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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Schiffe 100 I. klassifizirt.') Das Schiff verließ New-York am 27.
April und war nach Plymouth, (Lherbourg, Hamburg bestimmt. Die
Besatzung bestand im Ganzen aus 118 Personen. Das Kommando führte
Capitain Thomas, ein tüchtiger und erfahrener Offizier, der länger als sechs
Jahre ehe er diesen Dampfer befehligte, im Dienste der Peninsular und Orien¬
ts Dampfschifffahrts-Gesellschaft gestanden hatte. Das Schiff hatte 254 Pas¬
sagiere, sowie die australische, neuseeländische und andere Posten an Bord.
Dem gewöhnlichen Gebrauche gemäß wurde es beabsichtigt, mit Scilly zu
signalisiren, um dem Agenten in Plymouth Nachricht zu geben, daß er zum
Landen der Post feine Vorbereitungen treffe. Vom 4. Mai an, wo man
zuletzt Ooservationen gehabt hatte, wurde das Wetter, wie aus den Zeugen¬
aussagen hervorgeht, so dicht, daß man hinfort keine Beobachtungen mehr
machen konnte. Am 7. war Nebel eingetreten, der mit Anbruch der Nacht
und je näher sie dem Lande kamen, dichter wurde. Um Mittag desselben
Tages glaubte man den Schiffsort nach der Loggerechnung auf 49" 50'
N. und 10" 23' W. Wäre diese Rechnung richtig gewesen, so würde der
Schiller zur Zeit fast auf der Breite von Bishop Rock und 152 Seemeilen
westlich davon gestanden haben. Oertliche Ablenkung des Compasses scheint
nicht vorhanden gewesen zu sein, folglich wurde der Kurs auf Scilly 587" O.
gefahren, bei einer Geschwindigkeit von 14 Seemeilen per Stunde unter
Dampf und Segeln, und während dichten Nebels. Dieser Kurs wurde bis
9'/z Uhr Abends beibehalten und würde das Schiff 8 Seemeilen südlich vom
Bishop Rock geführt haben, vorausgesetzt, daß der Schiffsort Mittags richtig
war. Nach der Zeugenaussage des ersten Offiziers wurde um 9^ Uhr der
Kurs auf S. S. W. geändert, Segel eingenommen, die Schiffsgeschwindigkeit
verringert, und um 10 Uhr stieß das Schiff, welches innerhalb des Bishop
Rock Leuchtthurms gerathen war, ohne daß man dessen Feuer gesehen oder
dessen Glocke, die zur Zeit ertönte, gehört hätte, auf die Retarier Ledges
und wurde schließlich total wrack, wobei 331 Personen, darunter der Capitain,
ums Leben kamen. Kurz nachdem das Schiff aufgeräumt, wurde das Kom¬
mando gegeben, die Boote flott zu machen. Von den an Bord befindlichen
8 Booten, von denen 6 Lebensrettungsboote waren, wurde nur Eines, und
zwar ein Gig, glücklich ins Wasser gebracht, die anderen wurden entweder
beim Herablassen zertrümmert oder von der See ^ fortgespült. An Rettungs¬
gürteln war ein großer Vorrath an Bord, außer 12 Rettungsringen 800
Stück, doch schienen dieselben auf irrige Weise gebraucht worden zu sein,
da alle an das Land gespülter Leichen damit versehen gewesen sein
sollen."




-) 10" heißt: auf 100 Jahre ein Schiff erster Classe in jeder Beziehung.
") Logge ein Schiffsgcschwindigkeitsmesscr.

Schiffe 100 I. klassifizirt.') Das Schiff verließ New-York am 27.
April und war nach Plymouth, (Lherbourg, Hamburg bestimmt. Die
Besatzung bestand im Ganzen aus 118 Personen. Das Kommando führte
Capitain Thomas, ein tüchtiger und erfahrener Offizier, der länger als sechs
Jahre ehe er diesen Dampfer befehligte, im Dienste der Peninsular und Orien¬
ts Dampfschifffahrts-Gesellschaft gestanden hatte. Das Schiff hatte 254 Pas¬
sagiere, sowie die australische, neuseeländische und andere Posten an Bord.
Dem gewöhnlichen Gebrauche gemäß wurde es beabsichtigt, mit Scilly zu
signalisiren, um dem Agenten in Plymouth Nachricht zu geben, daß er zum
Landen der Post feine Vorbereitungen treffe. Vom 4. Mai an, wo man
zuletzt Ooservationen gehabt hatte, wurde das Wetter, wie aus den Zeugen¬
aussagen hervorgeht, so dicht, daß man hinfort keine Beobachtungen mehr
machen konnte. Am 7. war Nebel eingetreten, der mit Anbruch der Nacht
und je näher sie dem Lande kamen, dichter wurde. Um Mittag desselben
Tages glaubte man den Schiffsort nach der Loggerechnung auf 49" 50'
N. und 10" 23' W. Wäre diese Rechnung richtig gewesen, so würde der
Schiller zur Zeit fast auf der Breite von Bishop Rock und 152 Seemeilen
westlich davon gestanden haben. Oertliche Ablenkung des Compasses scheint
nicht vorhanden gewesen zu sein, folglich wurde der Kurs auf Scilly 587" O.
gefahren, bei einer Geschwindigkeit von 14 Seemeilen per Stunde unter
Dampf und Segeln, und während dichten Nebels. Dieser Kurs wurde bis
9'/z Uhr Abends beibehalten und würde das Schiff 8 Seemeilen südlich vom
Bishop Rock geführt haben, vorausgesetzt, daß der Schiffsort Mittags richtig
war. Nach der Zeugenaussage des ersten Offiziers wurde um 9^ Uhr der
Kurs auf S. S. W. geändert, Segel eingenommen, die Schiffsgeschwindigkeit
verringert, und um 10 Uhr stieß das Schiff, welches innerhalb des Bishop
Rock Leuchtthurms gerathen war, ohne daß man dessen Feuer gesehen oder
dessen Glocke, die zur Zeit ertönte, gehört hätte, auf die Retarier Ledges
und wurde schließlich total wrack, wobei 331 Personen, darunter der Capitain,
ums Leben kamen. Kurz nachdem das Schiff aufgeräumt, wurde das Kom¬
mando gegeben, die Boote flott zu machen. Von den an Bord befindlichen
8 Booten, von denen 6 Lebensrettungsboote waren, wurde nur Eines, und
zwar ein Gig, glücklich ins Wasser gebracht, die anderen wurden entweder
beim Herablassen zertrümmert oder von der See ^ fortgespült. An Rettungs¬
gürteln war ein großer Vorrath an Bord, außer 12 Rettungsringen 800
Stück, doch schienen dieselben auf irrige Weise gebraucht worden zu sein,
da alle an das Land gespülter Leichen damit versehen gewesen sein
sollen."




-) 10» heißt: auf 100 Jahre ein Schiff erster Classe in jeder Beziehung.
") Logge ein Schiffsgcschwindigkeitsmesscr.
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[0436] Schiffe 100 I. klassifizirt.') Das Schiff verließ New-York am 27. April und war nach Plymouth, (Lherbourg, Hamburg bestimmt. Die Besatzung bestand im Ganzen aus 118 Personen. Das Kommando führte Capitain Thomas, ein tüchtiger und erfahrener Offizier, der länger als sechs Jahre ehe er diesen Dampfer befehligte, im Dienste der Peninsular und Orien¬ ts Dampfschifffahrts-Gesellschaft gestanden hatte. Das Schiff hatte 254 Pas¬ sagiere, sowie die australische, neuseeländische und andere Posten an Bord. Dem gewöhnlichen Gebrauche gemäß wurde es beabsichtigt, mit Scilly zu signalisiren, um dem Agenten in Plymouth Nachricht zu geben, daß er zum Landen der Post feine Vorbereitungen treffe. Vom 4. Mai an, wo man zuletzt Ooservationen gehabt hatte, wurde das Wetter, wie aus den Zeugen¬ aussagen hervorgeht, so dicht, daß man hinfort keine Beobachtungen mehr machen konnte. Am 7. war Nebel eingetreten, der mit Anbruch der Nacht und je näher sie dem Lande kamen, dichter wurde. Um Mittag desselben Tages glaubte man den Schiffsort nach der Loggerechnung auf 49" 50' N. und 10" 23' W. Wäre diese Rechnung richtig gewesen, so würde der Schiller zur Zeit fast auf der Breite von Bishop Rock und 152 Seemeilen westlich davon gestanden haben. Oertliche Ablenkung des Compasses scheint nicht vorhanden gewesen zu sein, folglich wurde der Kurs auf Scilly 587" O. gefahren, bei einer Geschwindigkeit von 14 Seemeilen per Stunde unter Dampf und Segeln, und während dichten Nebels. Dieser Kurs wurde bis 9'/z Uhr Abends beibehalten und würde das Schiff 8 Seemeilen südlich vom Bishop Rock geführt haben, vorausgesetzt, daß der Schiffsort Mittags richtig war. Nach der Zeugenaussage des ersten Offiziers wurde um 9^ Uhr der Kurs auf S. S. W. geändert, Segel eingenommen, die Schiffsgeschwindigkeit verringert, und um 10 Uhr stieß das Schiff, welches innerhalb des Bishop Rock Leuchtthurms gerathen war, ohne daß man dessen Feuer gesehen oder dessen Glocke, die zur Zeit ertönte, gehört hätte, auf die Retarier Ledges und wurde schließlich total wrack, wobei 331 Personen, darunter der Capitain, ums Leben kamen. Kurz nachdem das Schiff aufgeräumt, wurde das Kom¬ mando gegeben, die Boote flott zu machen. Von den an Bord befindlichen 8 Booten, von denen 6 Lebensrettungsboote waren, wurde nur Eines, und zwar ein Gig, glücklich ins Wasser gebracht, die anderen wurden entweder beim Herablassen zertrümmert oder von der See ^ fortgespült. An Rettungs¬ gürteln war ein großer Vorrath an Bord, außer 12 Rettungsringen 800 Stück, doch schienen dieselben auf irrige Weise gebraucht worden zu sein, da alle an das Land gespülter Leichen damit versehen gewesen sein sollen." -) 10» heißt: auf 100 Jahre ein Schiff erster Classe in jeder Beziehung. ") Logge ein Schiffsgcschwindigkeitsmesscr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/436>, abgerufen am 26.06.2024.