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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Schätzen ganz beladen, nach Hause und lebte dort mit seinen Pflegeeltern
fortan in Ueberfluß und Frieden.

Die dritte Erzählung, die wir auswählen, betitelt sich "Die Elfen und
der neidische Nachbar" und berichtet Folgendes:

Es war einmal ein Mann, der aus einer Reise im Gebirge von
der Nacht überfallen wurde, so daß er genöthigt war, sich im Stamme eines
hohlen Baumes ein Obdach zu suchen. Als er ein solches gefunden hatte,
versammelte sich um Mitternacht eine große Menge von Elfen auf dem freien
Platze vor dem Baume, und der Mann gerieth, als er sie gewahr wurde,
vor Schrecken ganz außer sich. Nach einiger Zeit jedoch fingen die Elfen an,
zu spielen und Wein zu trinken und sich mit Gesang und Tanz zu ergötzen,
und der Mann, von ihrer Vergnügtheit angesteckt, vergaß seine Furcht ganz
und gar und kroch aus seinem hohlen Baume heraus, um an der Festlichkeit
theilzunehmen. Das gefiel den Elfen, und als der Tag zu dämmern begann,
sagten sie zu ihm: "Du bist ein lustiger Gesell und mußt wieder heraus¬
kommen und noch einmal mit uns tanzen. Du mußt uns das versprechen.
Deine Zusage aber auch halten." Darauf nahmen sie ihm in dem Glauben,
daß sie ihn dadurch zur Wiederkehr nöthigen könnten, eine große Warze ab,
die ihm mitten auf der Stirn saß. Dieselbe sollte ihnen als Pfand für die
Erfüllung ihres Wunsches und seines Versprechens dienen. Dann verließen
alle die Stelle und gingen nach Hause.

Der Mann wanderte wieder heim, vergnügt über die angenehme Nacht,
die er gehabt hatte, sowie darüber, daß er seine große Warze losgeworden
war. Er erzählte die Geschichte allen seinen Freunden, die ihm vom Herzen
dazu Glück wünschten, der bösen Warze entledigt zu sein. Nun hatte er
aber einen Nachbarn, der ebenfalls mit einer dicken und schon sehr alten
Warze behaftet war. Als der von dem guten Glücke seines Freundes hörte,
plagte ihn der Neid, und er machte sich auf, um den hohlen Baum auszu¬
spüren. Nachdem er ihn gesunden hatte, versteckte er sich in ihm.

Um Mitternacht kamen denn auch, wie er erwartet, die Elfen und fingen
an, zu speisen und zu trinken und zu singen und zu tanzen, wie sie es vor¬
her gemacht hatten. Bei diesem Anblick stieg der Mann aus seinem hohlen
Baume und schloß sich, wie früher sein Nachbar gethan, dem Gesänge und
Tanze an. Die Elfen glaubten, es sei ihr früherer lustiger Genosse, freuten
sich über seinem Besuch und sagten: "Du bist ein wackrer, rechtschaffner
Mann, daß Du Dich Deiner Zusage erinnerst, und so wollen wir Dir jetzt
Dein Pfand zurückgeben." Damit zogen sie die zurückbehaltene Warze hervor
und klebten sie dem Mann auf die Stirne, oben über die andere Warze, die
er schon hatte, und so ging der neidische Nachbar weinend nach Hause, mit
zwei Warzen statt mit einer.


Schätzen ganz beladen, nach Hause und lebte dort mit seinen Pflegeeltern
fortan in Ueberfluß und Frieden.

Die dritte Erzählung, die wir auswählen, betitelt sich „Die Elfen und
der neidische Nachbar" und berichtet Folgendes:

Es war einmal ein Mann, der aus einer Reise im Gebirge von
der Nacht überfallen wurde, so daß er genöthigt war, sich im Stamme eines
hohlen Baumes ein Obdach zu suchen. Als er ein solches gefunden hatte,
versammelte sich um Mitternacht eine große Menge von Elfen auf dem freien
Platze vor dem Baume, und der Mann gerieth, als er sie gewahr wurde,
vor Schrecken ganz außer sich. Nach einiger Zeit jedoch fingen die Elfen an,
zu spielen und Wein zu trinken und sich mit Gesang und Tanz zu ergötzen,
und der Mann, von ihrer Vergnügtheit angesteckt, vergaß seine Furcht ganz
und gar und kroch aus seinem hohlen Baume heraus, um an der Festlichkeit
theilzunehmen. Das gefiel den Elfen, und als der Tag zu dämmern begann,
sagten sie zu ihm: „Du bist ein lustiger Gesell und mußt wieder heraus¬
kommen und noch einmal mit uns tanzen. Du mußt uns das versprechen.
Deine Zusage aber auch halten." Darauf nahmen sie ihm in dem Glauben,
daß sie ihn dadurch zur Wiederkehr nöthigen könnten, eine große Warze ab,
die ihm mitten auf der Stirn saß. Dieselbe sollte ihnen als Pfand für die
Erfüllung ihres Wunsches und seines Versprechens dienen. Dann verließen
alle die Stelle und gingen nach Hause.

Der Mann wanderte wieder heim, vergnügt über die angenehme Nacht,
die er gehabt hatte, sowie darüber, daß er seine große Warze losgeworden
war. Er erzählte die Geschichte allen seinen Freunden, die ihm vom Herzen
dazu Glück wünschten, der bösen Warze entledigt zu sein. Nun hatte er
aber einen Nachbarn, der ebenfalls mit einer dicken und schon sehr alten
Warze behaftet war. Als der von dem guten Glücke seines Freundes hörte,
plagte ihn der Neid, und er machte sich auf, um den hohlen Baum auszu¬
spüren. Nachdem er ihn gesunden hatte, versteckte er sich in ihm.

Um Mitternacht kamen denn auch, wie er erwartet, die Elfen und fingen
an, zu speisen und zu trinken und zu singen und zu tanzen, wie sie es vor¬
her gemacht hatten. Bei diesem Anblick stieg der Mann aus seinem hohlen
Baume und schloß sich, wie früher sein Nachbar gethan, dem Gesänge und
Tanze an. Die Elfen glaubten, es sei ihr früherer lustiger Genosse, freuten
sich über seinem Besuch und sagten: „Du bist ein wackrer, rechtschaffner
Mann, daß Du Dich Deiner Zusage erinnerst, und so wollen wir Dir jetzt
Dein Pfand zurückgeben." Damit zogen sie die zurückbehaltene Warze hervor
und klebten sie dem Mann auf die Stirne, oben über die andere Warze, die
er schon hatte, und so ging der neidische Nachbar weinend nach Hause, mit
zwei Warzen statt mit einer.


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[0399] Schätzen ganz beladen, nach Hause und lebte dort mit seinen Pflegeeltern fortan in Ueberfluß und Frieden. Die dritte Erzählung, die wir auswählen, betitelt sich „Die Elfen und der neidische Nachbar" und berichtet Folgendes: Es war einmal ein Mann, der aus einer Reise im Gebirge von der Nacht überfallen wurde, so daß er genöthigt war, sich im Stamme eines hohlen Baumes ein Obdach zu suchen. Als er ein solches gefunden hatte, versammelte sich um Mitternacht eine große Menge von Elfen auf dem freien Platze vor dem Baume, und der Mann gerieth, als er sie gewahr wurde, vor Schrecken ganz außer sich. Nach einiger Zeit jedoch fingen die Elfen an, zu spielen und Wein zu trinken und sich mit Gesang und Tanz zu ergötzen, und der Mann, von ihrer Vergnügtheit angesteckt, vergaß seine Furcht ganz und gar und kroch aus seinem hohlen Baume heraus, um an der Festlichkeit theilzunehmen. Das gefiel den Elfen, und als der Tag zu dämmern begann, sagten sie zu ihm: „Du bist ein lustiger Gesell und mußt wieder heraus¬ kommen und noch einmal mit uns tanzen. Du mußt uns das versprechen. Deine Zusage aber auch halten." Darauf nahmen sie ihm in dem Glauben, daß sie ihn dadurch zur Wiederkehr nöthigen könnten, eine große Warze ab, die ihm mitten auf der Stirn saß. Dieselbe sollte ihnen als Pfand für die Erfüllung ihres Wunsches und seines Versprechens dienen. Dann verließen alle die Stelle und gingen nach Hause. Der Mann wanderte wieder heim, vergnügt über die angenehme Nacht, die er gehabt hatte, sowie darüber, daß er seine große Warze losgeworden war. Er erzählte die Geschichte allen seinen Freunden, die ihm vom Herzen dazu Glück wünschten, der bösen Warze entledigt zu sein. Nun hatte er aber einen Nachbarn, der ebenfalls mit einer dicken und schon sehr alten Warze behaftet war. Als der von dem guten Glücke seines Freundes hörte, plagte ihn der Neid, und er machte sich auf, um den hohlen Baum auszu¬ spüren. Nachdem er ihn gesunden hatte, versteckte er sich in ihm. Um Mitternacht kamen denn auch, wie er erwartet, die Elfen und fingen an, zu speisen und zu trinken und zu singen und zu tanzen, wie sie es vor¬ her gemacht hatten. Bei diesem Anblick stieg der Mann aus seinem hohlen Baume und schloß sich, wie früher sein Nachbar gethan, dem Gesänge und Tanze an. Die Elfen glaubten, es sei ihr früherer lustiger Genosse, freuten sich über seinem Besuch und sagten: „Du bist ein wackrer, rechtschaffner Mann, daß Du Dich Deiner Zusage erinnerst, und so wollen wir Dir jetzt Dein Pfand zurückgeben." Damit zogen sie die zurückbehaltene Warze hervor und klebten sie dem Mann auf die Stirne, oben über die andere Warze, die er schon hatte, und so ging der neidische Nachbar weinend nach Hause, mit zwei Warzen statt mit einer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/399>, abgerufen am 26.06.2024.