Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leiche des Patroklus." welches dem großen Thorwaldsen den Ausruf
abnöthigte: "Dieser junge Mann ist ein Riese." Ja, das war er in der That, und
eine Heidenseele muß der in sich tragen, der Heroen so darstellen will, wie er
es gethan hat. Alles an Wiertz hat einen großartigen Zuschnitt: seine Werke,
seine Pläne und Ideen,' deren völlige Ausführung nur ein zu früher Tod
verhinderte, vor Allem sein Charakter. Was ich in Brüssel gesprächsweise
über ihn hörte, namentlich über sein Ende, hat mich mit ungemischter Be¬
wunderung erfüllt. Er starb 69 Jahr alt nach kurzer aber schmerzhafter
Krankheit in der Vollkraft seines titanischen Schaffens. So Großes er geleistet
hatte, für ihn waren die zahlreichen meist colossalen Gemälde, die sein Riesen¬
atelier schmückten, nur die Vorarbeiten, die Bausteine gleichsam zu dem großen
Ganzen, das ihm vorschwebte. Man braucht nur die Skizzen und Entwürfe,
welche er hinterlassen hat, durchzusehen, um zu begreifen, daß dieser Gedanke
keinen Verdacht der Uebertreibung oder Selbstüberschätzung wvolvirt. In
seinen letzten Lebensjahren trug er sich mit dem Project, diese grandiose Halle,
welche der Staat ihm als Atelier angewiesen hatte, um das Zwiefache zu ver¬
größern. Diese wollte er mit einer Reihe Schöpfungen schmücken, welche die
Geschichte der Menschheit gleichsam in epischer Weise zur Anschauung bringen
sollten. Namentlich waren es die großen kulturgeschichtlichen Ideen, welche
zur Anschauung gebracht werden sollten. Diese philosophisch-poetische
Seite seiner künstlerischen Thätigkeit, welcher wir eine Reihe herrlicher tief¬
sinniger Werke verdanken, ist seine eigentliche Domäne. In ihnen entfaltet er
seine wahre Originalität, und man kann sich vor diesen Bildern fragen, ob Wiertz
als Maler oder als Dichter und Philosoph größer war. Und doch sollten
die bis dahin ausgeführten Gemälde dieser Gattung nur die Vorrede zu dem
großen kulturhistorisch-philosophischen Werk sein, das er projectirt hatte.

Das früher erwähnte Bild "?lig,re äuSolgottta" leitet schon zu
dieser Gattung über, deren bekanntestes Werk Die letzte Kanone sein
dürfte. Im Vordergrunde dieses Gemäldes sind mit wuchtigen, ergreifenden
Zügen alle Schrecken des Krieges dargestellt. Ein Haufen verstümmelter
Leiber in wirrem Knäul, Todte und Verwundete, eine blutige zerfetzte Fahne
von sterbenden Armen krampfhaft festgehalten, das bildet die Hauptgruppe
dieses Theils. Ein junges Weib hält in ihrem Schooß den Leichnam des
Gatten, den schluchzende Kinder mit heißen Küssen bedecken, weiterhin streckt
ein Bater der schaudernden Tochter einen blutig zerfetzten Arm entgegen.
Ueber dieses grauenhafte Schlachtfeld schreitet eine hehre Gestalt, die Civili¬
sation . in Gold und Purpur gekleidet, mit den Attributen der Macht und
des Reichthums geschmückt. Mit gewaltiger Hand zerschmettert sie die letzte
Kanone. Glückliche Generationen, welche den schönen Traum des ewigen Friedens
verwirklicht sehen, folgen den Schritten der göttlichen Gestalt, geführt von den


Leiche des Patroklus." welches dem großen Thorwaldsen den Ausruf
abnöthigte: „Dieser junge Mann ist ein Riese." Ja, das war er in der That, und
eine Heidenseele muß der in sich tragen, der Heroen so darstellen will, wie er
es gethan hat. Alles an Wiertz hat einen großartigen Zuschnitt: seine Werke,
seine Pläne und Ideen,' deren völlige Ausführung nur ein zu früher Tod
verhinderte, vor Allem sein Charakter. Was ich in Brüssel gesprächsweise
über ihn hörte, namentlich über sein Ende, hat mich mit ungemischter Be¬
wunderung erfüllt. Er starb 69 Jahr alt nach kurzer aber schmerzhafter
Krankheit in der Vollkraft seines titanischen Schaffens. So Großes er geleistet
hatte, für ihn waren die zahlreichen meist colossalen Gemälde, die sein Riesen¬
atelier schmückten, nur die Vorarbeiten, die Bausteine gleichsam zu dem großen
Ganzen, das ihm vorschwebte. Man braucht nur die Skizzen und Entwürfe,
welche er hinterlassen hat, durchzusehen, um zu begreifen, daß dieser Gedanke
keinen Verdacht der Uebertreibung oder Selbstüberschätzung wvolvirt. In
seinen letzten Lebensjahren trug er sich mit dem Project, diese grandiose Halle,
welche der Staat ihm als Atelier angewiesen hatte, um das Zwiefache zu ver¬
größern. Diese wollte er mit einer Reihe Schöpfungen schmücken, welche die
Geschichte der Menschheit gleichsam in epischer Weise zur Anschauung bringen
sollten. Namentlich waren es die großen kulturgeschichtlichen Ideen, welche
zur Anschauung gebracht werden sollten. Diese philosophisch-poetische
Seite seiner künstlerischen Thätigkeit, welcher wir eine Reihe herrlicher tief¬
sinniger Werke verdanken, ist seine eigentliche Domäne. In ihnen entfaltet er
seine wahre Originalität, und man kann sich vor diesen Bildern fragen, ob Wiertz
als Maler oder als Dichter und Philosoph größer war. Und doch sollten
die bis dahin ausgeführten Gemälde dieser Gattung nur die Vorrede zu dem
großen kulturhistorisch-philosophischen Werk sein, das er projectirt hatte.

Das früher erwähnte Bild „?lig,re äuSolgottta" leitet schon zu
dieser Gattung über, deren bekanntestes Werk Die letzte Kanone sein
dürfte. Im Vordergrunde dieses Gemäldes sind mit wuchtigen, ergreifenden
Zügen alle Schrecken des Krieges dargestellt. Ein Haufen verstümmelter
Leiber in wirrem Knäul, Todte und Verwundete, eine blutige zerfetzte Fahne
von sterbenden Armen krampfhaft festgehalten, das bildet die Hauptgruppe
dieses Theils. Ein junges Weib hält in ihrem Schooß den Leichnam des
Gatten, den schluchzende Kinder mit heißen Küssen bedecken, weiterhin streckt
ein Bater der schaudernden Tochter einen blutig zerfetzten Arm entgegen.
Ueber dieses grauenhafte Schlachtfeld schreitet eine hehre Gestalt, die Civili¬
sation . in Gold und Purpur gekleidet, mit den Attributen der Macht und
des Reichthums geschmückt. Mit gewaltiger Hand zerschmettert sie die letzte
Kanone. Glückliche Generationen, welche den schönen Traum des ewigen Friedens
verwirklicht sehen, folgen den Schritten der göttlichen Gestalt, geführt von den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134246"/>
          <p xml:id="ID_1336" prev="#ID_1335"> Leiche des Patroklus." welches dem großen Thorwaldsen den Ausruf<lb/>
abnöthigte: &#x201E;Dieser junge Mann ist ein Riese." Ja, das war er in der That, und<lb/>
eine Heidenseele muß der in sich tragen, der Heroen so darstellen will, wie er<lb/>
es gethan hat. Alles an Wiertz hat einen großartigen Zuschnitt: seine Werke,<lb/>
seine Pläne und Ideen,' deren völlige Ausführung nur ein zu früher Tod<lb/>
verhinderte, vor Allem sein Charakter. Was ich in Brüssel gesprächsweise<lb/>
über ihn hörte, namentlich über sein Ende, hat mich mit ungemischter Be¬<lb/>
wunderung erfüllt. Er starb 69 Jahr alt nach kurzer aber schmerzhafter<lb/>
Krankheit in der Vollkraft seines titanischen Schaffens. So Großes er geleistet<lb/>
hatte, für ihn waren die zahlreichen meist colossalen Gemälde, die sein Riesen¬<lb/>
atelier schmückten, nur die Vorarbeiten, die Bausteine gleichsam zu dem großen<lb/>
Ganzen, das ihm vorschwebte. Man braucht nur die Skizzen und Entwürfe,<lb/>
welche er hinterlassen hat, durchzusehen, um zu begreifen, daß dieser Gedanke<lb/>
keinen Verdacht der Uebertreibung oder Selbstüberschätzung wvolvirt. In<lb/>
seinen letzten Lebensjahren trug er sich mit dem Project, diese grandiose Halle,<lb/>
welche der Staat ihm als Atelier angewiesen hatte, um das Zwiefache zu ver¬<lb/>
größern. Diese wollte er mit einer Reihe Schöpfungen schmücken, welche die<lb/>
Geschichte der Menschheit gleichsam in epischer Weise zur Anschauung bringen<lb/>
sollten. Namentlich waren es die großen kulturgeschichtlichen Ideen, welche<lb/>
zur Anschauung gebracht werden sollten. Diese philosophisch-poetische<lb/>
Seite seiner künstlerischen Thätigkeit, welcher wir eine Reihe herrlicher tief¬<lb/>
sinniger Werke verdanken, ist seine eigentliche Domäne. In ihnen entfaltet er<lb/>
seine wahre Originalität, und man kann sich vor diesen Bildern fragen, ob Wiertz<lb/>
als Maler oder als Dichter und Philosoph größer war. Und doch sollten<lb/>
die bis dahin ausgeführten Gemälde dieser Gattung nur die Vorrede zu dem<lb/>
großen kulturhistorisch-philosophischen Werk sein, das er projectirt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1337" next="#ID_1338"> Das früher erwähnte Bild &#x201E;?lig,re äuSolgottta" leitet schon zu<lb/>
dieser Gattung über, deren bekanntestes Werk Die letzte Kanone sein<lb/>
dürfte. Im Vordergrunde dieses Gemäldes sind mit wuchtigen, ergreifenden<lb/>
Zügen alle Schrecken des Krieges dargestellt. Ein Haufen verstümmelter<lb/>
Leiber in wirrem Knäul, Todte und Verwundete, eine blutige zerfetzte Fahne<lb/>
von sterbenden Armen krampfhaft festgehalten, das bildet die Hauptgruppe<lb/>
dieses Theils. Ein junges Weib hält in ihrem Schooß den Leichnam des<lb/>
Gatten, den schluchzende Kinder mit heißen Küssen bedecken, weiterhin streckt<lb/>
ein Bater der schaudernden Tochter einen blutig zerfetzten Arm entgegen.<lb/>
Ueber dieses grauenhafte Schlachtfeld schreitet eine hehre Gestalt, die Civili¬<lb/>
sation . in Gold und Purpur gekleidet, mit den Attributen der Macht und<lb/>
des Reichthums geschmückt. Mit gewaltiger Hand zerschmettert sie die letzte<lb/>
Kanone. Glückliche Generationen, welche den schönen Traum des ewigen Friedens<lb/>
verwirklicht sehen, folgen den Schritten der göttlichen Gestalt, geführt von den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] Leiche des Patroklus." welches dem großen Thorwaldsen den Ausruf abnöthigte: „Dieser junge Mann ist ein Riese." Ja, das war er in der That, und eine Heidenseele muß der in sich tragen, der Heroen so darstellen will, wie er es gethan hat. Alles an Wiertz hat einen großartigen Zuschnitt: seine Werke, seine Pläne und Ideen,' deren völlige Ausführung nur ein zu früher Tod verhinderte, vor Allem sein Charakter. Was ich in Brüssel gesprächsweise über ihn hörte, namentlich über sein Ende, hat mich mit ungemischter Be¬ wunderung erfüllt. Er starb 69 Jahr alt nach kurzer aber schmerzhafter Krankheit in der Vollkraft seines titanischen Schaffens. So Großes er geleistet hatte, für ihn waren die zahlreichen meist colossalen Gemälde, die sein Riesen¬ atelier schmückten, nur die Vorarbeiten, die Bausteine gleichsam zu dem großen Ganzen, das ihm vorschwebte. Man braucht nur die Skizzen und Entwürfe, welche er hinterlassen hat, durchzusehen, um zu begreifen, daß dieser Gedanke keinen Verdacht der Uebertreibung oder Selbstüberschätzung wvolvirt. In seinen letzten Lebensjahren trug er sich mit dem Project, diese grandiose Halle, welche der Staat ihm als Atelier angewiesen hatte, um das Zwiefache zu ver¬ größern. Diese wollte er mit einer Reihe Schöpfungen schmücken, welche die Geschichte der Menschheit gleichsam in epischer Weise zur Anschauung bringen sollten. Namentlich waren es die großen kulturgeschichtlichen Ideen, welche zur Anschauung gebracht werden sollten. Diese philosophisch-poetische Seite seiner künstlerischen Thätigkeit, welcher wir eine Reihe herrlicher tief¬ sinniger Werke verdanken, ist seine eigentliche Domäne. In ihnen entfaltet er seine wahre Originalität, und man kann sich vor diesen Bildern fragen, ob Wiertz als Maler oder als Dichter und Philosoph größer war. Und doch sollten die bis dahin ausgeführten Gemälde dieser Gattung nur die Vorrede zu dem großen kulturhistorisch-philosophischen Werk sein, das er projectirt hatte. Das früher erwähnte Bild „?lig,re äuSolgottta" leitet schon zu dieser Gattung über, deren bekanntestes Werk Die letzte Kanone sein dürfte. Im Vordergrunde dieses Gemäldes sind mit wuchtigen, ergreifenden Zügen alle Schrecken des Krieges dargestellt. Ein Haufen verstümmelter Leiber in wirrem Knäul, Todte und Verwundete, eine blutige zerfetzte Fahne von sterbenden Armen krampfhaft festgehalten, das bildet die Hauptgruppe dieses Theils. Ein junges Weib hält in ihrem Schooß den Leichnam des Gatten, den schluchzende Kinder mit heißen Küssen bedecken, weiterhin streckt ein Bater der schaudernden Tochter einen blutig zerfetzten Arm entgegen. Ueber dieses grauenhafte Schlachtfeld schreitet eine hehre Gestalt, die Civili¬ sation . in Gold und Purpur gekleidet, mit den Attributen der Macht und des Reichthums geschmückt. Mit gewaltiger Hand zerschmettert sie die letzte Kanone. Glückliche Generationen, welche den schönen Traum des ewigen Friedens verwirklicht sehen, folgen den Schritten der göttlichen Gestalt, geführt von den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/428>, abgerufen am 26.06.2024.