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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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fesselnde Unterhaltung zu genießen. Wenige der jetzt lebenden Dichter
erfreuen sich einer solchen Popularität als Conscience, dessen treffliche Romane
in fast alle europäischen Sprachen übersetzt sind. Wie beliebt er in seiner
Heimath ist, das wurde mir recht klar, wenn ich gemüthlich plaudernd mit
ihm durch die schönen Straßen Brüssels schlenderte, die er mir mit einem
gewissen Stolz zeigte. Wie einen Fürsten grüßte man den genialen Wieder-
erwecker der vlamischen Dichtung, und jüngere Schriftsteller sehen ehrfurchts¬
voll zu ihm empor. Leider ist sein Gesundheitszustand nicht der beste. In
Cöln hatte man mir sogar seinen Zustand als viel bedenklicher geschildert,
und ich fürchtete schon aus die Freude verzichten zu müssen, den Dichter per¬
sönlich kennen zu lernen. Ich war daher nicht wenig überrascht und erfreut,
diese Befürchtungen unbegründet zu sehen.

Conscience leidet seit längerer Zeit an dem Uebel, das den großen
Reichskanzler -- wie Bismarck immer in der Fremde heißt -- so oft von
den Geschäften fern gehalten hat, an Ueberreizung der Nerven und an Schlaf¬
losigkeit, einer Krankheit, der grade Naturen von eminenter Schaffenskraft
und Energie so leicht anheimfallen. Man hofft, daß der Aufenthalt in dem
reizenden Seebad Blankenberghe unweit Ostende, wohin sich der Dichter vor
kurzem begeben hat, einen heilsamen Einfluß auf ihn ausüben werde. Trotz
seines leidenden Zustandes ließ es sich Conscience nicht nehmen, den größten
Freund der Vlamingen unter den deutschen Schriftstellern, wie er mich nannte,
selbst in dem seiner Obhut anvertrauten Museum Wiertz herumzuführen.
Außerdem begleitete mich Van Sonst, der als DireetLur Ä6L Lsaux-^reg
schon "lüein in den Museen und Sammlungen Brüssels und Belgiens
überhaupt ganz besonders zu Hause ist. Derselbe hat sich durch seine Schriften
über die moderne Malerei einen Namen als Kenner und Kritiker erworben,
und sein Urtheil ist aus diesen Gebieten sehr geachtet. Ich konnte also in
der merkwürdigen Gallerie Wiertz nicht besser geführt sein, als ich es war.

Wie das Thorwaldsen-Museum in Kopenhagen die Skulpturen des großen
Dänen, so vereinigt das Wiertz-Museum die sämmtlichen Gemälde, Kartons,
Handzeichnungen, Skizzen und Sculpturen des großen 1865 gestorbenen belgischen
Meisters, dessen Namen es trägt.

Unwillkürlich drängte sich mir während dieser genußreichen Periegese der
Gedanke auf, daß zwischen Wiertz und Conscience hinsichtlich ihrer Lebens¬
schicksale und ihrer Entwickelung eine gewisse Verwandtschaft bestehe. Con¬
science kann mit Recht das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, dem
Wiederaufblühen der vlamischen Literatur einen mächtigen Impuls gegeben
zu haben, und in der Malerei scheint mir, den große Leps vielleicht ausge¬
nommen, kein belgischer Künstler den Meistern der alten flandrischen Schule
näher zu stehen als Wiertz. Beide Männer waren mittellos geboren, und


fesselnde Unterhaltung zu genießen. Wenige der jetzt lebenden Dichter
erfreuen sich einer solchen Popularität als Conscience, dessen treffliche Romane
in fast alle europäischen Sprachen übersetzt sind. Wie beliebt er in seiner
Heimath ist, das wurde mir recht klar, wenn ich gemüthlich plaudernd mit
ihm durch die schönen Straßen Brüssels schlenderte, die er mir mit einem
gewissen Stolz zeigte. Wie einen Fürsten grüßte man den genialen Wieder-
erwecker der vlamischen Dichtung, und jüngere Schriftsteller sehen ehrfurchts¬
voll zu ihm empor. Leider ist sein Gesundheitszustand nicht der beste. In
Cöln hatte man mir sogar seinen Zustand als viel bedenklicher geschildert,
und ich fürchtete schon aus die Freude verzichten zu müssen, den Dichter per¬
sönlich kennen zu lernen. Ich war daher nicht wenig überrascht und erfreut,
diese Befürchtungen unbegründet zu sehen.

Conscience leidet seit längerer Zeit an dem Uebel, das den großen
Reichskanzler — wie Bismarck immer in der Fremde heißt — so oft von
den Geschäften fern gehalten hat, an Ueberreizung der Nerven und an Schlaf¬
losigkeit, einer Krankheit, der grade Naturen von eminenter Schaffenskraft
und Energie so leicht anheimfallen. Man hofft, daß der Aufenthalt in dem
reizenden Seebad Blankenberghe unweit Ostende, wohin sich der Dichter vor
kurzem begeben hat, einen heilsamen Einfluß auf ihn ausüben werde. Trotz
seines leidenden Zustandes ließ es sich Conscience nicht nehmen, den größten
Freund der Vlamingen unter den deutschen Schriftstellern, wie er mich nannte,
selbst in dem seiner Obhut anvertrauten Museum Wiertz herumzuführen.
Außerdem begleitete mich Van Sonst, der als DireetLur Ä6L Lsaux-^reg
schon »lüein in den Museen und Sammlungen Brüssels und Belgiens
überhaupt ganz besonders zu Hause ist. Derselbe hat sich durch seine Schriften
über die moderne Malerei einen Namen als Kenner und Kritiker erworben,
und sein Urtheil ist aus diesen Gebieten sehr geachtet. Ich konnte also in
der merkwürdigen Gallerie Wiertz nicht besser geführt sein, als ich es war.

Wie das Thorwaldsen-Museum in Kopenhagen die Skulpturen des großen
Dänen, so vereinigt das Wiertz-Museum die sämmtlichen Gemälde, Kartons,
Handzeichnungen, Skizzen und Sculpturen des großen 1865 gestorbenen belgischen
Meisters, dessen Namen es trägt.

Unwillkürlich drängte sich mir während dieser genußreichen Periegese der
Gedanke auf, daß zwischen Wiertz und Conscience hinsichtlich ihrer Lebens¬
schicksale und ihrer Entwickelung eine gewisse Verwandtschaft bestehe. Con¬
science kann mit Recht das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, dem
Wiederaufblühen der vlamischen Literatur einen mächtigen Impuls gegeben
zu haben, und in der Malerei scheint mir, den große Leps vielleicht ausge¬
nommen, kein belgischer Künstler den Meistern der alten flandrischen Schule
näher zu stehen als Wiertz. Beide Männer waren mittellos geboren, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/402>, abgerufen am 26.06.2024.