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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Menschheit symbolisch darstellen sollten. Er dachte dieselben in colossalen
Dimensionen für einen öffentlichen Platz von Brüssel auszuführen. Die erste
stellt die Geburt der Leidenschaften, die zweite den Kampf, die dritte "das
Licht", d. h. die Civilisation dar, welche dem Kampf ein Ende macht. Na¬
mentlich die dritte Gruppe, in welcher ein Genius dem Engel des Bösen, der
sich zu seinen Füßen windet, das brudermörderische Schwert entreißt und die
Fackel der Aufklärung emporhält, ist von mächtiger Wirkung.

Mit der heiteren Ruhe eines stoischen Philosophen schied er aus einem
Leben, das noch so reich war an Entwürfen, welche die nächste Zeit hatte
verwirklichen sollen. Ueberhaupt ist dem Charakter dieses Künstlers ein antiker
Zug eigen. Er tritt hervor in der Kraft des Willens, in der Standhaftig-
keit und Festigkeit, mit der er, unberührt von Einwirkungen des vielgestaltigen,
distrahirenden modernen Lebens, seinen einsamen Weg geht, in der allgemein
menschlichen Erhabenheit seines künstlerischen Sinnens und Schaffens, das
sich um den herrschenden Geschmack nicht kümmert; in der antik-innigen Auf¬
fassung der Freundschaft, in seiner bewunderungswürdigen Bedürfnißlosigkeit.
Ich habe nicht erwähnt, daß Wiertz auch für die Fortentwickelung der Technik
der Malerei bedeutendes geleistet, daß er in einer Reihe von Schriften tief¬
sinnige Ideen über die Theorie der bildenden Künste niedergelegt hat. In
einem jener Bücher ruft er mit antikstrenger Energie den Jüngern seiner
Kunst die Worte zu: "Wenn ihr nicht diese glühende Liebe, diesen unbeug¬
samen Muth, diese mächtige Begeisterung fühlt, welche der Kunst Alles auf¬
zuopfern im Stande ist, dann bleibt uns fern; wenn aber die Leidenschaft,
die uns beseelt, eure Seele erfüllt, dann kommt zu uns und ihr werdet be¬
greifen lernen, auf ein wie geringes Maaß die Bedürfnisse des Lebens sich
beschränken lassen, wie mäßig und anspruchslos der Leib sein kann, wenn die
Seele nur von einem Wunsch, von einem Verlangen erfüllt ist." Das ist doch
fürwahr die Sprache eines Mannes der antiken Welt, und, was mehr ist,
er blieb im Handeln nicht hinter seinen Worten zurück.

Wenn man ein einigermaßen treues Bild dieses reichen Lebens entwerfen
wollte, so müßte man ein Buch schreiben. Hier nur noch einige Bemerkungen
über eine Seite des künstlerischen Charakters unseres Helden, die bisher
noch nicht berührt worden ist. Ich habe aus der umfangreichen Sammlung
seiner Werke -- sie zählt 110 Nummern -- nur einige wenige flüchtig be¬
rühren könnten. Alle diese gehörten einem ernsten, erhabenen, fast tragischen
Stil an; die gewaltigsten Leidenschaften, die tiefsten Ideen sahen wir auf
ihnen zur Darstellung gebracht. Aber derselbe Künstler, welcher den Kampf
der guten und bösen Geister, den Triumph des Himmels über die Hölle, das
gigantische Ringen antiker Helden, den Vernichtungskampf der Parteien mit
congenialer Kraft zu malen verstand, er weiß auch in reizenden Genrebildern


Menschheit symbolisch darstellen sollten. Er dachte dieselben in colossalen
Dimensionen für einen öffentlichen Platz von Brüssel auszuführen. Die erste
stellt die Geburt der Leidenschaften, die zweite den Kampf, die dritte „das
Licht", d. h. die Civilisation dar, welche dem Kampf ein Ende macht. Na¬
mentlich die dritte Gruppe, in welcher ein Genius dem Engel des Bösen, der
sich zu seinen Füßen windet, das brudermörderische Schwert entreißt und die
Fackel der Aufklärung emporhält, ist von mächtiger Wirkung.

Mit der heiteren Ruhe eines stoischen Philosophen schied er aus einem
Leben, das noch so reich war an Entwürfen, welche die nächste Zeit hatte
verwirklichen sollen. Ueberhaupt ist dem Charakter dieses Künstlers ein antiker
Zug eigen. Er tritt hervor in der Kraft des Willens, in der Standhaftig-
keit und Festigkeit, mit der er, unberührt von Einwirkungen des vielgestaltigen,
distrahirenden modernen Lebens, seinen einsamen Weg geht, in der allgemein
menschlichen Erhabenheit seines künstlerischen Sinnens und Schaffens, das
sich um den herrschenden Geschmack nicht kümmert; in der antik-innigen Auf¬
fassung der Freundschaft, in seiner bewunderungswürdigen Bedürfnißlosigkeit.
Ich habe nicht erwähnt, daß Wiertz auch für die Fortentwickelung der Technik
der Malerei bedeutendes geleistet, daß er in einer Reihe von Schriften tief¬
sinnige Ideen über die Theorie der bildenden Künste niedergelegt hat. In
einem jener Bücher ruft er mit antikstrenger Energie den Jüngern seiner
Kunst die Worte zu: „Wenn ihr nicht diese glühende Liebe, diesen unbeug¬
samen Muth, diese mächtige Begeisterung fühlt, welche der Kunst Alles auf¬
zuopfern im Stande ist, dann bleibt uns fern; wenn aber die Leidenschaft,
die uns beseelt, eure Seele erfüllt, dann kommt zu uns und ihr werdet be¬
greifen lernen, auf ein wie geringes Maaß die Bedürfnisse des Lebens sich
beschränken lassen, wie mäßig und anspruchslos der Leib sein kann, wenn die
Seele nur von einem Wunsch, von einem Verlangen erfüllt ist." Das ist doch
fürwahr die Sprache eines Mannes der antiken Welt, und, was mehr ist,
er blieb im Handeln nicht hinter seinen Worten zurück.

Wenn man ein einigermaßen treues Bild dieses reichen Lebens entwerfen
wollte, so müßte man ein Buch schreiben. Hier nur noch einige Bemerkungen
über eine Seite des künstlerischen Charakters unseres Helden, die bisher
noch nicht berührt worden ist. Ich habe aus der umfangreichen Sammlung
seiner Werke — sie zählt 110 Nummern — nur einige wenige flüchtig be¬
rühren könnten. Alle diese gehörten einem ernsten, erhabenen, fast tragischen
Stil an; die gewaltigsten Leidenschaften, die tiefsten Ideen sahen wir auf
ihnen zur Darstellung gebracht. Aber derselbe Künstler, welcher den Kampf
der guten und bösen Geister, den Triumph des Himmels über die Hölle, das
gigantische Ringen antiker Helden, den Vernichtungskampf der Parteien mit
congenialer Kraft zu malen verstand, er weiß auch in reizenden Genrebildern


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[0430] Menschheit symbolisch darstellen sollten. Er dachte dieselben in colossalen Dimensionen für einen öffentlichen Platz von Brüssel auszuführen. Die erste stellt die Geburt der Leidenschaften, die zweite den Kampf, die dritte „das Licht", d. h. die Civilisation dar, welche dem Kampf ein Ende macht. Na¬ mentlich die dritte Gruppe, in welcher ein Genius dem Engel des Bösen, der sich zu seinen Füßen windet, das brudermörderische Schwert entreißt und die Fackel der Aufklärung emporhält, ist von mächtiger Wirkung. Mit der heiteren Ruhe eines stoischen Philosophen schied er aus einem Leben, das noch so reich war an Entwürfen, welche die nächste Zeit hatte verwirklichen sollen. Ueberhaupt ist dem Charakter dieses Künstlers ein antiker Zug eigen. Er tritt hervor in der Kraft des Willens, in der Standhaftig- keit und Festigkeit, mit der er, unberührt von Einwirkungen des vielgestaltigen, distrahirenden modernen Lebens, seinen einsamen Weg geht, in der allgemein menschlichen Erhabenheit seines künstlerischen Sinnens und Schaffens, das sich um den herrschenden Geschmack nicht kümmert; in der antik-innigen Auf¬ fassung der Freundschaft, in seiner bewunderungswürdigen Bedürfnißlosigkeit. Ich habe nicht erwähnt, daß Wiertz auch für die Fortentwickelung der Technik der Malerei bedeutendes geleistet, daß er in einer Reihe von Schriften tief¬ sinnige Ideen über die Theorie der bildenden Künste niedergelegt hat. In einem jener Bücher ruft er mit antikstrenger Energie den Jüngern seiner Kunst die Worte zu: „Wenn ihr nicht diese glühende Liebe, diesen unbeug¬ samen Muth, diese mächtige Begeisterung fühlt, welche der Kunst Alles auf¬ zuopfern im Stande ist, dann bleibt uns fern; wenn aber die Leidenschaft, die uns beseelt, eure Seele erfüllt, dann kommt zu uns und ihr werdet be¬ greifen lernen, auf ein wie geringes Maaß die Bedürfnisse des Lebens sich beschränken lassen, wie mäßig und anspruchslos der Leib sein kann, wenn die Seele nur von einem Wunsch, von einem Verlangen erfüllt ist." Das ist doch fürwahr die Sprache eines Mannes der antiken Welt, und, was mehr ist, er blieb im Handeln nicht hinter seinen Worten zurück. Wenn man ein einigermaßen treues Bild dieses reichen Lebens entwerfen wollte, so müßte man ein Buch schreiben. Hier nur noch einige Bemerkungen über eine Seite des künstlerischen Charakters unseres Helden, die bisher noch nicht berührt worden ist. Ich habe aus der umfangreichen Sammlung seiner Werke — sie zählt 110 Nummern — nur einige wenige flüchtig be¬ rühren könnten. Alle diese gehörten einem ernsten, erhabenen, fast tragischen Stil an; die gewaltigsten Leidenschaften, die tiefsten Ideen sahen wir auf ihnen zur Darstellung gebracht. Aber derselbe Künstler, welcher den Kampf der guten und bösen Geister, den Triumph des Himmels über die Hölle, das gigantische Ringen antiker Helden, den Vernichtungskampf der Parteien mit congenialer Kraft zu malen verstand, er weiß auch in reizenden Genrebildern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/430>, abgerufen am 26.06.2024.