt, in wenig Worte gefaßt: Die Frage, ob Ne¬
belhörner in dem betreffenden Fall für den Schiller von heilbringenden Ein¬
fluß gewesen wären, wollen wir uns nicht anmaßen zu beantworten, weil die
höchsten Autoritäten sich der Sache angenommen haben! — Ist das ein un¬
parteiisches Urtheil, eine Antwort auf die 3. und 5. Frage, die sich der Ge¬
richtshof selbst gestellt? Das Zeugenverhör ergiebt als unzweifelhafte That¬
sache, daß der Schiller in höchstens 1600 Meter Entfernung am Bishop Nock
vorbeifuhr, daß die Nebelglocke des Leuchtthurms auf diese kurze Entfernung
nicht gehört wurde, daß aber ein Dampfnebelhorn, auf Roseveau aufgestellt,
in der Nacht, vom 7. Mai, dem Schiller jedenfalls den Warnungston
8000 bis 10,000 Meter v o r Bishop Rock zugetragen hätte! Hätte da der
Gerichtshof nicht sein Urtheil dahin vervollständigen müssen, daß er etwa
sagte: „Neben der Vernachlässigung von Seiten der Schiffsführung trägt
aber auch und vor Allem die Englische Leuchtthurm-Berwaltung einen großen,
wenn nicht den größten Theil der Schuld an dem Tode der 331 Personen,
indem sie unterließ, ein Dampfnebelhorn auf diese so gefährliche Stelle
unsrer Küsten zu setzen, einem Punkt, an welchem mehr als die Hälfte des
ganzen europäischen Seehandels vorbeizieht." — Also nicht die einzige Ur¬
sache der Katastrophe ist die leichtsinnige Vertrauenssicherheit des Capitciin
Thomas, sondern nach meiner Ansicht trägt die gute Hälfte der Schuld die
Leuchtthurm-Behörde Englands! Man braucht nur die Verhöre genau zu
sehen, um zu diesem Resultate zu gelangen. Dieses darzuthun war der Zweck
dieser Zeilen.

Die Schuld des verstorbenen Capitain Thomas soll deßhalb nicht ge¬
leugnet, seine Verantwortlichkeit für den Tod so vieler Menschen nicht bestritten
werden. Aber wohl erscheint es berechtigt, den Tadel auch dahin zu weisen,
wohin er vor Allem gehört. Wenn aus den Scilly-Inseln nicht bald ein
Dampfnebelhorn aufgestellt wird, so kann uns jeder Tag wieder die Kunde
einer so schrecklichen Katastrophe bringen. Die Schutzmittel gegen Schiffbruch
sind bei dem heutigen Stand der Wissenschaft jetzt am Lande leicht so zu
treffen, daß die Menschenleben auch gegen den Leichtsinn, die Nachlässigkeit,
das zu große Selbstvertrauen der Schiffsführung geschützt werden können-
Und was in dieser Richtung geschehen kann, muß geschehen. Eine Un¬
möglichkeit liegt keineswegs vor, wie die Dampfhörner bei Sandy Rock, Race
Point, Block Island, Dungeneß u. s. w. seit Jahren zur Genüge beweisen.
Auf den Scilly-Inseln kostet aber die Aufstellung einer solchen Nebeltrompete
ziemliches Geld, und dieser letztere Umstand wird wohl der Hauptgrund sein,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/440>, abgerufen am 26.06.2024.