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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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hinströmten; was den Leuten auch für Glücksfälle zu Theil wurden, immer
schrieben sie dieselben dem Gotteshause zu, und die Andächtigen verrichteten
dort Tag und Nacht ihren Gottesdienst.'

Ueber den übrigen Inhalt des zweiten Bandes unsres Werkes können
wir uns kürzer fassen. In dem Abschnitte Tajima Schume wird die Geschichte
eines fahrenden Ritters erzählt, der in böser Stunde seinen Reisegenossen,
einen mit vielem Gelde versehenen Priester, beraubt und ermordet. Das Geld
gedeiht ihm, und er wird ein reicher Mann. Aber nachdem er alles, wonach
sein Herz begehrt, erlangt hat, und auf dem Gipfel des Glückes steht, über¬
fallen ihn Gewissensbisse, die ihn tief schwermüthig machen und an den Rand
des Grabes bringen, bis endlich ein Priester, der seinen Seelenzustand erkannt
hat, ihm Trost einspricht und ihn auf den Weg hinweist, auf dem er j seine
Missethat nach Möglichkeit wieder gut machen kann.

Ein ferneres Kapitel enthält allerlei Gespenstergeschichten: Erzählungen
von spukhaften Füchsen und Dachsen, von eine vampyrartiger Katze u. s. w.
Un gemein launig ist die Geschichte von einem Prahler, der von Füchsen ge¬
täuscht, in große Verlegenheit gebracht und später durch Abscheeren des Kopf¬
haars in einen Priester verwandelt wird.

Im vierten Abschnitte werden allerhand interessante Notizen über japa¬
nische Prediger mitgetheilt sowie drei Proben ihrer Kanzelberedsamkeit, die
gar nicht übel sind, wenn sie auch ziemlich stark an die Art und Schule Abra¬
hams a Sancta Clara erinnern. Es sei gestattet, aus der ersten jener Pre¬
digten, die beiläufig der Sammlung Kiu o Dowa entnommen sind, welche
von einem Priester der eklektischen Schingaku-Seete herrührt, eine Probe mit¬
zutheilen:

"Es giebt viele Menschen, die sich der Worte: ich selber oder: mein
Eigen ganz gedankenlos bedienen. Wie groß ist ihr Irrthum! Wenn es
kein Regierungssystem und keine Obrigkeiten gäbe, sondern Alles Anarchie
wäre, würden diese Leute, die so sehr viel mit sich selbst und ihrer eignen Kraft
dick thun, nicht einen Tag aufrecht bleiben. Zur Zeit des Krieges bei Itschi-
notani marschirte Minamoto no Joschitsune von Mikusa ab und griff Setsu
an. Mitten im Gebirge von der Nacht überrascht, wußte er nicht, welchen
Weg er einschlagen sollte. Da ließ er einen seiner Officiere kommen und be¬
fahl ihm, die großen Fackeln anzuzünden, die sie vorher mit einander be¬
sprochen hätten. Derselbe theilte diesen Befehl den Soldaten, und diese zer¬
streuten sich augenblicklich in alle Thäler und steckten die Häuser der Gebirgs¬
bewohner in Brand, sodaß bald Alles rings umher in hellen Flammen stand.
Beim Lichte dieser Fackeln fand das Heer seinen Weg nach Jtschinotani. --
Wenn Ihr diesen Vorfall sorgfältig erwägt, werdet Ihr die Anwendung leicht
finden. Die da immer prahlend sprechen: meine Waarenmagazine, mein


Grenzboten Hi. 1875. 53

hinströmten; was den Leuten auch für Glücksfälle zu Theil wurden, immer
schrieben sie dieselben dem Gotteshause zu, und die Andächtigen verrichteten
dort Tag und Nacht ihren Gottesdienst.'

Ueber den übrigen Inhalt des zweiten Bandes unsres Werkes können
wir uns kürzer fassen. In dem Abschnitte Tajima Schume wird die Geschichte
eines fahrenden Ritters erzählt, der in böser Stunde seinen Reisegenossen,
einen mit vielem Gelde versehenen Priester, beraubt und ermordet. Das Geld
gedeiht ihm, und er wird ein reicher Mann. Aber nachdem er alles, wonach
sein Herz begehrt, erlangt hat, und auf dem Gipfel des Glückes steht, über¬
fallen ihn Gewissensbisse, die ihn tief schwermüthig machen und an den Rand
des Grabes bringen, bis endlich ein Priester, der seinen Seelenzustand erkannt
hat, ihm Trost einspricht und ihn auf den Weg hinweist, auf dem er j seine
Missethat nach Möglichkeit wieder gut machen kann.

Ein ferneres Kapitel enthält allerlei Gespenstergeschichten: Erzählungen
von spukhaften Füchsen und Dachsen, von eine vampyrartiger Katze u. s. w.
Un gemein launig ist die Geschichte von einem Prahler, der von Füchsen ge¬
täuscht, in große Verlegenheit gebracht und später durch Abscheeren des Kopf¬
haars in einen Priester verwandelt wird.

Im vierten Abschnitte werden allerhand interessante Notizen über japa¬
nische Prediger mitgetheilt sowie drei Proben ihrer Kanzelberedsamkeit, die
gar nicht übel sind, wenn sie auch ziemlich stark an die Art und Schule Abra¬
hams a Sancta Clara erinnern. Es sei gestattet, aus der ersten jener Pre¬
digten, die beiläufig der Sammlung Kiu o Dowa entnommen sind, welche
von einem Priester der eklektischen Schingaku-Seete herrührt, eine Probe mit¬
zutheilen:

„Es giebt viele Menschen, die sich der Worte: ich selber oder: mein
Eigen ganz gedankenlos bedienen. Wie groß ist ihr Irrthum! Wenn es
kein Regierungssystem und keine Obrigkeiten gäbe, sondern Alles Anarchie
wäre, würden diese Leute, die so sehr viel mit sich selbst und ihrer eignen Kraft
dick thun, nicht einen Tag aufrecht bleiben. Zur Zeit des Krieges bei Itschi-
notani marschirte Minamoto no Joschitsune von Mikusa ab und griff Setsu
an. Mitten im Gebirge von der Nacht überrascht, wußte er nicht, welchen
Weg er einschlagen sollte. Da ließ er einen seiner Officiere kommen und be¬
fahl ihm, die großen Fackeln anzuzünden, die sie vorher mit einander be¬
sprochen hätten. Derselbe theilte diesen Befehl den Soldaten, und diese zer¬
streuten sich augenblicklich in alle Thäler und steckten die Häuser der Gebirgs¬
bewohner in Brand, sodaß bald Alles rings umher in hellen Flammen stand.
Beim Lichte dieser Fackeln fand das Heer seinen Weg nach Jtschinotani. —
Wenn Ihr diesen Vorfall sorgfältig erwägt, werdet Ihr die Anwendung leicht
finden. Die da immer prahlend sprechen: meine Waarenmagazine, mein


Grenzboten Hi. 1875. 53
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[0425] hinströmten; was den Leuten auch für Glücksfälle zu Theil wurden, immer schrieben sie dieselben dem Gotteshause zu, und die Andächtigen verrichteten dort Tag und Nacht ihren Gottesdienst.' Ueber den übrigen Inhalt des zweiten Bandes unsres Werkes können wir uns kürzer fassen. In dem Abschnitte Tajima Schume wird die Geschichte eines fahrenden Ritters erzählt, der in böser Stunde seinen Reisegenossen, einen mit vielem Gelde versehenen Priester, beraubt und ermordet. Das Geld gedeiht ihm, und er wird ein reicher Mann. Aber nachdem er alles, wonach sein Herz begehrt, erlangt hat, und auf dem Gipfel des Glückes steht, über¬ fallen ihn Gewissensbisse, die ihn tief schwermüthig machen und an den Rand des Grabes bringen, bis endlich ein Priester, der seinen Seelenzustand erkannt hat, ihm Trost einspricht und ihn auf den Weg hinweist, auf dem er j seine Missethat nach Möglichkeit wieder gut machen kann. Ein ferneres Kapitel enthält allerlei Gespenstergeschichten: Erzählungen von spukhaften Füchsen und Dachsen, von eine vampyrartiger Katze u. s. w. Un gemein launig ist die Geschichte von einem Prahler, der von Füchsen ge¬ täuscht, in große Verlegenheit gebracht und später durch Abscheeren des Kopf¬ haars in einen Priester verwandelt wird. Im vierten Abschnitte werden allerhand interessante Notizen über japa¬ nische Prediger mitgetheilt sowie drei Proben ihrer Kanzelberedsamkeit, die gar nicht übel sind, wenn sie auch ziemlich stark an die Art und Schule Abra¬ hams a Sancta Clara erinnern. Es sei gestattet, aus der ersten jener Pre¬ digten, die beiläufig der Sammlung Kiu o Dowa entnommen sind, welche von einem Priester der eklektischen Schingaku-Seete herrührt, eine Probe mit¬ zutheilen: „Es giebt viele Menschen, die sich der Worte: ich selber oder: mein Eigen ganz gedankenlos bedienen. Wie groß ist ihr Irrthum! Wenn es kein Regierungssystem und keine Obrigkeiten gäbe, sondern Alles Anarchie wäre, würden diese Leute, die so sehr viel mit sich selbst und ihrer eignen Kraft dick thun, nicht einen Tag aufrecht bleiben. Zur Zeit des Krieges bei Itschi- notani marschirte Minamoto no Joschitsune von Mikusa ab und griff Setsu an. Mitten im Gebirge von der Nacht überrascht, wußte er nicht, welchen Weg er einschlagen sollte. Da ließ er einen seiner Officiere kommen und be¬ fahl ihm, die großen Fackeln anzuzünden, die sie vorher mit einander be¬ sprochen hätten. Derselbe theilte diesen Befehl den Soldaten, und diese zer¬ streuten sich augenblicklich in alle Thäler und steckten die Häuser der Gebirgs¬ bewohner in Brand, sodaß bald Alles rings umher in hellen Flammen stand. Beim Lichte dieser Fackeln fand das Heer seinen Weg nach Jtschinotani. — Wenn Ihr diesen Vorfall sorgfältig erwägt, werdet Ihr die Anwendung leicht finden. Die da immer prahlend sprechen: meine Waarenmagazine, mein Grenzboten Hi. 1875. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/425>, abgerufen am 26.06.2024.