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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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das stille Glück des Familienlebens, die Wonne der Liebe, die rührende Kinder¬
welt zu schildern, er weiß die menschlichen Schwächen zu geißeln, schalkhaft
zu spotten, liebenswürdig zu scherzen. Und wenn aus den großen Kampfscenen
alles Kraft und Energie ist in Composition, Bewegung und Colorit, so tritt in
diesen kleineren Gemälden eine Glätte, eine Eleganz, eine Wärme des Tons
hervor, die an Leonardo und Tizian erinnert. Kein Bild ist blos der Form
wegen da, aus jedem spricht ein poetischer Gedanke, oder ein rührender Zug,
ein schalkafter Humor oder eine schneidende Satire zum Beschauer. In diesen
Schöpfungen tritt neben der plastischen, frischen Wiedergabe der Fleischtöne
ein drastischer Naturalismus glänzend hervor. Der LoneierZe, welcher in
seiner Loge eingeschlafen ist, der Hund vor der Hütte, beide auf die Wand
gemalt, sind von täuschender Naturwahrheit. Der im Sarge wieder vom
Scheintode sich erhebende Cholerakranke, die wahnsinnige Mutter, welche
ihr Kind mordet, und ähnliche sind von einem frappanten Pathos und man
wird diese Typen eine Zeit lang nicht aus dem Gedächniß los. Eine Kritik
der Gemälde von Wiertz hatte eines Tages an seinen philosophischen sujets
den Mangel an Sorgfalt in der Technik tadelnd hervorgehoben. Man hatte
dem Künstler vorgeworfen, er könne nicht glatt, genau und präcis malen.
Als Antwort hierauf brachte Wiertz auf der nächsten Ausstellung seine berühmte
Carotte, die ich hier schließlich erwähnen will, weil die Entstehungsgeschichte
des Bildchens für die Art des Künstlers charakteristisch ist. Man sieht auf
dem kleinen Bilde von 22 bis 30 Centimetern auf den ersten Blick nur eine
mit peinlicher Sorgfalt gemalte Rübe. Aber um den ganzen Werth
dieser künstlerischen Satire zu erkennen, bedarf es fast einer Lupe. Auf
der (Trolls an pg,tikllti"ze^p<z, wie er sie genannt hat, sind nämlich eine
große Anzahl Ameisen, eine Fliege, Tausendfüße und ähnliches Ungeziefer
und ein Spinnengewebe angebracht, Dinge welche zu dem Staunenswerthesten
gehören, was die Detailmalerei geschaffen hat. So antwortete ein Wiertz auf
den Vorwurf einer voreiligen Kritik, welche ihm die Fähigkeit für diese Dinge
hatte absprechen wollen, mit einem Werkchen, das einen staunenswerthen
Fleiß und eine außerordentliche Ausdauer bekundet, indem er zugleich seine
Neider und Kritiker -- denn sie sind mit den nagenden Insekten gemeint, --
auf das Gründlichste verspottete. Ein Künstler, der im Stande ist, Monate
emsiger, angestrengter Arbeit an ein Genre zu wenden, dem er kaum Bürger¬
recht im Gebiete der Kunst zuerkannte, nur um den Beweis zu liefern, daß
er auch das könne, wenn er will, ein solcher Künstler kann gewiß das Recht
für sich beanspruchen, im vollen Sinne des Wortes ein Charakter genannt
Dr. Gustav Dannehl. zu werden.




das stille Glück des Familienlebens, die Wonne der Liebe, die rührende Kinder¬
welt zu schildern, er weiß die menschlichen Schwächen zu geißeln, schalkhaft
zu spotten, liebenswürdig zu scherzen. Und wenn aus den großen Kampfscenen
alles Kraft und Energie ist in Composition, Bewegung und Colorit, so tritt in
diesen kleineren Gemälden eine Glätte, eine Eleganz, eine Wärme des Tons
hervor, die an Leonardo und Tizian erinnert. Kein Bild ist blos der Form
wegen da, aus jedem spricht ein poetischer Gedanke, oder ein rührender Zug,
ein schalkafter Humor oder eine schneidende Satire zum Beschauer. In diesen
Schöpfungen tritt neben der plastischen, frischen Wiedergabe der Fleischtöne
ein drastischer Naturalismus glänzend hervor. Der LoneierZe, welcher in
seiner Loge eingeschlafen ist, der Hund vor der Hütte, beide auf die Wand
gemalt, sind von täuschender Naturwahrheit. Der im Sarge wieder vom
Scheintode sich erhebende Cholerakranke, die wahnsinnige Mutter, welche
ihr Kind mordet, und ähnliche sind von einem frappanten Pathos und man
wird diese Typen eine Zeit lang nicht aus dem Gedächniß los. Eine Kritik
der Gemälde von Wiertz hatte eines Tages an seinen philosophischen sujets
den Mangel an Sorgfalt in der Technik tadelnd hervorgehoben. Man hatte
dem Künstler vorgeworfen, er könne nicht glatt, genau und präcis malen.
Als Antwort hierauf brachte Wiertz auf der nächsten Ausstellung seine berühmte
Carotte, die ich hier schließlich erwähnen will, weil die Entstehungsgeschichte
des Bildchens für die Art des Künstlers charakteristisch ist. Man sieht auf
dem kleinen Bilde von 22 bis 30 Centimetern auf den ersten Blick nur eine
mit peinlicher Sorgfalt gemalte Rübe. Aber um den ganzen Werth
dieser künstlerischen Satire zu erkennen, bedarf es fast einer Lupe. Auf
der (Trolls an pg,tikllti«ze^p<z, wie er sie genannt hat, sind nämlich eine
große Anzahl Ameisen, eine Fliege, Tausendfüße und ähnliches Ungeziefer
und ein Spinnengewebe angebracht, Dinge welche zu dem Staunenswerthesten
gehören, was die Detailmalerei geschaffen hat. So antwortete ein Wiertz auf
den Vorwurf einer voreiligen Kritik, welche ihm die Fähigkeit für diese Dinge
hatte absprechen wollen, mit einem Werkchen, das einen staunenswerthen
Fleiß und eine außerordentliche Ausdauer bekundet, indem er zugleich seine
Neider und Kritiker — denn sie sind mit den nagenden Insekten gemeint, —
auf das Gründlichste verspottete. Ein Künstler, der im Stande ist, Monate
emsiger, angestrengter Arbeit an ein Genre zu wenden, dem er kaum Bürger¬
recht im Gebiete der Kunst zuerkannte, nur um den Beweis zu liefern, daß
er auch das könne, wenn er will, ein solcher Künstler kann gewiß das Recht
für sich beanspruchen, im vollen Sinne des Wortes ein Charakter genannt
Dr. Gustav Dannehl. zu werden.




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[0431] das stille Glück des Familienlebens, die Wonne der Liebe, die rührende Kinder¬ welt zu schildern, er weiß die menschlichen Schwächen zu geißeln, schalkhaft zu spotten, liebenswürdig zu scherzen. Und wenn aus den großen Kampfscenen alles Kraft und Energie ist in Composition, Bewegung und Colorit, so tritt in diesen kleineren Gemälden eine Glätte, eine Eleganz, eine Wärme des Tons hervor, die an Leonardo und Tizian erinnert. Kein Bild ist blos der Form wegen da, aus jedem spricht ein poetischer Gedanke, oder ein rührender Zug, ein schalkafter Humor oder eine schneidende Satire zum Beschauer. In diesen Schöpfungen tritt neben der plastischen, frischen Wiedergabe der Fleischtöne ein drastischer Naturalismus glänzend hervor. Der LoneierZe, welcher in seiner Loge eingeschlafen ist, der Hund vor der Hütte, beide auf die Wand gemalt, sind von täuschender Naturwahrheit. Der im Sarge wieder vom Scheintode sich erhebende Cholerakranke, die wahnsinnige Mutter, welche ihr Kind mordet, und ähnliche sind von einem frappanten Pathos und man wird diese Typen eine Zeit lang nicht aus dem Gedächniß los. Eine Kritik der Gemälde von Wiertz hatte eines Tages an seinen philosophischen sujets den Mangel an Sorgfalt in der Technik tadelnd hervorgehoben. Man hatte dem Künstler vorgeworfen, er könne nicht glatt, genau und präcis malen. Als Antwort hierauf brachte Wiertz auf der nächsten Ausstellung seine berühmte Carotte, die ich hier schließlich erwähnen will, weil die Entstehungsgeschichte des Bildchens für die Art des Künstlers charakteristisch ist. Man sieht auf dem kleinen Bilde von 22 bis 30 Centimetern auf den ersten Blick nur eine mit peinlicher Sorgfalt gemalte Rübe. Aber um den ganzen Werth dieser künstlerischen Satire zu erkennen, bedarf es fast einer Lupe. Auf der (Trolls an pg,tikllti«ze^p<z, wie er sie genannt hat, sind nämlich eine große Anzahl Ameisen, eine Fliege, Tausendfüße und ähnliches Ungeziefer und ein Spinnengewebe angebracht, Dinge welche zu dem Staunenswerthesten gehören, was die Detailmalerei geschaffen hat. So antwortete ein Wiertz auf den Vorwurf einer voreiligen Kritik, welche ihm die Fähigkeit für diese Dinge hatte absprechen wollen, mit einem Werkchen, das einen staunenswerthen Fleiß und eine außerordentliche Ausdauer bekundet, indem er zugleich seine Neider und Kritiker — denn sie sind mit den nagenden Insekten gemeint, — auf das Gründlichste verspottete. Ein Künstler, der im Stande ist, Monate emsiger, angestrengter Arbeit an ein Genre zu wenden, dem er kaum Bürger¬ recht im Gebiete der Kunst zuerkannte, nur um den Beweis zu liefern, daß er auch das könne, wenn er will, ein solcher Künstler kann gewiß das Recht für sich beanspruchen, im vollen Sinne des Wortes ein Charakter genannt Dr. Gustav Dannehl. zu werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/431>, abgerufen am 28.09.2024.