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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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der Forschung sich recht eigentlich erst herausgebildet und einigermaßen feste
Principien gewonnen!

Dem Laien freilich ist von dem reichen Ertrage dieser Thätigkeit bis jetzt
nicht eben viel zu gute gekommen. Zwar ist gerade die moderne Kunst¬
wissenschaft immer auch mit dem größeren Publikum in Fühlung geblieben.
Sie hat es, wir wollen nicht sagen nicht verschmäht -- dazu ist die junge
Wissenschaft glücklicher Weise noch nicht vornehm genug -- sondern sie hat
es noch vermocht, so lange das Feld der Forschung noch allenfalls von einer
menschlichen Kraft zu übersehen war, in anregender, gemeinverständlicher
Form sich stets auch über die Grenzen der Fachwissenschaft hinaus an die weiteren
Kreise der Kunstfreunde zu wenden. Wozu die Alterthumswissenschaft bei
ihrer immer mehr zunehmenden Verzweigung und der dadurch bedingten
Theilung der wissenschaftlichen Arbeit schon längst nicht mehr die Kraft und
den Beruf in sich zu fühlen scheint, nämlich eigenhändig die Resultate ihrer
Forschung in zusammenfassenden, anregend und geschmackvoll geschriebenen
Werken zu populansiren, -- ein Buch, wie Overbeck's "Geschichte der griechi¬
schen Plastik" steht ja ziemlich vereinzelt da! -- das hat die moderne Kunst¬
wissenschaft bis jetzt sich noch nicht nehmen lassen. Sie ist aber auch in Folge
dessen im Großen und Ganzen wenigstens vor dem Schicksale bewahrt ge
blieben, welchem die Alterthumswissenschaft schon längst versallen ist, da-
nämlich die Popularisirung des neu gewonnenen Materials den Händen
unberufener Lohnschreiber, die oft nicht den zehnten Theil der einschlägigen
Literatur kennen, überlassen bleibt, und daß die populären Schriften in der
Regel Jahrzehnte lang hinter den Fortschritten der Wissenschaft herhinken.
Man nehme irgend eine populäre Darstellung der griechischen und römischen
Mythologie zur Hand: in welchen Abgrund von Unwissenheit blickt man da
hinab! Welche Unmasse längst antiquirter Ansichten wird da noch als
blanke Wahrheit aufgetischt! Bon vernünftiger Erklärung der natürlichen
Entstehung, des Wachsthums und Wandels eines Mythus, von Be¬
nutzung der vergleichenden Mythologie keine Spur; statt dessen noch immer
ein Gewebe von scheinbar sinnlosen und abgeschmackten Sagen, dichterischen
Hirngespinnsten, frühestes und spätestes bunt durch einander -- ein wahrer
Spott auf unsre heutige Wissenschaft von der antiken Mythologie. Ein der¬
artiges Zurückbleiben ist bet der modernen Kunstwissenschaft nicht zu beklagen-
Aber in der knappen, systematischen Behandlung unsrer kunstgeschichtlichen Hand¬
bücher konnte trotz aller neuen Auflagen, die die Theilnahme des Publikums
hervorgerufen hat, doch immer nur ein Theil von den Resultaten der Special-
forschung verwerthet werden. Welche Fülle von Material liegt aber in zahl¬
reichen einzelnen Aufsätzen und Studien, die in Fachzeitschriften verstreut und
von denen nur ein kleiner Theil gelegentlich gesammelt herausgegeben ist, in


der Forschung sich recht eigentlich erst herausgebildet und einigermaßen feste
Principien gewonnen!

Dem Laien freilich ist von dem reichen Ertrage dieser Thätigkeit bis jetzt
nicht eben viel zu gute gekommen. Zwar ist gerade die moderne Kunst¬
wissenschaft immer auch mit dem größeren Publikum in Fühlung geblieben.
Sie hat es, wir wollen nicht sagen nicht verschmäht — dazu ist die junge
Wissenschaft glücklicher Weise noch nicht vornehm genug — sondern sie hat
es noch vermocht, so lange das Feld der Forschung noch allenfalls von einer
menschlichen Kraft zu übersehen war, in anregender, gemeinverständlicher
Form sich stets auch über die Grenzen der Fachwissenschaft hinaus an die weiteren
Kreise der Kunstfreunde zu wenden. Wozu die Alterthumswissenschaft bei
ihrer immer mehr zunehmenden Verzweigung und der dadurch bedingten
Theilung der wissenschaftlichen Arbeit schon längst nicht mehr die Kraft und
den Beruf in sich zu fühlen scheint, nämlich eigenhändig die Resultate ihrer
Forschung in zusammenfassenden, anregend und geschmackvoll geschriebenen
Werken zu populansiren, — ein Buch, wie Overbeck's „Geschichte der griechi¬
schen Plastik" steht ja ziemlich vereinzelt da! — das hat die moderne Kunst¬
wissenschaft bis jetzt sich noch nicht nehmen lassen. Sie ist aber auch in Folge
dessen im Großen und Ganzen wenigstens vor dem Schicksale bewahrt ge
blieben, welchem die Alterthumswissenschaft schon längst versallen ist, da-
nämlich die Popularisirung des neu gewonnenen Materials den Händen
unberufener Lohnschreiber, die oft nicht den zehnten Theil der einschlägigen
Literatur kennen, überlassen bleibt, und daß die populären Schriften in der
Regel Jahrzehnte lang hinter den Fortschritten der Wissenschaft herhinken.
Man nehme irgend eine populäre Darstellung der griechischen und römischen
Mythologie zur Hand: in welchen Abgrund von Unwissenheit blickt man da
hinab! Welche Unmasse längst antiquirter Ansichten wird da noch als
blanke Wahrheit aufgetischt! Bon vernünftiger Erklärung der natürlichen
Entstehung, des Wachsthums und Wandels eines Mythus, von Be¬
nutzung der vergleichenden Mythologie keine Spur; statt dessen noch immer
ein Gewebe von scheinbar sinnlosen und abgeschmackten Sagen, dichterischen
Hirngespinnsten, frühestes und spätestes bunt durch einander — ein wahrer
Spott auf unsre heutige Wissenschaft von der antiken Mythologie. Ein der¬
artiges Zurückbleiben ist bet der modernen Kunstwissenschaft nicht zu beklagen-
Aber in der knappen, systematischen Behandlung unsrer kunstgeschichtlichen Hand¬
bücher konnte trotz aller neuen Auflagen, die die Theilnahme des Publikums
hervorgerufen hat, doch immer nur ein Theil von den Resultaten der Special-
forschung verwerthet werden. Welche Fülle von Material liegt aber in zahl¬
reichen einzelnen Aufsätzen und Studien, die in Fachzeitschriften verstreut und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/411>, abgerufen am 26.06.2024.