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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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familier und Künstlerkreisen kennen gelernt und in ihrer Häuslichkeit sich
bewegen gesehen habe, verdienen nicht blos dieses Lob in vollem Maaße,
sondern sie haben mir auch dadurch imponirt, daß sie an den Tagesfragen
namentlich an den Ereignissen auf dem Gebiete der schönen Künste und der Lite¬
ratur so äußerst lebendigen und verständnißvollen Antheil zu nehmen ver¬
mochten. Selten habe ich eine so natürliche und harmonische Vereinigung
der Vorzüge einer Hausfrau und einer Weltdame (im besseren Sinne des
Wortes) zu beobachten Gelegenheit gehabt als hier. In den großen Städten
Frankreichs und leider auch Deutschlands scheint mir in letzter Zeit grade
in den mittleren und höheren Gesellschaftsschichten ein geziertes Precieusen-
thum, wie schon Moliere es geißelt, bedenklich um sich zu greifen, an welchem
gegenwärtig vorzugsweise die amerikanische Damenwelt krankt, jene verkehrte
und emanzipirte Ansicht, als sei die wirthschaftliche Häuslichkeit nicht verein¬
bar mit dem Salonleben der großen Welt. Selbst aus die Gefahr hin, in
den Verdacht franzosenfeindlicher Parteilichkeit zu gerathen, wage ich doch zu
behaupten, daß mir die Damen, welche ich während eines dreiwöchentlicher
Abstechers nach Paris in der dortigen Gesellschaft gesehen habe, die erwähnten
Vorzüge in weit geringerem Grade zu besitzen scheinen. Wenn ich es> für
opportun hielte, oder wenn es hier der Ort wäre, auf diesen sich mir unwill¬
kürlich aufdrängenden Vergleich tiefer einzugehen, so würde derselbe sehr zu
Gunsten der Frauen Flanderns (in so weit sie nicht auch schon verwälscht
sind) ausfallen müssen. Doch ich werde mich wohl hüten, diese heikle Frage
weiter zu erörtern, zumal da mir der Raum nicht gestatten würde, neben diesen
kleinen, bei unseren lieben Nachbarn jenseits der Vogesen gewohnheitsmäßig
weniger empfundenen Mängeln zur Entschädigung die vielen liebenswürdigen
und charmanter Eigenschaften der französischen Damen zur Geltung gelangen
zu lassen. Noch schmerzlicher, als der erwähnte Verdacht würde mir die Zu-
muthung sein, ich hätte die Absicht, mich an Herrn Victor Tissot zu revan-
chiren, der sich in seinem jüngst erschienenen Buche: "VoMgs an x^s ach
Nillig-räh" zum jüngsten Herold und Interpreten der Anschauungen gemacht
hat, die ein Franzose auf einer flüchtigen Reise durch Deutschland über uns
gewinnt, natürlich ohne einen Schimmer von der Landessprache zu haben, oder
vielmehr der Anschauungen, die er sich zu eigen machen muß, um bei dem
französischen Lesepublikum zu reussiren. Doch der arme Schelm ist von Paul
Lindau in Nummer 31 der Gegenwart gründlich genug abgemuckt, und das
scheint mir schon zu viel Ehre für ihn zu sein.

Aber ich wollte über belgische Kunstzustände berichten. Mein erster
Gang in Brüssel galt dem Museum Wiertz, dessen Conservator der ge¬
feierte Romanschriftsteller Conscience ist. Auch er ist ein Freund der
Familie van Sonst, und ich hatte das Vergnügen, mehrmals seine überaus


Grenzboten III. 187S. SO

familier und Künstlerkreisen kennen gelernt und in ihrer Häuslichkeit sich
bewegen gesehen habe, verdienen nicht blos dieses Lob in vollem Maaße,
sondern sie haben mir auch dadurch imponirt, daß sie an den Tagesfragen
namentlich an den Ereignissen auf dem Gebiete der schönen Künste und der Lite¬
ratur so äußerst lebendigen und verständnißvollen Antheil zu nehmen ver¬
mochten. Selten habe ich eine so natürliche und harmonische Vereinigung
der Vorzüge einer Hausfrau und einer Weltdame (im besseren Sinne des
Wortes) zu beobachten Gelegenheit gehabt als hier. In den großen Städten
Frankreichs und leider auch Deutschlands scheint mir in letzter Zeit grade
in den mittleren und höheren Gesellschaftsschichten ein geziertes Precieusen-
thum, wie schon Moliere es geißelt, bedenklich um sich zu greifen, an welchem
gegenwärtig vorzugsweise die amerikanische Damenwelt krankt, jene verkehrte
und emanzipirte Ansicht, als sei die wirthschaftliche Häuslichkeit nicht verein¬
bar mit dem Salonleben der großen Welt. Selbst aus die Gefahr hin, in
den Verdacht franzosenfeindlicher Parteilichkeit zu gerathen, wage ich doch zu
behaupten, daß mir die Damen, welche ich während eines dreiwöchentlicher
Abstechers nach Paris in der dortigen Gesellschaft gesehen habe, die erwähnten
Vorzüge in weit geringerem Grade zu besitzen scheinen. Wenn ich es> für
opportun hielte, oder wenn es hier der Ort wäre, auf diesen sich mir unwill¬
kürlich aufdrängenden Vergleich tiefer einzugehen, so würde derselbe sehr zu
Gunsten der Frauen Flanderns (in so weit sie nicht auch schon verwälscht
sind) ausfallen müssen. Doch ich werde mich wohl hüten, diese heikle Frage
weiter zu erörtern, zumal da mir der Raum nicht gestatten würde, neben diesen
kleinen, bei unseren lieben Nachbarn jenseits der Vogesen gewohnheitsmäßig
weniger empfundenen Mängeln zur Entschädigung die vielen liebenswürdigen
und charmanter Eigenschaften der französischen Damen zur Geltung gelangen
zu lassen. Noch schmerzlicher, als der erwähnte Verdacht würde mir die Zu-
muthung sein, ich hätte die Absicht, mich an Herrn Victor Tissot zu revan-
chiren, der sich in seinem jüngst erschienenen Buche: „VoMgs an x^s ach
Nillig-räh" zum jüngsten Herold und Interpreten der Anschauungen gemacht
hat, die ein Franzose auf einer flüchtigen Reise durch Deutschland über uns
gewinnt, natürlich ohne einen Schimmer von der Landessprache zu haben, oder
vielmehr der Anschauungen, die er sich zu eigen machen muß, um bei dem
französischen Lesepublikum zu reussiren. Doch der arme Schelm ist von Paul
Lindau in Nummer 31 der Gegenwart gründlich genug abgemuckt, und das
scheint mir schon zu viel Ehre für ihn zu sein.

Aber ich wollte über belgische Kunstzustände berichten. Mein erster
Gang in Brüssel galt dem Museum Wiertz, dessen Conservator der ge¬
feierte Romanschriftsteller Conscience ist. Auch er ist ein Freund der
Familie van Sonst, und ich hatte das Vergnügen, mehrmals seine überaus


Grenzboten III. 187S. SO
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[0401] familier und Künstlerkreisen kennen gelernt und in ihrer Häuslichkeit sich bewegen gesehen habe, verdienen nicht blos dieses Lob in vollem Maaße, sondern sie haben mir auch dadurch imponirt, daß sie an den Tagesfragen namentlich an den Ereignissen auf dem Gebiete der schönen Künste und der Lite¬ ratur so äußerst lebendigen und verständnißvollen Antheil zu nehmen ver¬ mochten. Selten habe ich eine so natürliche und harmonische Vereinigung der Vorzüge einer Hausfrau und einer Weltdame (im besseren Sinne des Wortes) zu beobachten Gelegenheit gehabt als hier. In den großen Städten Frankreichs und leider auch Deutschlands scheint mir in letzter Zeit grade in den mittleren und höheren Gesellschaftsschichten ein geziertes Precieusen- thum, wie schon Moliere es geißelt, bedenklich um sich zu greifen, an welchem gegenwärtig vorzugsweise die amerikanische Damenwelt krankt, jene verkehrte und emanzipirte Ansicht, als sei die wirthschaftliche Häuslichkeit nicht verein¬ bar mit dem Salonleben der großen Welt. Selbst aus die Gefahr hin, in den Verdacht franzosenfeindlicher Parteilichkeit zu gerathen, wage ich doch zu behaupten, daß mir die Damen, welche ich während eines dreiwöchentlicher Abstechers nach Paris in der dortigen Gesellschaft gesehen habe, die erwähnten Vorzüge in weit geringerem Grade zu besitzen scheinen. Wenn ich es> für opportun hielte, oder wenn es hier der Ort wäre, auf diesen sich mir unwill¬ kürlich aufdrängenden Vergleich tiefer einzugehen, so würde derselbe sehr zu Gunsten der Frauen Flanderns (in so weit sie nicht auch schon verwälscht sind) ausfallen müssen. Doch ich werde mich wohl hüten, diese heikle Frage weiter zu erörtern, zumal da mir der Raum nicht gestatten würde, neben diesen kleinen, bei unseren lieben Nachbarn jenseits der Vogesen gewohnheitsmäßig weniger empfundenen Mängeln zur Entschädigung die vielen liebenswürdigen und charmanter Eigenschaften der französischen Damen zur Geltung gelangen zu lassen. Noch schmerzlicher, als der erwähnte Verdacht würde mir die Zu- muthung sein, ich hätte die Absicht, mich an Herrn Victor Tissot zu revan- chiren, der sich in seinem jüngst erschienenen Buche: „VoMgs an x^s ach Nillig-räh" zum jüngsten Herold und Interpreten der Anschauungen gemacht hat, die ein Franzose auf einer flüchtigen Reise durch Deutschland über uns gewinnt, natürlich ohne einen Schimmer von der Landessprache zu haben, oder vielmehr der Anschauungen, die er sich zu eigen machen muß, um bei dem französischen Lesepublikum zu reussiren. Doch der arme Schelm ist von Paul Lindau in Nummer 31 der Gegenwart gründlich genug abgemuckt, und das scheint mir schon zu viel Ehre für ihn zu sein. Aber ich wollte über belgische Kunstzustände berichten. Mein erster Gang in Brüssel galt dem Museum Wiertz, dessen Conservator der ge¬ feierte Romanschriftsteller Conscience ist. Auch er ist ein Freund der Familie van Sonst, und ich hatte das Vergnügen, mehrmals seine überaus Grenzboten III. 187S. SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/401>, abgerufen am 26.06.2024.