Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wird die Frage gestellt: was er thun würde, wenn er nach langem Nebel
sich Mittags ISO Meilen vom Lande vermuthe, bei einer Schiffsgeschwindig-
keit von 14 Knoten. Er sagt "er würde bis 9^ Uhr Abends fahren ohne
Senkbleimessungen zu nehmen, wenn dann der Nebel dichter würde,
eine Tiefenmessung machen und das Schiff nach S. S. O. ablenken. Er sagt,
ferner, daß nach anhaltendem Südwestwind (die vorherrschende Windesrichtung
vom 4. bis 7. Mai) eine starke nach Norden treibende Strömung herrsche,
welche auch bei bester Vorsicht das Schiff nicht nur mehr nach Norden,
als berechnet, versetzen könne, sondern dessen Schnelligkeit unbemerkt gegen
das Land zu vermehren könne.

Der zweite Lootse Jacob Deason, zur Zeit wegen Alters außer Diensten,
sagt im Wesentlichen dasselbe aus, wie sein Vorgänger. Er beantwortet
namentlich dieselbe Frage fast gleichlautend mit Hicks. Nur fügt er noch
hinzu: Er würde heranfahren, bis er sich 18--20 Meilen vom Land ent¬
fernt wisse, (bei Nebel also doch nur "vermuthe",) und dann würde er
Senkbleimessungen machen. Capitain Thomas vermuthete sich aber noch
25 Meilen vom Land. Beide Lootsen betonen ferner aber auf das Entschie¬
denste, wie auch der 2. Offizier des Schiller, Erwin Pohlmann, daß auf
Rosevear, welches zwei Seemeilen vom Bishop Rock entfernt ist, Platz genug
sei, ein Dampfnebelhorn aufzustellen, daß man ein Solches am Abend des 7.
Mai, jedenfalls 7 Meilen in See gehört hätte, also noch 5 Meilen vor
dem Leuchtthurm von Bishop Rock. Fünf Seemeilen sind etwa 10000 Meter,
während der Schiller in höchstens 1600 Meter Entfernung am Leucht¬
thurm vorbeischoß, ohne nur den leisesten Warnungston von dort zu ver¬
nehmen!

Endlich erhellt eine sehr wichtige Thatsache aus der Vernehmung dieser
beiden Lootsen, sowie des Deutschen Mac-Consuls Bainfieldt zu Scilly;
daß nämlich eine englische Fregatte, trotz ihrer allbekannten Ordnung und
Vorsicht, im Nebel doch in die Mitte der Crim Rocks gerathen war und nur
durch ein Wunder gerettet wurde. Auch auf Crim Rocks sei nothdürftig Platz
zur Aufstellung eines Dampfnebelhorns; doch würde ein solches, auf Rosevear
aufgestellt, in den meisten Fällen, auch noch in genügendem Abstand vor jenen
gefährlichen Klippen gehört werden.

Auf diese festgestellten Thatsachen nun gestützt, erließ das Polizei-Gericht
zu Greenwich sein Urtheil, welches hier in wortgetreuer Uebersetzung folgt:

"Der Schiller war ein eisernes Dampfschiff, in Hamburg heimatsberech-
tigt; derselbe war im Jahre 1873 von R. Napier und Söhne in Glasgow
erbaut. Sein Gehalt betrug 3420,76 Brutto-Tonnen, und 2326,12 Register-
Tonnen. Das Schiff war Eigenthum der deutschen Transatlantischen Dampf¬
schifffahrtsgesellschaft und in Loyds Register der englischen und fremden


wird die Frage gestellt: was er thun würde, wenn er nach langem Nebel
sich Mittags ISO Meilen vom Lande vermuthe, bei einer Schiffsgeschwindig-
keit von 14 Knoten. Er sagt „er würde bis 9^ Uhr Abends fahren ohne
Senkbleimessungen zu nehmen, wenn dann der Nebel dichter würde,
eine Tiefenmessung machen und das Schiff nach S. S. O. ablenken. Er sagt,
ferner, daß nach anhaltendem Südwestwind (die vorherrschende Windesrichtung
vom 4. bis 7. Mai) eine starke nach Norden treibende Strömung herrsche,
welche auch bei bester Vorsicht das Schiff nicht nur mehr nach Norden,
als berechnet, versetzen könne, sondern dessen Schnelligkeit unbemerkt gegen
das Land zu vermehren könne.

Der zweite Lootse Jacob Deason, zur Zeit wegen Alters außer Diensten,
sagt im Wesentlichen dasselbe aus, wie sein Vorgänger. Er beantwortet
namentlich dieselbe Frage fast gleichlautend mit Hicks. Nur fügt er noch
hinzu: Er würde heranfahren, bis er sich 18—20 Meilen vom Land ent¬
fernt wisse, (bei Nebel also doch nur „vermuthe",) und dann würde er
Senkbleimessungen machen. Capitain Thomas vermuthete sich aber noch
25 Meilen vom Land. Beide Lootsen betonen ferner aber auf das Entschie¬
denste, wie auch der 2. Offizier des Schiller, Erwin Pohlmann, daß auf
Rosevear, welches zwei Seemeilen vom Bishop Rock entfernt ist, Platz genug
sei, ein Dampfnebelhorn aufzustellen, daß man ein Solches am Abend des 7.
Mai, jedenfalls 7 Meilen in See gehört hätte, also noch 5 Meilen vor
dem Leuchtthurm von Bishop Rock. Fünf Seemeilen sind etwa 10000 Meter,
während der Schiller in höchstens 1600 Meter Entfernung am Leucht¬
thurm vorbeischoß, ohne nur den leisesten Warnungston von dort zu ver¬
nehmen!

Endlich erhellt eine sehr wichtige Thatsache aus der Vernehmung dieser
beiden Lootsen, sowie des Deutschen Mac-Consuls Bainfieldt zu Scilly;
daß nämlich eine englische Fregatte, trotz ihrer allbekannten Ordnung und
Vorsicht, im Nebel doch in die Mitte der Crim Rocks gerathen war und nur
durch ein Wunder gerettet wurde. Auch auf Crim Rocks sei nothdürftig Platz
zur Aufstellung eines Dampfnebelhorns; doch würde ein solches, auf Rosevear
aufgestellt, in den meisten Fällen, auch noch in genügendem Abstand vor jenen
gefährlichen Klippen gehört werden.

Auf diese festgestellten Thatsachen nun gestützt, erließ das Polizei-Gericht
zu Greenwich sein Urtheil, welches hier in wortgetreuer Uebersetzung folgt:

„Der Schiller war ein eisernes Dampfschiff, in Hamburg heimatsberech-
tigt; derselbe war im Jahre 1873 von R. Napier und Söhne in Glasgow
erbaut. Sein Gehalt betrug 3420,76 Brutto-Tonnen, und 2326,12 Register-
Tonnen. Das Schiff war Eigenthum der deutschen Transatlantischen Dampf¬
schifffahrtsgesellschaft und in Loyds Register der englischen und fremden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134253"/>
          <p xml:id="ID_1355" prev="#ID_1354"> wird die Frage gestellt: was er thun würde, wenn er nach langem Nebel<lb/>
sich Mittags ISO Meilen vom Lande vermuthe, bei einer Schiffsgeschwindig-<lb/>
keit von 14 Knoten. Er sagt &#x201E;er würde bis 9^ Uhr Abends fahren ohne<lb/>
Senkbleimessungen zu nehmen, wenn dann der Nebel dichter würde,<lb/>
eine Tiefenmessung machen und das Schiff nach S. S. O. ablenken. Er sagt,<lb/>
ferner, daß nach anhaltendem Südwestwind (die vorherrschende Windesrichtung<lb/>
vom 4. bis 7. Mai) eine starke nach Norden treibende Strömung herrsche,<lb/>
welche auch bei bester Vorsicht das Schiff nicht nur mehr nach Norden,<lb/>
als berechnet, versetzen könne, sondern dessen Schnelligkeit unbemerkt gegen<lb/>
das Land zu vermehren könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1356"> Der zweite Lootse Jacob Deason, zur Zeit wegen Alters außer Diensten,<lb/>
sagt im Wesentlichen dasselbe aus, wie sein Vorgänger. Er beantwortet<lb/>
namentlich dieselbe Frage fast gleichlautend mit Hicks. Nur fügt er noch<lb/>
hinzu: Er würde heranfahren, bis er sich 18&#x2014;20 Meilen vom Land ent¬<lb/>
fernt wisse, (bei Nebel also doch nur &#x201E;vermuthe",) und dann würde er<lb/>
Senkbleimessungen machen. Capitain Thomas vermuthete sich aber noch<lb/>
25 Meilen vom Land. Beide Lootsen betonen ferner aber auf das Entschie¬<lb/>
denste, wie auch der 2. Offizier des Schiller, Erwin Pohlmann, daß auf<lb/>
Rosevear, welches zwei Seemeilen vom Bishop Rock entfernt ist, Platz genug<lb/>
sei, ein Dampfnebelhorn aufzustellen, daß man ein Solches am Abend des 7.<lb/>
Mai, jedenfalls 7 Meilen in See gehört hätte, also noch 5 Meilen vor<lb/>
dem Leuchtthurm von Bishop Rock. Fünf Seemeilen sind etwa 10000 Meter,<lb/>
während der Schiller in höchstens 1600 Meter Entfernung am Leucht¬<lb/>
thurm vorbeischoß, ohne nur den leisesten Warnungston von dort zu ver¬<lb/>
nehmen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1357"> Endlich erhellt eine sehr wichtige Thatsache aus der Vernehmung dieser<lb/>
beiden Lootsen, sowie des Deutschen Mac-Consuls Bainfieldt zu Scilly;<lb/>
daß nämlich eine englische Fregatte, trotz ihrer allbekannten Ordnung und<lb/>
Vorsicht, im Nebel doch in die Mitte der Crim Rocks gerathen war und nur<lb/>
durch ein Wunder gerettet wurde. Auch auf Crim Rocks sei nothdürftig Platz<lb/>
zur Aufstellung eines Dampfnebelhorns; doch würde ein solches, auf Rosevear<lb/>
aufgestellt, in den meisten Fällen, auch noch in genügendem Abstand vor jenen<lb/>
gefährlichen Klippen gehört werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1358"> Auf diese festgestellten Thatsachen nun gestützt, erließ das Polizei-Gericht<lb/>
zu Greenwich sein Urtheil, welches hier in wortgetreuer Uebersetzung folgt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1359" next="#ID_1360"> &#x201E;Der Schiller war ein eisernes Dampfschiff, in Hamburg heimatsberech-<lb/>
tigt; derselbe war im Jahre 1873 von R. Napier und Söhne in Glasgow<lb/>
erbaut. Sein Gehalt betrug 3420,76 Brutto-Tonnen, und 2326,12 Register-<lb/>
Tonnen. Das Schiff war Eigenthum der deutschen Transatlantischen Dampf¬<lb/>
schifffahrtsgesellschaft und  in Loyds Register der englischen und fremden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] wird die Frage gestellt: was er thun würde, wenn er nach langem Nebel sich Mittags ISO Meilen vom Lande vermuthe, bei einer Schiffsgeschwindig- keit von 14 Knoten. Er sagt „er würde bis 9^ Uhr Abends fahren ohne Senkbleimessungen zu nehmen, wenn dann der Nebel dichter würde, eine Tiefenmessung machen und das Schiff nach S. S. O. ablenken. Er sagt, ferner, daß nach anhaltendem Südwestwind (die vorherrschende Windesrichtung vom 4. bis 7. Mai) eine starke nach Norden treibende Strömung herrsche, welche auch bei bester Vorsicht das Schiff nicht nur mehr nach Norden, als berechnet, versetzen könne, sondern dessen Schnelligkeit unbemerkt gegen das Land zu vermehren könne. Der zweite Lootse Jacob Deason, zur Zeit wegen Alters außer Diensten, sagt im Wesentlichen dasselbe aus, wie sein Vorgänger. Er beantwortet namentlich dieselbe Frage fast gleichlautend mit Hicks. Nur fügt er noch hinzu: Er würde heranfahren, bis er sich 18—20 Meilen vom Land ent¬ fernt wisse, (bei Nebel also doch nur „vermuthe",) und dann würde er Senkbleimessungen machen. Capitain Thomas vermuthete sich aber noch 25 Meilen vom Land. Beide Lootsen betonen ferner aber auf das Entschie¬ denste, wie auch der 2. Offizier des Schiller, Erwin Pohlmann, daß auf Rosevear, welches zwei Seemeilen vom Bishop Rock entfernt ist, Platz genug sei, ein Dampfnebelhorn aufzustellen, daß man ein Solches am Abend des 7. Mai, jedenfalls 7 Meilen in See gehört hätte, also noch 5 Meilen vor dem Leuchtthurm von Bishop Rock. Fünf Seemeilen sind etwa 10000 Meter, während der Schiller in höchstens 1600 Meter Entfernung am Leucht¬ thurm vorbeischoß, ohne nur den leisesten Warnungston von dort zu ver¬ nehmen! Endlich erhellt eine sehr wichtige Thatsache aus der Vernehmung dieser beiden Lootsen, sowie des Deutschen Mac-Consuls Bainfieldt zu Scilly; daß nämlich eine englische Fregatte, trotz ihrer allbekannten Ordnung und Vorsicht, im Nebel doch in die Mitte der Crim Rocks gerathen war und nur durch ein Wunder gerettet wurde. Auch auf Crim Rocks sei nothdürftig Platz zur Aufstellung eines Dampfnebelhorns; doch würde ein solches, auf Rosevear aufgestellt, in den meisten Fällen, auch noch in genügendem Abstand vor jenen gefährlichen Klippen gehört werden. Auf diese festgestellten Thatsachen nun gestützt, erließ das Polizei-Gericht zu Greenwich sein Urtheil, welches hier in wortgetreuer Uebersetzung folgt: „Der Schiller war ein eisernes Dampfschiff, in Hamburg heimatsberech- tigt; derselbe war im Jahre 1873 von R. Napier und Söhne in Glasgow erbaut. Sein Gehalt betrug 3420,76 Brutto-Tonnen, und 2326,12 Register- Tonnen. Das Schiff war Eigenthum der deutschen Transatlantischen Dampf¬ schifffahrtsgesellschaft und in Loyds Register der englischen und fremden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/435>, abgerufen am 26.06.2024.