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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Monographien und umfassenden Geschichtswerken gleichsam als todtes Ca¬
pital da, niemandem bekannt, niemandem vielleicht selbst zugänglich als dem
Fachmann! Dieses Gold zum ersten Male zu münzen und möglichst ohne
Nest in Circulation zu setzen, das ist der Zweck der vorliegenden Publication;
zu diesem Zwecke haben -- und das ist wohl das Schönste und Erfreulichste
bei dem ganzen Unternehmen -- die berufensten Fachmänner selbst
sich vereinigt. "Unter ihrer Mitwirkung" wird das Werk herausgegeben,
das heißt nicht etwa, daß der Herausgeber das Werk schreibt und die be¬
treffenden Fachgenossen ihn mit Zusätzen und Berichtigungen unterstützen,
sondern: die Fachgenossen selbst schreiben das Werk, und jeder hat selbstver¬
ständlich diejenige Partie übernommen, deren er vollkommen Meister ist, und
in der er wirklich sein Bestes bieten kann; der Herausgeber überwacht und
leitet die Publication als Ganzes.

Eine solche Arbeitstheilung war nur unter einer Voraussetzung möglich:
daß nämlich diejenige Form der Darstellung gewählt wurde, die wirklich ge¬
wählt worden ist: die biographische. Nicht eine Kunstgeschichte, sondern
eine K ü n se l e r geschichte wird uns geboten. Andererseits war es aber auch
nur auf diese Weise möglich, die ganze Fülle der neu gewonnenen Resultate
zu verwerthen. Eine Unzahl von Irrthümern ist ja namentlich noch über
das Leben der Künstler verbreitet; besonders macht sich noch immer die
läppische Künstleranekdote breit und überwuchert die verbürgten geschichtlichen
Thatsachen. Hier das Feld einmal gründlich zu säubern, darin wird gewiß
eines der Hauptverdienste des Werkes bestehen.

Nun ist nicht zu läugnen, daß die biographische Form auch ihre Schwächen
hat. Sie löst die pragmatische Verknüpfung den Personen zu liebe auf.
und so liegt die Gefahr nahe, daß Zusammengehöriges verzettelt und mancher¬
lei Wiederholung veranlaßt werde. Doch kann, wenn ein bis in's Einzelne
erwogner Plan des Ganzen existirt, was man sicher voraussetzen darf, diese
Gefahr wesentlich abgeschwächt werden.

Es ist seltsam: in der Geschichte haben wir uns allgemein an zusammen¬
hängende pragmatische Darstellungen gewöhnt und halten die biographische
Form für primitiv und höchstens für ein Zugeständniß an eine noch unent¬
wickelte Fassungskraft. Auf der untersten Stufe des geschichtlichen Unterrichts,
in "Jugendschriften", da herrscht noch die Biographie in der Geschichte; in
reiferem Alter begnügt sich gewiß niemand mehr damit. Und ebenso ist es
in der Hauptsache auch in der Literaturgeschichte; ein Buch, wie Sonnenburg's
vorm Jahre erschienene "Heroen der deutschen Literaturgeschichte" lassen wir
als brauchbares Schulbuch gelten, für Erwachsene erscheint es uns fast wie
ein Anachronismus. Anders in der Kunst- und Musikgeschichte. Es ist
Thatsache, daß das größere Publikum hier lieber zu sogenannten "Charakter-


Monographien und umfassenden Geschichtswerken gleichsam als todtes Ca¬
pital da, niemandem bekannt, niemandem vielleicht selbst zugänglich als dem
Fachmann! Dieses Gold zum ersten Male zu münzen und möglichst ohne
Nest in Circulation zu setzen, das ist der Zweck der vorliegenden Publication;
zu diesem Zwecke haben — und das ist wohl das Schönste und Erfreulichste
bei dem ganzen Unternehmen — die berufensten Fachmänner selbst
sich vereinigt. „Unter ihrer Mitwirkung" wird das Werk herausgegeben,
das heißt nicht etwa, daß der Herausgeber das Werk schreibt und die be¬
treffenden Fachgenossen ihn mit Zusätzen und Berichtigungen unterstützen,
sondern: die Fachgenossen selbst schreiben das Werk, und jeder hat selbstver¬
ständlich diejenige Partie übernommen, deren er vollkommen Meister ist, und
in der er wirklich sein Bestes bieten kann; der Herausgeber überwacht und
leitet die Publication als Ganzes.

Eine solche Arbeitstheilung war nur unter einer Voraussetzung möglich:
daß nämlich diejenige Form der Darstellung gewählt wurde, die wirklich ge¬
wählt worden ist: die biographische. Nicht eine Kunstgeschichte, sondern
eine K ü n se l e r geschichte wird uns geboten. Andererseits war es aber auch
nur auf diese Weise möglich, die ganze Fülle der neu gewonnenen Resultate
zu verwerthen. Eine Unzahl von Irrthümern ist ja namentlich noch über
das Leben der Künstler verbreitet; besonders macht sich noch immer die
läppische Künstleranekdote breit und überwuchert die verbürgten geschichtlichen
Thatsachen. Hier das Feld einmal gründlich zu säubern, darin wird gewiß
eines der Hauptverdienste des Werkes bestehen.

Nun ist nicht zu läugnen, daß die biographische Form auch ihre Schwächen
hat. Sie löst die pragmatische Verknüpfung den Personen zu liebe auf.
und so liegt die Gefahr nahe, daß Zusammengehöriges verzettelt und mancher¬
lei Wiederholung veranlaßt werde. Doch kann, wenn ein bis in's Einzelne
erwogner Plan des Ganzen existirt, was man sicher voraussetzen darf, diese
Gefahr wesentlich abgeschwächt werden.

Es ist seltsam: in der Geschichte haben wir uns allgemein an zusammen¬
hängende pragmatische Darstellungen gewöhnt und halten die biographische
Form für primitiv und höchstens für ein Zugeständniß an eine noch unent¬
wickelte Fassungskraft. Auf der untersten Stufe des geschichtlichen Unterrichts,
in „Jugendschriften", da herrscht noch die Biographie in der Geschichte; in
reiferem Alter begnügt sich gewiß niemand mehr damit. Und ebenso ist es
in der Hauptsache auch in der Literaturgeschichte; ein Buch, wie Sonnenburg's
vorm Jahre erschienene „Heroen der deutschen Literaturgeschichte" lassen wir
als brauchbares Schulbuch gelten, für Erwachsene erscheint es uns fast wie
ein Anachronismus. Anders in der Kunst- und Musikgeschichte. Es ist
Thatsache, daß das größere Publikum hier lieber zu sogenannten „Charakter-


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[0412] Monographien und umfassenden Geschichtswerken gleichsam als todtes Ca¬ pital da, niemandem bekannt, niemandem vielleicht selbst zugänglich als dem Fachmann! Dieses Gold zum ersten Male zu münzen und möglichst ohne Nest in Circulation zu setzen, das ist der Zweck der vorliegenden Publication; zu diesem Zwecke haben — und das ist wohl das Schönste und Erfreulichste bei dem ganzen Unternehmen — die berufensten Fachmänner selbst sich vereinigt. „Unter ihrer Mitwirkung" wird das Werk herausgegeben, das heißt nicht etwa, daß der Herausgeber das Werk schreibt und die be¬ treffenden Fachgenossen ihn mit Zusätzen und Berichtigungen unterstützen, sondern: die Fachgenossen selbst schreiben das Werk, und jeder hat selbstver¬ ständlich diejenige Partie übernommen, deren er vollkommen Meister ist, und in der er wirklich sein Bestes bieten kann; der Herausgeber überwacht und leitet die Publication als Ganzes. Eine solche Arbeitstheilung war nur unter einer Voraussetzung möglich: daß nämlich diejenige Form der Darstellung gewählt wurde, die wirklich ge¬ wählt worden ist: die biographische. Nicht eine Kunstgeschichte, sondern eine K ü n se l e r geschichte wird uns geboten. Andererseits war es aber auch nur auf diese Weise möglich, die ganze Fülle der neu gewonnenen Resultate zu verwerthen. Eine Unzahl von Irrthümern ist ja namentlich noch über das Leben der Künstler verbreitet; besonders macht sich noch immer die läppische Künstleranekdote breit und überwuchert die verbürgten geschichtlichen Thatsachen. Hier das Feld einmal gründlich zu säubern, darin wird gewiß eines der Hauptverdienste des Werkes bestehen. Nun ist nicht zu läugnen, daß die biographische Form auch ihre Schwächen hat. Sie löst die pragmatische Verknüpfung den Personen zu liebe auf. und so liegt die Gefahr nahe, daß Zusammengehöriges verzettelt und mancher¬ lei Wiederholung veranlaßt werde. Doch kann, wenn ein bis in's Einzelne erwogner Plan des Ganzen existirt, was man sicher voraussetzen darf, diese Gefahr wesentlich abgeschwächt werden. Es ist seltsam: in der Geschichte haben wir uns allgemein an zusammen¬ hängende pragmatische Darstellungen gewöhnt und halten die biographische Form für primitiv und höchstens für ein Zugeständniß an eine noch unent¬ wickelte Fassungskraft. Auf der untersten Stufe des geschichtlichen Unterrichts, in „Jugendschriften", da herrscht noch die Biographie in der Geschichte; in reiferem Alter begnügt sich gewiß niemand mehr damit. Und ebenso ist es in der Hauptsache auch in der Literaturgeschichte; ein Buch, wie Sonnenburg's vorm Jahre erschienene „Heroen der deutschen Literaturgeschichte" lassen wir als brauchbares Schulbuch gelten, für Erwachsene erscheint es uns fast wie ein Anachronismus. Anders in der Kunst- und Musikgeschichte. Es ist Thatsache, daß das größere Publikum hier lieber zu sogenannten „Charakter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/412>, abgerufen am 26.06.2024.