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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Als der alte Mann nach Hause (bei Kohl wieder zu Hause) kam, war
seine Frau sehr böse und fing an, ihn zu schelten und sagte: "Na, wo bist
Du denn diese lange Zeit gewesen? Wahrhaftig, sehr hübsch und passend
für einen Mann in Deinen Jahren, so im Lande herumzustreichen." -- "O",
antwortete er, "ich bin bei den Sperlingen zu Besuch gewesen, und als ich
ging, gaben sie mir diesen Korb als Abschiedsgeschenk mit." Wie sie den
Korb nun aufmachte, war er ganz voll Gold und Silber und andere kostbare
Dinge. Als die alte Frau das sah, hörte sie mit Schelten auf, wurde ver¬
gnügt und wußte sich zuletzt vor Freude nicht zu lassen. "Ich will doch auch
hingehen und die Sperlinge besuchen", sagte sie, "ich muß von ihnen auch
ein so hübsches Geschenk haben." Sie fragte den alten Mann nach dem
Wege zur Wohnung der Sperlinge und machte sich dann auf die Reise.
Nach einer Weile begegnete sie dem Sperling mit der abgeschnittnen Zunge
und rief ihn an: "O, wie gut! Ach, wie schön, daß ich Euch finde, mein
lieber Herr Sperling! Schon lange wünschte ich mir das Vergnügen, Euch
zu Gesicht zu bekommen." Mit diesen und andern süßen Worten suchte sie
dem Sperlinge zu schmeicheln. Der Vogel konnte nicht umhin, die Frau in
sein Haus einzuladen. Aber er gab sich keine besondere Mühe, sie gut zu
bewirthen, auch ließ er sich von einem Abschiedsgeschenke nichts merken. Sie
aber wurde dadurch von ihrem Wunsche nicht abgeschreckt, sondern bat um
etwas, was sie zur Erinnerung an ihren Besuch mit heimnehmen könne.
Der Sperling brachte darauf wie vorher zwei Körbe herbei, und das alte
habgierige Weib wählte sich den schwersten von den beiden aus und schleppte
ihn weg. Als sie sich aber hinsetzte und den Korb öffnete, um nachzusehen,
was darin sei, da polterten und hüpften und flogen allerhand Kobolde und
Teufelchen heraus und fingen an, sie zu necken und zu plagen, und in ihrem
ganzen Leben wurde sie dieselben nicht wieder los.

Das zweite Märchen, welches noch deutlicher als das erste an gewisse
Züge deutscher Märchen erinnert, nennt sich in unsrer Uebersetzung "Klein-
Psirschlings Abenteuer" und lautet, wie folgt:

Bor vielen hundert Jahren lebten im Gebirge ein ehrlicher alter Holz¬
fäller und sein Weib. Eines Morgens ging der alte Mann mit seinem Beil
in die Berge, um ein Bündel Scheitholz zu sammeln, während sein Weib
sich an den Fluß hinunterbegab, um schmutzige Wäsche zu waschen. Als sie
an das Wasser kam, sah sie einen schönen Pfirsich stromab schwimmen. Sie
holte sich die Frucht herbei und nahm sie mit, um sie ihrem Manne, wenn
er heimkehrte, zu essen zu geben. Der alte Mann kam denn auch bald vom
Gebirge zurück, und die gute Frau setzte ihm den Pfirsich vor. Aber als sie
ihn aufforderte, ihn zu essen, that sich die Frucht auseinander, und ein kleines
wimmerndes Kind kam heraus. Die beiden Alten nahmen es als das ihre


Als der alte Mann nach Hause (bei Kohl wieder zu Hause) kam, war
seine Frau sehr böse und fing an, ihn zu schelten und sagte: „Na, wo bist
Du denn diese lange Zeit gewesen? Wahrhaftig, sehr hübsch und passend
für einen Mann in Deinen Jahren, so im Lande herumzustreichen." — „O",
antwortete er, „ich bin bei den Sperlingen zu Besuch gewesen, und als ich
ging, gaben sie mir diesen Korb als Abschiedsgeschenk mit." Wie sie den
Korb nun aufmachte, war er ganz voll Gold und Silber und andere kostbare
Dinge. Als die alte Frau das sah, hörte sie mit Schelten auf, wurde ver¬
gnügt und wußte sich zuletzt vor Freude nicht zu lassen. „Ich will doch auch
hingehen und die Sperlinge besuchen", sagte sie, „ich muß von ihnen auch
ein so hübsches Geschenk haben." Sie fragte den alten Mann nach dem
Wege zur Wohnung der Sperlinge und machte sich dann auf die Reise.
Nach einer Weile begegnete sie dem Sperling mit der abgeschnittnen Zunge
und rief ihn an: „O, wie gut! Ach, wie schön, daß ich Euch finde, mein
lieber Herr Sperling! Schon lange wünschte ich mir das Vergnügen, Euch
zu Gesicht zu bekommen." Mit diesen und andern süßen Worten suchte sie
dem Sperlinge zu schmeicheln. Der Vogel konnte nicht umhin, die Frau in
sein Haus einzuladen. Aber er gab sich keine besondere Mühe, sie gut zu
bewirthen, auch ließ er sich von einem Abschiedsgeschenke nichts merken. Sie
aber wurde dadurch von ihrem Wunsche nicht abgeschreckt, sondern bat um
etwas, was sie zur Erinnerung an ihren Besuch mit heimnehmen könne.
Der Sperling brachte darauf wie vorher zwei Körbe herbei, und das alte
habgierige Weib wählte sich den schwersten von den beiden aus und schleppte
ihn weg. Als sie sich aber hinsetzte und den Korb öffnete, um nachzusehen,
was darin sei, da polterten und hüpften und flogen allerhand Kobolde und
Teufelchen heraus und fingen an, sie zu necken und zu plagen, und in ihrem
ganzen Leben wurde sie dieselben nicht wieder los.

Das zweite Märchen, welches noch deutlicher als das erste an gewisse
Züge deutscher Märchen erinnert, nennt sich in unsrer Uebersetzung „Klein-
Psirschlings Abenteuer" und lautet, wie folgt:

Bor vielen hundert Jahren lebten im Gebirge ein ehrlicher alter Holz¬
fäller und sein Weib. Eines Morgens ging der alte Mann mit seinem Beil
in die Berge, um ein Bündel Scheitholz zu sammeln, während sein Weib
sich an den Fluß hinunterbegab, um schmutzige Wäsche zu waschen. Als sie
an das Wasser kam, sah sie einen schönen Pfirsich stromab schwimmen. Sie
holte sich die Frucht herbei und nahm sie mit, um sie ihrem Manne, wenn
er heimkehrte, zu essen zu geben. Der alte Mann kam denn auch bald vom
Gebirge zurück, und die gute Frau setzte ihm den Pfirsich vor. Aber als sie
ihn aufforderte, ihn zu essen, that sich die Frucht auseinander, und ein kleines
wimmerndes Kind kam heraus. Die beiden Alten nahmen es als das ihre


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[0397] Als der alte Mann nach Hause (bei Kohl wieder zu Hause) kam, war seine Frau sehr böse und fing an, ihn zu schelten und sagte: „Na, wo bist Du denn diese lange Zeit gewesen? Wahrhaftig, sehr hübsch und passend für einen Mann in Deinen Jahren, so im Lande herumzustreichen." — „O", antwortete er, „ich bin bei den Sperlingen zu Besuch gewesen, und als ich ging, gaben sie mir diesen Korb als Abschiedsgeschenk mit." Wie sie den Korb nun aufmachte, war er ganz voll Gold und Silber und andere kostbare Dinge. Als die alte Frau das sah, hörte sie mit Schelten auf, wurde ver¬ gnügt und wußte sich zuletzt vor Freude nicht zu lassen. „Ich will doch auch hingehen und die Sperlinge besuchen", sagte sie, „ich muß von ihnen auch ein so hübsches Geschenk haben." Sie fragte den alten Mann nach dem Wege zur Wohnung der Sperlinge und machte sich dann auf die Reise. Nach einer Weile begegnete sie dem Sperling mit der abgeschnittnen Zunge und rief ihn an: „O, wie gut! Ach, wie schön, daß ich Euch finde, mein lieber Herr Sperling! Schon lange wünschte ich mir das Vergnügen, Euch zu Gesicht zu bekommen." Mit diesen und andern süßen Worten suchte sie dem Sperlinge zu schmeicheln. Der Vogel konnte nicht umhin, die Frau in sein Haus einzuladen. Aber er gab sich keine besondere Mühe, sie gut zu bewirthen, auch ließ er sich von einem Abschiedsgeschenke nichts merken. Sie aber wurde dadurch von ihrem Wunsche nicht abgeschreckt, sondern bat um etwas, was sie zur Erinnerung an ihren Besuch mit heimnehmen könne. Der Sperling brachte darauf wie vorher zwei Körbe herbei, und das alte habgierige Weib wählte sich den schwersten von den beiden aus und schleppte ihn weg. Als sie sich aber hinsetzte und den Korb öffnete, um nachzusehen, was darin sei, da polterten und hüpften und flogen allerhand Kobolde und Teufelchen heraus und fingen an, sie zu necken und zu plagen, und in ihrem ganzen Leben wurde sie dieselben nicht wieder los. Das zweite Märchen, welches noch deutlicher als das erste an gewisse Züge deutscher Märchen erinnert, nennt sich in unsrer Uebersetzung „Klein- Psirschlings Abenteuer" und lautet, wie folgt: Bor vielen hundert Jahren lebten im Gebirge ein ehrlicher alter Holz¬ fäller und sein Weib. Eines Morgens ging der alte Mann mit seinem Beil in die Berge, um ein Bündel Scheitholz zu sammeln, während sein Weib sich an den Fluß hinunterbegab, um schmutzige Wäsche zu waschen. Als sie an das Wasser kam, sah sie einen schönen Pfirsich stromab schwimmen. Sie holte sich die Frucht herbei und nahm sie mit, um sie ihrem Manne, wenn er heimkehrte, zu essen zu geben. Der alte Mann kam denn auch bald vom Gebirge zurück, und die gute Frau setzte ihm den Pfirsich vor. Aber als sie ihn aufforderte, ihn zu essen, that sich die Frucht auseinander, und ein kleines wimmerndes Kind kam heraus. Die beiden Alten nahmen es als das ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/397>, abgerufen am 26.06.2024.