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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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"Deutsche Kunstblatt" war seit dem Jahre 1858 eingegangen; so schwach
war damals die Theilnahme des Publikums für die Angelegenheiten der bil¬
denden Kunst geworden. Und wie steht es heute? Lützow's "Zeitschrift",
die im ersten Jahrgange, wenn wir uns recht erinnern, 1300 Abonnenten
hatte, hat es mit dem jetzt laufenden zehnten Jahrgange, wie die Verlags¬
handlung kürzlich bekannt machte, auf mehr als 2100 Abonnenten gebracht;
die "Kunstchronik", das Beiblatt zu dem in Monatsheften erscheinenden
Hauptblatt, welche bis zum siebenten Jahrgange aller 14 Tage erschien,
mußte vom achten Bande an, weil der Stoff von allen Seiten herandrängte,
verdoppelt und in eben so starken Wochennummern ausgegeben werden, und
heute steht die "Zeitschrift" in solchem Ansehen, daß ein vollständiges Exem¬
plar derselben bereits unter die literarischen Kostbarkeiten zählt. Wo eines
auftaucht, entsteht ein wahrer Wettlauf darnach, so daß der Preis dafür in
der letzten Zeit enorm in die Höhe gegangen ist. Wir selbst kauften noch
vor vier Jahren im Auftrage die ersten fünf Jahrgänge, schon damals eine
Rarität, für 30 Thaler; heute verlangen Antiquariatsbuchhändler für alle
zehn Jahrgänge 300 Mark, und mit Freuden zahlt man ihnen die Summe!
Nun ist allerdings die "Zeitschrift für bildende Kunst" recht eigentlich ein
Spiegelbild der modernen Kunstwissenschaft. Auch sie hat sich aus eigner
Kraft emporgerungen, auch sie hat es von vornherein in musterhafter
Weise verstanden, durch ihren Gehalt den strengsten Anforderungen der
Wissenschaft, durch ihre Form und äußere Erscheinung den Bedürfnissen
und Neigungen gebildeter Kunstfreunde gerecht zu werden. Alle hervor¬
ragenden Kräfte des Faches begegnen sich in ihren Blättern, sie ist die
einzige in ihrer Art, Fachblatt und populär zugleich. Nun werfe man
dagegen einmal einen Seitenblick auf die Unmasse unserer Musikzeitschriften.
Spiegeln sie nicht eben so treu das dilettantische, kritiklose und zerrissene
Treiben unserer musikalischen Zustände wieder? Die "Allgemeine musikalische
Zeitung" vertritt allerdings in ernster Weise das wissenschaftliche, das ge¬
lehrte Element, aber meist so monoton und so wenig anregend, daß das
größere Publikum keinen Genuß davon hat; die "Neue Zeitschrift für Musik"
und das "Musikalische Wochenblatt" sind einseitige Parteiorgane, die erstere
das Lißt'sche, die zweite das Wagner'sche Organ, und obendrein bloße Ver¬
legerblätter ohne Redacteur, also wissenschaftlich werthlos -- man denke sich
den blühenden Unsinn, wenn Makart oder Piloty jeder sein eignes Partei¬
organ hätte! --; "Echo" und "Signale" sind reine Neuigkeitsblätter, und
allenfalls die "Neue Berliner Musikzeitung" sucht, über den Parteien stehend,
Wissenschaftlichkeit und Popularität mit einander zu vereinen. "Aber alle
unsre Blätter und Blättchen würde ich drangeben", äußerte kürzlich voll Neid
einer unserer hervorragendsten Musikwisfenschaster, "wenn wi r es zu einer solchen


„Deutsche Kunstblatt" war seit dem Jahre 1858 eingegangen; so schwach
war damals die Theilnahme des Publikums für die Angelegenheiten der bil¬
denden Kunst geworden. Und wie steht es heute? Lützow's „Zeitschrift",
die im ersten Jahrgange, wenn wir uns recht erinnern, 1300 Abonnenten
hatte, hat es mit dem jetzt laufenden zehnten Jahrgange, wie die Verlags¬
handlung kürzlich bekannt machte, auf mehr als 2100 Abonnenten gebracht;
die „Kunstchronik", das Beiblatt zu dem in Monatsheften erscheinenden
Hauptblatt, welche bis zum siebenten Jahrgange aller 14 Tage erschien,
mußte vom achten Bande an, weil der Stoff von allen Seiten herandrängte,
verdoppelt und in eben so starken Wochennummern ausgegeben werden, und
heute steht die „Zeitschrift" in solchem Ansehen, daß ein vollständiges Exem¬
plar derselben bereits unter die literarischen Kostbarkeiten zählt. Wo eines
auftaucht, entsteht ein wahrer Wettlauf darnach, so daß der Preis dafür in
der letzten Zeit enorm in die Höhe gegangen ist. Wir selbst kauften noch
vor vier Jahren im Auftrage die ersten fünf Jahrgänge, schon damals eine
Rarität, für 30 Thaler; heute verlangen Antiquariatsbuchhändler für alle
zehn Jahrgänge 300 Mark, und mit Freuden zahlt man ihnen die Summe!
Nun ist allerdings die „Zeitschrift für bildende Kunst" recht eigentlich ein
Spiegelbild der modernen Kunstwissenschaft. Auch sie hat sich aus eigner
Kraft emporgerungen, auch sie hat es von vornherein in musterhafter
Weise verstanden, durch ihren Gehalt den strengsten Anforderungen der
Wissenschaft, durch ihre Form und äußere Erscheinung den Bedürfnissen
und Neigungen gebildeter Kunstfreunde gerecht zu werden. Alle hervor¬
ragenden Kräfte des Faches begegnen sich in ihren Blättern, sie ist die
einzige in ihrer Art, Fachblatt und populär zugleich. Nun werfe man
dagegen einmal einen Seitenblick auf die Unmasse unserer Musikzeitschriften.
Spiegeln sie nicht eben so treu das dilettantische, kritiklose und zerrissene
Treiben unserer musikalischen Zustände wieder? Die „Allgemeine musikalische
Zeitung" vertritt allerdings in ernster Weise das wissenschaftliche, das ge¬
lehrte Element, aber meist so monoton und so wenig anregend, daß das
größere Publikum keinen Genuß davon hat; die „Neue Zeitschrift für Musik"
und das „Musikalische Wochenblatt" sind einseitige Parteiorgane, die erstere
das Lißt'sche, die zweite das Wagner'sche Organ, und obendrein bloße Ver¬
legerblätter ohne Redacteur, also wissenschaftlich werthlos — man denke sich
den blühenden Unsinn, wenn Makart oder Piloty jeder sein eignes Partei¬
organ hätte! —; „Echo" und „Signale" sind reine Neuigkeitsblätter, und
allenfalls die „Neue Berliner Musikzeitung" sucht, über den Parteien stehend,
Wissenschaftlichkeit und Popularität mit einander zu vereinen. „Aber alle
unsre Blätter und Blättchen würde ich drangeben", äußerte kürzlich voll Neid
einer unserer hervorragendsten Musikwisfenschaster, „wenn wi r es zu einer solchen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/414>, abgerufen am 26.06.2024.