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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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an den Staatsrath zu wenden und zwar mit einer Bittschrift, die er einem
der Herren selbst in die Sänfte werfen wolle. Der Plan wurde gutgeheißen,
aber er war mit Gefahr verbunden. Sogoro nahm deshalb, bevor er abreiste,
Abschied von seiner Familie. "Sollte mein Vorhaben nicht gelingen," sagte
er, "so werde ich nicht zurückkehren, und selbst wenn ich meinen Zweck er¬
reichen sollte, ist es ungewiß, wie mich unsre Machthaber behandeln werden.
Laßt uns daher einen Becher Wein mit einander trinken; denn es ist möglich,
daß Ihr mein Angesicht nicht wiedersehet. Mein Leben wollte ich darum
geben, wenn ich das Elend der guten Leute dieser Gegend mildern könnte.
Wenn ich sterben sollte, so betrauert mein Schicksal nicht." Nachdem das
Abschiedsfest gefeiert worden, begab sich Sogoro nach Jeddo und führte sein
Borhaben aus, als die Herren vom Staatsrath sich auf das Schloß ver¬
fügten. Aber nach einigen Tagen erhielt er eine Borladung in den Vorhof
der Residenz des Staatsrathsmitgliedes, dem er die Bittschrift überreicht, und
hier wurde ihm dieselbe als zwar gerecht, aber nicht zu berücksichtigen, mit
der Bedrohung zurückgestellt, wenn er sich wieder einer solchen abscheulichen
Beleidigung unterfange, so werde man ihn als Aufrührer bestrafen. Ver¬
gebens bat er um Barmherzigkeit und Wiederannahme der Bittschrift. Seine
Bitte wurde rund abgeschlagen. Er griff jetzt zu dem letzten Mittel, verbarg
sich unter einer Brücke, die der Taikun, wenn er sich zum Gebet an den
Gräbern seiner Vorfahren begab, zu passiren hatte, sprang, als die Pro¬
zession herankam, hervor und übergab die Petition dem Herrscher mit
eigner Hand.

Der harte Schloßherr wurde dadurch zwar gezwungen, sein grausames
Verfahren gegen die Bauern zu ändern und die drückenden Abgaben herab¬
zusetzen, aber Sogoro sollte für die Dreistigkeit, sich an den Kaiser selbst zu
wenden, furchtbar büßen. Nicht bloß er, sondern auch sein Weib und seine
drei Söhne, noch kleine Kinder, wurden von Kotsuke no Suke zum Tode ver¬
urtheilt, und zwar die beiden Eheleute zum Tode am Kreuze. Umsonst ver¬
suchten mitleidige Räthe und dann die Bauern durch Vorstellungen den
Fürsten wenigstens zur Verschönung der Frau und der Kinder zu bestimmen.
Der erbitterte Fürst, welcher wußte, daß das Wagniß Sogoros ihm den
Untergang gebracht haben würde, wenn er nicht von so hohem Range und
Mitglied des Staatsraths gewesen wäre, blieb ungerührt, und das Urtheil
wurde vollzogen, an den Kindern indeß nur durch Enthauptung.

Am elften Tage des zweiten Monats des zweiten Jahres des Schoho
(einer japanischen Zeitperiode) wurde zu Ewaradai ein Schaffst errichtet, zu
welchem sich die Räthe und Beamten des Fürsten in feierlichem Zuge ver¬
fügten. Darauf erschienen Priester mit Sargträgern aus einem benachbarten
Dorfe mit der Bitte, die Leichname derer, die sterben sollten, ehrenvoll be-


an den Staatsrath zu wenden und zwar mit einer Bittschrift, die er einem
der Herren selbst in die Sänfte werfen wolle. Der Plan wurde gutgeheißen,
aber er war mit Gefahr verbunden. Sogoro nahm deshalb, bevor er abreiste,
Abschied von seiner Familie. „Sollte mein Vorhaben nicht gelingen," sagte
er, „so werde ich nicht zurückkehren, und selbst wenn ich meinen Zweck er¬
reichen sollte, ist es ungewiß, wie mich unsre Machthaber behandeln werden.
Laßt uns daher einen Becher Wein mit einander trinken; denn es ist möglich,
daß Ihr mein Angesicht nicht wiedersehet. Mein Leben wollte ich darum
geben, wenn ich das Elend der guten Leute dieser Gegend mildern könnte.
Wenn ich sterben sollte, so betrauert mein Schicksal nicht." Nachdem das
Abschiedsfest gefeiert worden, begab sich Sogoro nach Jeddo und führte sein
Borhaben aus, als die Herren vom Staatsrath sich auf das Schloß ver¬
fügten. Aber nach einigen Tagen erhielt er eine Borladung in den Vorhof
der Residenz des Staatsrathsmitgliedes, dem er die Bittschrift überreicht, und
hier wurde ihm dieselbe als zwar gerecht, aber nicht zu berücksichtigen, mit
der Bedrohung zurückgestellt, wenn er sich wieder einer solchen abscheulichen
Beleidigung unterfange, so werde man ihn als Aufrührer bestrafen. Ver¬
gebens bat er um Barmherzigkeit und Wiederannahme der Bittschrift. Seine
Bitte wurde rund abgeschlagen. Er griff jetzt zu dem letzten Mittel, verbarg
sich unter einer Brücke, die der Taikun, wenn er sich zum Gebet an den
Gräbern seiner Vorfahren begab, zu passiren hatte, sprang, als die Pro¬
zession herankam, hervor und übergab die Petition dem Herrscher mit
eigner Hand.

Der harte Schloßherr wurde dadurch zwar gezwungen, sein grausames
Verfahren gegen die Bauern zu ändern und die drückenden Abgaben herab¬
zusetzen, aber Sogoro sollte für die Dreistigkeit, sich an den Kaiser selbst zu
wenden, furchtbar büßen. Nicht bloß er, sondern auch sein Weib und seine
drei Söhne, noch kleine Kinder, wurden von Kotsuke no Suke zum Tode ver¬
urtheilt, und zwar die beiden Eheleute zum Tode am Kreuze. Umsonst ver¬
suchten mitleidige Räthe und dann die Bauern durch Vorstellungen den
Fürsten wenigstens zur Verschönung der Frau und der Kinder zu bestimmen.
Der erbitterte Fürst, welcher wußte, daß das Wagniß Sogoros ihm den
Untergang gebracht haben würde, wenn er nicht von so hohem Range und
Mitglied des Staatsraths gewesen wäre, blieb ungerührt, und das Urtheil
wurde vollzogen, an den Kindern indeß nur durch Enthauptung.

Am elften Tage des zweiten Monats des zweiten Jahres des Schoho
(einer japanischen Zeitperiode) wurde zu Ewaradai ein Schaffst errichtet, zu
welchem sich die Räthe und Beamten des Fürsten in feierlichem Zuge ver¬
fügten. Darauf erschienen Priester mit Sargträgern aus einem benachbarten
Dorfe mit der Bitte, die Leichname derer, die sterben sollten, ehrenvoll be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/419>, abgerufen am 26.06.2024.