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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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der Dichter, welcher nicht, wie der junge Wiertz, wohlthätige Pfleger seines
Talentes fand, ursprünglich sogar zu gewerblicher Hantirung bestimmt, fernab
vom literarischen Verkehr lebend, von einer hochmüthigen wallonischen Kritik
mit Hohn begrüßt, wurde von seinen Landsleuten erst ganz allmählich erkannt
und gewürdigt, und selbst an Verfolgungen eines damals engherzigen Gou¬
vernements hat es ihm nicht gefehlt. So haben beide Männer unter Kämpfen
und Entsagungen in hartem ernstem Ringen sich den dornenvollen Pfad zur
lichten Höhe emporarbeiten müssen, auf der sie stehen. Bekanntlich hat der
geniale Wiertz sich nie von einem seiner Gemälde trennen mögen. Den
glänzendsten Anerbietungen widerstand er und blieb freiwillig arm, während
er in Dürftigkeit von seinem Handwerk lebte; so nämlich nannte er selbst das
Portraitmaler, das er nur trieb, um die nothwendigsten Subsistenzmittel zu
gewinnen. Und doch, konnten diese Handwerksarbeiten unter selner Hand
etwas geringeres werden, als Kunstwerke? Mußte er nicht dem flüchtigsten
Portrait den Adel seines Genius aufprägen? In dem Jahrhundert des
Rennens und Jagens nach dem "Glück", dem materiellen Wohl mitten unter
den kleinen Menschen, die sich abarbeiten und abmühen um materiellen Er¬
werb, steht Wiertz da, groß in dieser asketischen Selbstbeschränkung, in dieser
freiwilligen Armuth, ein männlich starker Charakter. Ebenso wie er, hat es Con-
science nicht verstanden oder hat es verschmäht, mit der geschäftlichen Welt¬
klugheit anderer die goldenen Früchte seines Schaffens einzuheimsen. Nach den
zahlreichen Auflagen, welche seine Romane in dem originalen vlamischen
Gewände und in vielen Uebersetzungen erlebt haben, könnte, ja müßte Con-
seience ein sehr reicher Mann sein. Aber ein Contract, den er in den Zeiten,
wo man ihn noch nicht "entdeckt" hatte, mit einer Verlagsbuchhandlung ab¬
geschlossen, räumt dieser den Anspruch auf alles ein, was er später geschrieben
hat und noch schreiben wird, ja sogar auf die Erwerbung des Uebersetzungs¬
rechts. Der Dichter ist zu stolz oder zu pietätsvoll gewesen, um auch nur
im geringsten an diesem Vertrage zu rütteln. Wie Wiertz nur immer gear¬
beitet hat, und das mit gigantischer Kraft und Ausdauer, allein für die Kunst
um ihrer selbst willen, nicht um Gewinn, so hat auch Conscience,, dessen fast
instinctiv sich bahnbrechende Bestimmung es war, zu schreiben, nur immer
bemüht, die historische Größe seines Stammes zu verherrlichen und das
Nationalgefühl desselben zu heben, sich wenig genug um die materiellen Vor¬
theile bekümmert, die ihm daraus hätten erwachsen müssen. Daß Conscience
trotz des französischen Klanges seines Namens ein echter Vlaming ist, habe
ich schon früher bemerkt. Wiertz, dessen Name ja deutlich genug die germa¬
nische Abkunft verräth, wird gern von französischen Schriftstellern, wie neuer¬
dings von Emile de Laveleye (in der I!.i;vn(; do" l)nix morals) als fran¬
zösischer Wallone angesprochen. Und allerdings ist sein Vater in Rocrog, er


der Dichter, welcher nicht, wie der junge Wiertz, wohlthätige Pfleger seines
Talentes fand, ursprünglich sogar zu gewerblicher Hantirung bestimmt, fernab
vom literarischen Verkehr lebend, von einer hochmüthigen wallonischen Kritik
mit Hohn begrüßt, wurde von seinen Landsleuten erst ganz allmählich erkannt
und gewürdigt, und selbst an Verfolgungen eines damals engherzigen Gou¬
vernements hat es ihm nicht gefehlt. So haben beide Männer unter Kämpfen
und Entsagungen in hartem ernstem Ringen sich den dornenvollen Pfad zur
lichten Höhe emporarbeiten müssen, auf der sie stehen. Bekanntlich hat der
geniale Wiertz sich nie von einem seiner Gemälde trennen mögen. Den
glänzendsten Anerbietungen widerstand er und blieb freiwillig arm, während
er in Dürftigkeit von seinem Handwerk lebte; so nämlich nannte er selbst das
Portraitmaler, das er nur trieb, um die nothwendigsten Subsistenzmittel zu
gewinnen. Und doch, konnten diese Handwerksarbeiten unter selner Hand
etwas geringeres werden, als Kunstwerke? Mußte er nicht dem flüchtigsten
Portrait den Adel seines Genius aufprägen? In dem Jahrhundert des
Rennens und Jagens nach dem „Glück", dem materiellen Wohl mitten unter
den kleinen Menschen, die sich abarbeiten und abmühen um materiellen Er¬
werb, steht Wiertz da, groß in dieser asketischen Selbstbeschränkung, in dieser
freiwilligen Armuth, ein männlich starker Charakter. Ebenso wie er, hat es Con-
science nicht verstanden oder hat es verschmäht, mit der geschäftlichen Welt¬
klugheit anderer die goldenen Früchte seines Schaffens einzuheimsen. Nach den
zahlreichen Auflagen, welche seine Romane in dem originalen vlamischen
Gewände und in vielen Uebersetzungen erlebt haben, könnte, ja müßte Con-
seience ein sehr reicher Mann sein. Aber ein Contract, den er in den Zeiten,
wo man ihn noch nicht „entdeckt" hatte, mit einer Verlagsbuchhandlung ab¬
geschlossen, räumt dieser den Anspruch auf alles ein, was er später geschrieben
hat und noch schreiben wird, ja sogar auf die Erwerbung des Uebersetzungs¬
rechts. Der Dichter ist zu stolz oder zu pietätsvoll gewesen, um auch nur
im geringsten an diesem Vertrage zu rütteln. Wie Wiertz nur immer gear¬
beitet hat, und das mit gigantischer Kraft und Ausdauer, allein für die Kunst
um ihrer selbst willen, nicht um Gewinn, so hat auch Conscience,, dessen fast
instinctiv sich bahnbrechende Bestimmung es war, zu schreiben, nur immer
bemüht, die historische Größe seines Stammes zu verherrlichen und das
Nationalgefühl desselben zu heben, sich wenig genug um die materiellen Vor¬
theile bekümmert, die ihm daraus hätten erwachsen müssen. Daß Conscience
trotz des französischen Klanges seines Namens ein echter Vlaming ist, habe
ich schon früher bemerkt. Wiertz, dessen Name ja deutlich genug die germa¬
nische Abkunft verräth, wird gern von französischen Schriftstellern, wie neuer¬
dings von Emile de Laveleye (in der I!.i;vn(; do« l)nix morals) als fran¬
zösischer Wallone angesprochen. Und allerdings ist sein Vater in Rocrog, er


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[0403] der Dichter, welcher nicht, wie der junge Wiertz, wohlthätige Pfleger seines Talentes fand, ursprünglich sogar zu gewerblicher Hantirung bestimmt, fernab vom literarischen Verkehr lebend, von einer hochmüthigen wallonischen Kritik mit Hohn begrüßt, wurde von seinen Landsleuten erst ganz allmählich erkannt und gewürdigt, und selbst an Verfolgungen eines damals engherzigen Gou¬ vernements hat es ihm nicht gefehlt. So haben beide Männer unter Kämpfen und Entsagungen in hartem ernstem Ringen sich den dornenvollen Pfad zur lichten Höhe emporarbeiten müssen, auf der sie stehen. Bekanntlich hat der geniale Wiertz sich nie von einem seiner Gemälde trennen mögen. Den glänzendsten Anerbietungen widerstand er und blieb freiwillig arm, während er in Dürftigkeit von seinem Handwerk lebte; so nämlich nannte er selbst das Portraitmaler, das er nur trieb, um die nothwendigsten Subsistenzmittel zu gewinnen. Und doch, konnten diese Handwerksarbeiten unter selner Hand etwas geringeres werden, als Kunstwerke? Mußte er nicht dem flüchtigsten Portrait den Adel seines Genius aufprägen? In dem Jahrhundert des Rennens und Jagens nach dem „Glück", dem materiellen Wohl mitten unter den kleinen Menschen, die sich abarbeiten und abmühen um materiellen Er¬ werb, steht Wiertz da, groß in dieser asketischen Selbstbeschränkung, in dieser freiwilligen Armuth, ein männlich starker Charakter. Ebenso wie er, hat es Con- science nicht verstanden oder hat es verschmäht, mit der geschäftlichen Welt¬ klugheit anderer die goldenen Früchte seines Schaffens einzuheimsen. Nach den zahlreichen Auflagen, welche seine Romane in dem originalen vlamischen Gewände und in vielen Uebersetzungen erlebt haben, könnte, ja müßte Con- seience ein sehr reicher Mann sein. Aber ein Contract, den er in den Zeiten, wo man ihn noch nicht „entdeckt" hatte, mit einer Verlagsbuchhandlung ab¬ geschlossen, räumt dieser den Anspruch auf alles ein, was er später geschrieben hat und noch schreiben wird, ja sogar auf die Erwerbung des Uebersetzungs¬ rechts. Der Dichter ist zu stolz oder zu pietätsvoll gewesen, um auch nur im geringsten an diesem Vertrage zu rütteln. Wie Wiertz nur immer gear¬ beitet hat, und das mit gigantischer Kraft und Ausdauer, allein für die Kunst um ihrer selbst willen, nicht um Gewinn, so hat auch Conscience,, dessen fast instinctiv sich bahnbrechende Bestimmung es war, zu schreiben, nur immer bemüht, die historische Größe seines Stammes zu verherrlichen und das Nationalgefühl desselben zu heben, sich wenig genug um die materiellen Vor¬ theile bekümmert, die ihm daraus hätten erwachsen müssen. Daß Conscience trotz des französischen Klanges seines Namens ein echter Vlaming ist, habe ich schon früher bemerkt. Wiertz, dessen Name ja deutlich genug die germa¬ nische Abkunft verräth, wird gern von französischen Schriftstellern, wie neuer¬ dings von Emile de Laveleye (in der I!.i;vn(; do« l)nix morals) als fran¬ zösischer Wallone angesprochen. Und allerdings ist sein Vater in Rocrog, er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/403>, abgerufen am 26.06.2024.