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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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genauer um, und siehe da, sie lag in einem Fischladen auf dem Verkaufstische,
und auf ihrem Rücken stand geschrieben: Sechszehn Käses baar. -- Ist das
nicht komisch? Daraus aber könnt Ihr lernen, daß all' Euer gepriesener
Reichthum an Häusern und Speichern, Euer Rang, Macht, Talent und Klug¬
heit Euch mit einem Schlage verloren gehen können. Armes Muschelthier!
Ich möchte glauben, daß es in China und Indien einige Menschen giebt, die
dir gleichen u. s. w." -- In der That, kaum kann man drastischer das Ab¬
hängigkeitsgefühl predigen, welches das Grundwesen aller Religion bildet.
In humoristischem Tone führt die Predigt ganz denselben Gedanken aus,
den Jesus in der Erzählung von dem reichen Manne vorträgt, der sich selbst¬
zufrieden zu Bette legt, während die Füße derer, die seine Todtengräber fein
werden, schon vor der Thür stehen.

Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich mit dem bekannten Harakiri,
das mit großer -- unsrer Meinung nach allzu großer -- Gründlichkeit bis
in seine kleinsten Einzelheiten geschildert ist, und belehren uns über die Cere¬
monien, die in Japan die Hochzeiten begleiten, über die Gebräuche, die für
Geburten, Namensfeste, Mündigkeitserklärungen u. d. vorgeschrieben sind, sowie
über die Feierlichkeiten, mit denen man seine Todten begräbt. Wir ersehen
daraus, daß das Volk des Mikado nicht bloß ein sehr ritterliches, sondern auch
ein solches Volk ist, welches sich eines sehr durchdachten Complimentirbuchs
M. B. und eines äußerst ausgebildeten Ceremoniencodex erfreut.




Arieft aus Jelgien.

Die Gemälde, zu denen die Ilias Wiertz die Stoffe geliefert hat,
gehören der ersten Periode seines Schaffens an. Als er 1832 über die Alpen
nach Italien ging, mit dem prix ac livirio gekrönt, war Homer sein steter
Begleiter. "Wie der Besieger des Darius" schreibt er um jene Zeit in einem
Briefe, "habe ich ihn stets unter meinem Kopfkissen. Es ist eigen", fährt er fort,
"wie die Lectüre Homers mich leidenschaftlich erregt, -- ich vergegenwärtige
mir oft den Kampf des Ajax und Hektor. Sie erwärmen mich zu Thaten.
Sie hauchen mir eine Art Heroismus und die Lust ein, mit den größten
Meistern um den Vorrang zu ringen." Rubens und Michel - Angelo, die
Meister des großen, erhabenen Stils reizten ihn mehr zur Nachahmung,
als die großen Coloristen der Blüte-Zeit Italiens. In dieser Stimmung
schuf er in der unglaublich kurzen Zeit von 6 Monaten sein 30' breites, 20'
hohes Oelgemälde "Der Kampf der Griechen und Trojaner um die


genauer um, und siehe da, sie lag in einem Fischladen auf dem Verkaufstische,
und auf ihrem Rücken stand geschrieben: Sechszehn Käses baar. — Ist das
nicht komisch? Daraus aber könnt Ihr lernen, daß all' Euer gepriesener
Reichthum an Häusern und Speichern, Euer Rang, Macht, Talent und Klug¬
heit Euch mit einem Schlage verloren gehen können. Armes Muschelthier!
Ich möchte glauben, daß es in China und Indien einige Menschen giebt, die
dir gleichen u. s. w." — In der That, kaum kann man drastischer das Ab¬
hängigkeitsgefühl predigen, welches das Grundwesen aller Religion bildet.
In humoristischem Tone führt die Predigt ganz denselben Gedanken aus,
den Jesus in der Erzählung von dem reichen Manne vorträgt, der sich selbst¬
zufrieden zu Bette legt, während die Füße derer, die seine Todtengräber fein
werden, schon vor der Thür stehen.

Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich mit dem bekannten Harakiri,
das mit großer — unsrer Meinung nach allzu großer — Gründlichkeit bis
in seine kleinsten Einzelheiten geschildert ist, und belehren uns über die Cere¬
monien, die in Japan die Hochzeiten begleiten, über die Gebräuche, die für
Geburten, Namensfeste, Mündigkeitserklärungen u. d. vorgeschrieben sind, sowie
über die Feierlichkeiten, mit denen man seine Todten begräbt. Wir ersehen
daraus, daß das Volk des Mikado nicht bloß ein sehr ritterliches, sondern auch
ein solches Volk ist, welches sich eines sehr durchdachten Complimentirbuchs
M. B. und eines äußerst ausgebildeten Ceremoniencodex erfreut.




Arieft aus Jelgien.

Die Gemälde, zu denen die Ilias Wiertz die Stoffe geliefert hat,
gehören der ersten Periode seines Schaffens an. Als er 1832 über die Alpen
nach Italien ging, mit dem prix ac livirio gekrönt, war Homer sein steter
Begleiter. „Wie der Besieger des Darius" schreibt er um jene Zeit in einem
Briefe, „habe ich ihn stets unter meinem Kopfkissen. Es ist eigen", fährt er fort,
„wie die Lectüre Homers mich leidenschaftlich erregt, — ich vergegenwärtige
mir oft den Kampf des Ajax und Hektor. Sie erwärmen mich zu Thaten.
Sie hauchen mir eine Art Heroismus und die Lust ein, mit den größten
Meistern um den Vorrang zu ringen." Rubens und Michel - Angelo, die
Meister des großen, erhabenen Stils reizten ihn mehr zur Nachahmung,
als die großen Coloristen der Blüte-Zeit Italiens. In dieser Stimmung
schuf er in der unglaublich kurzen Zeit von 6 Monaten sein 30' breites, 20'
hohes Oelgemälde „Der Kampf der Griechen und Trojaner um die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/427>, abgerufen am 26.06.2024.