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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Endlich versammelten sich die Verwandten der Familie und die Mitglieder
des gesammten Haushalts und hielten Rath. Sie sprachen vor Herrn Kot-
suke no Suke ihre Meinung dahin aus, daß diese Geister mit gewöhnlichen
Mitteln nicht zu vertreiben seien, vielmehr müsse man dem Sogoro eine
Kapelle erbauen und ihm göttliche Ehren erweisen. Erst dann würden die
Erscheinungen wirklich aufhören. Der Fürst war dieser Ansicht nach sorg¬
fältiger Ueberlegung ebenfalls, und so wurde Sogoro unter dem Namen Togo
Daimijo heilig gesprochen und ihm eine Kapelle errichtet. Das Mittel
half auch, wenigstens wurden die entsetzlichen Gespenster nicht mehr wahr¬
genommen.

Aber noch immer schien der Zorn des todten Märtyrers nicht völlig be¬
schwichtigt. Kotsuke no Suke gerieth in andere und noch schwerere Noth.
In der ihm angebornen Leidenschaftlichkeit tödtete er am Hofe des Taikun
einen andern großen Edelmann, mußte darüber flüchtig werden und wurde, des
Hochverraths angeklagt, zum Verluste seiner Güter und Ehren verurthetlt und
in dem Palaste eines Mitfürsten gefangen gesetzt. Jetzt ging er ernstlich in
sich und begann zu fühlen, daß er den Tod seiner Gemahlin sowie sein gegen¬
wärtiges Unglück nur als gerechte Strafe für die Ermordung Sogoros und
seiner unschuldigen Familie anzusehen habe. Ihm war zu Muthe wie einem,
der aus einem schweren Traume erwacht. Nacht und Morgen brachte er, von
Reue erfüllt, dem heiligen Geiste des verstorbenen Bauern Gebete dar. Er
bekannte sein Verbrechen, beklagte es und that das Gelübde, daß er, wenn
seine Familie vor dem Untergange bewahrt und wieder in ihre Gerechtsame
eingesetzt werden sollte, sich am Hofe des Mikado für den Geist Sogoros ver¬
wenden wolle, daß diesem in der heiligen Stadt Kijoto fortan mit noch größerer
Ehrfurcht gehuldigt und die Feier seines Namen auf alle nachfolgenden
Geschlechter überliefert werde.

So geschah es denn, daß der Geist Sogoros in seiner Rachbegier nach¬
ließ, und da er aufhörte, die Familie Holla heimzusuchen, so erhielt der
reuige Katsuke no Suke in seinem Gewahrsam zu Jeddo eine Vorladung zum
Taikun, der ihm Vergebung ertheilte und ihm wieder ein Schloß mit einigen
Einkünften verlieh. Kurz darauf kam ein andrer Taikun an die Regierung,
und nun wurde Jener -- "mag es nun dem barmherzigen Gemüthe des
Fürsten oder der großmüthigen und göttlichen Vermittlung des heiligen So¬
goros zuzuschreiben sein", sagt unsere japanische Quelle -- nicht nur in den
Besitz seines Stammschlosses Sakura wiedereingesetzt, sondern auch mit anderen
reichen Einnahmequellen begnadigt. Zum Lohne für diese Gunst schmückte er
die Kapelle Sogoros so herrlich aus, daß sie wie ein Edelstein glänzte.
"Unnöthig ist es, zu sagen" -- so schließt der japanische Bericht -- "in wie
großer Anzahl die Bauern auf den Gütern der Familie Holla zu der Kapelle


Endlich versammelten sich die Verwandten der Familie und die Mitglieder
des gesammten Haushalts und hielten Rath. Sie sprachen vor Herrn Kot-
suke no Suke ihre Meinung dahin aus, daß diese Geister mit gewöhnlichen
Mitteln nicht zu vertreiben seien, vielmehr müsse man dem Sogoro eine
Kapelle erbauen und ihm göttliche Ehren erweisen. Erst dann würden die
Erscheinungen wirklich aufhören. Der Fürst war dieser Ansicht nach sorg¬
fältiger Ueberlegung ebenfalls, und so wurde Sogoro unter dem Namen Togo
Daimijo heilig gesprochen und ihm eine Kapelle errichtet. Das Mittel
half auch, wenigstens wurden die entsetzlichen Gespenster nicht mehr wahr¬
genommen.

Aber noch immer schien der Zorn des todten Märtyrers nicht völlig be¬
schwichtigt. Kotsuke no Suke gerieth in andere und noch schwerere Noth.
In der ihm angebornen Leidenschaftlichkeit tödtete er am Hofe des Taikun
einen andern großen Edelmann, mußte darüber flüchtig werden und wurde, des
Hochverraths angeklagt, zum Verluste seiner Güter und Ehren verurthetlt und
in dem Palaste eines Mitfürsten gefangen gesetzt. Jetzt ging er ernstlich in
sich und begann zu fühlen, daß er den Tod seiner Gemahlin sowie sein gegen¬
wärtiges Unglück nur als gerechte Strafe für die Ermordung Sogoros und
seiner unschuldigen Familie anzusehen habe. Ihm war zu Muthe wie einem,
der aus einem schweren Traume erwacht. Nacht und Morgen brachte er, von
Reue erfüllt, dem heiligen Geiste des verstorbenen Bauern Gebete dar. Er
bekannte sein Verbrechen, beklagte es und that das Gelübde, daß er, wenn
seine Familie vor dem Untergange bewahrt und wieder in ihre Gerechtsame
eingesetzt werden sollte, sich am Hofe des Mikado für den Geist Sogoros ver¬
wenden wolle, daß diesem in der heiligen Stadt Kijoto fortan mit noch größerer
Ehrfurcht gehuldigt und die Feier seines Namen auf alle nachfolgenden
Geschlechter überliefert werde.

So geschah es denn, daß der Geist Sogoros in seiner Rachbegier nach¬
ließ, und da er aufhörte, die Familie Holla heimzusuchen, so erhielt der
reuige Katsuke no Suke in seinem Gewahrsam zu Jeddo eine Vorladung zum
Taikun, der ihm Vergebung ertheilte und ihm wieder ein Schloß mit einigen
Einkünften verlieh. Kurz darauf kam ein andrer Taikun an die Regierung,
und nun wurde Jener — „mag es nun dem barmherzigen Gemüthe des
Fürsten oder der großmüthigen und göttlichen Vermittlung des heiligen So¬
goros zuzuschreiben sein", sagt unsere japanische Quelle — nicht nur in den
Besitz seines Stammschlosses Sakura wiedereingesetzt, sondern auch mit anderen
reichen Einnahmequellen begnadigt. Zum Lohne für diese Gunst schmückte er
die Kapelle Sogoros so herrlich aus, daß sie wie ein Edelstein glänzte.
„Unnöthig ist es, zu sagen" — so schließt der japanische Bericht — „in wie
großer Anzahl die Bauern auf den Gütern der Familie Holla zu der Kapelle


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[0424] Endlich versammelten sich die Verwandten der Familie und die Mitglieder des gesammten Haushalts und hielten Rath. Sie sprachen vor Herrn Kot- suke no Suke ihre Meinung dahin aus, daß diese Geister mit gewöhnlichen Mitteln nicht zu vertreiben seien, vielmehr müsse man dem Sogoro eine Kapelle erbauen und ihm göttliche Ehren erweisen. Erst dann würden die Erscheinungen wirklich aufhören. Der Fürst war dieser Ansicht nach sorg¬ fältiger Ueberlegung ebenfalls, und so wurde Sogoro unter dem Namen Togo Daimijo heilig gesprochen und ihm eine Kapelle errichtet. Das Mittel half auch, wenigstens wurden die entsetzlichen Gespenster nicht mehr wahr¬ genommen. Aber noch immer schien der Zorn des todten Märtyrers nicht völlig be¬ schwichtigt. Kotsuke no Suke gerieth in andere und noch schwerere Noth. In der ihm angebornen Leidenschaftlichkeit tödtete er am Hofe des Taikun einen andern großen Edelmann, mußte darüber flüchtig werden und wurde, des Hochverraths angeklagt, zum Verluste seiner Güter und Ehren verurthetlt und in dem Palaste eines Mitfürsten gefangen gesetzt. Jetzt ging er ernstlich in sich und begann zu fühlen, daß er den Tod seiner Gemahlin sowie sein gegen¬ wärtiges Unglück nur als gerechte Strafe für die Ermordung Sogoros und seiner unschuldigen Familie anzusehen habe. Ihm war zu Muthe wie einem, der aus einem schweren Traume erwacht. Nacht und Morgen brachte er, von Reue erfüllt, dem heiligen Geiste des verstorbenen Bauern Gebete dar. Er bekannte sein Verbrechen, beklagte es und that das Gelübde, daß er, wenn seine Familie vor dem Untergange bewahrt und wieder in ihre Gerechtsame eingesetzt werden sollte, sich am Hofe des Mikado für den Geist Sogoros ver¬ wenden wolle, daß diesem in der heiligen Stadt Kijoto fortan mit noch größerer Ehrfurcht gehuldigt und die Feier seines Namen auf alle nachfolgenden Geschlechter überliefert werde. So geschah es denn, daß der Geist Sogoros in seiner Rachbegier nach¬ ließ, und da er aufhörte, die Familie Holla heimzusuchen, so erhielt der reuige Katsuke no Suke in seinem Gewahrsam zu Jeddo eine Vorladung zum Taikun, der ihm Vergebung ertheilte und ihm wieder ein Schloß mit einigen Einkünften verlieh. Kurz darauf kam ein andrer Taikun an die Regierung, und nun wurde Jener — „mag es nun dem barmherzigen Gemüthe des Fürsten oder der großmüthigen und göttlichen Vermittlung des heiligen So¬ goros zuzuschreiben sein", sagt unsere japanische Quelle — nicht nur in den Besitz seines Stammschlosses Sakura wiedereingesetzt, sondern auch mit anderen reichen Einnahmequellen begnadigt. Zum Lohne für diese Gunst schmückte er die Kapelle Sogoros so herrlich aus, daß sie wie ein Edelstein glänzte. „Unnöthig ist es, zu sagen" — so schließt der japanische Bericht — „in wie großer Anzahl die Bauern auf den Gütern der Familie Holla zu der Kapelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/424>, abgerufen am 26.06.2024.