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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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genannten Naturforschern von einem großen Philosophen (Kant) ihrem Wesen
nach aufgestellt wurde, für den gesunden Menschenverstand etwas ungemein
Palpables hat, wenn sie auch vielleicht für das schlichte religiöse Gefühl
weniger tröstlich klingt. Vielleicht, sage ich; denn bei manchen ist das
Gegentheil der Fall; sie finden ein erhebendes Gefühl in dem Gedanken, daß
auch der Typus Mensch noch einer -- wer weiß, wie großen? -- Vervoll¬
kommnung fähig und das Ende der Linie nicht abzusehen sei. Dieses Gefühl
ist sublim, und die Rechnung richtig -- wenn nur nicht für die große Mehr¬
zahl der Menschen die unendliche Zeitdauer ein so unerquicklicher Faktor
wäre, in dessen Maaßlosigkeit jener Trost sich ausnimmt, wie ein Regentropfen
in einer Sandwüste. Inwiefern auch diese Cardinalfrage zu einer beruhigenden
Lösung geführt werden könne, das zu zeigen gehört nicht mehr zu einer
Untersuchung über den Fortschritt. Wohl aber gehört es dazu, vom Stand¬
punkt desselben gesunden Menschenverstandes aus, den ich soeben beansprucht
habe, und den ich in gewissen allerhöchsten Fragen zum Trotz der Naturforscher
und Naturphilosophen noch immer als die oberste Instanz anerkenne, kräftig
zu protestiren, sobald eine neue Theorie mit einem Rückschritt, und wäre es
auch bloß ein wissenschaftlicher, verbunden ist. Dieß ist aber meiner innersten
Ueberzeugung zufolge bei den superlativischer Darwinianern der Fall, und
nicht nur bei ihnen; die ganze Richtung und Neigung der modernen Natur¬
wissenschaft scheint mir nach diesem Rückschritt hin zu gravitiren. Ich meine
damit das starre und ausschließliche Festhalten an der me es ani schen Natur¬
erklärung mit völligem Preisgeben jedes metaphysischen, constitutiven Prinzipes,
und jeder Teleologie. Hat sich doch gegen diese Vergötterung der Mechanik
sogar der Philosoph des "Unbewußten" erhoben, ein Denker, dem doch wahr¬
lich der Vorwurf nicht gemacht werden kann, daß er sich vor der unheim¬
lichen letzten Consequenz eine Prinzips scheue und mit allzuempfänglichem
Ohre dem Stammeln und Seufzen der Creatur nach Erlösung lausche! Wenn
keine Endursachen und Zweckbegriffe in der Natur sichtbar sind, dann kann der
Mensch sich allerdings auch nicht als Zweck der Schöpfung betrachten; letzteres
darf man zugeben, aber noch gewisser ist jedenfalls der Satz, daß der Menschen¬
geist ein metaphysisches Bedürfniß hat, und daß dessen Abwesenheit ihn sofort
verthieren würde; eben so gewiß ist es auch, daß ein geiht-, gemüth- und
willenloses Universum (Strauß) dieses Bedürfniß auch nicht von ferne befriedigt,
eben so gewiß (wenigstens für den gesunden Menschenverstand) ist es ferner,
daß die kleinsten Schritte und die größten Zeiträume (Darwin) einer
zwecklosen Thätigkeit im Entferntesten nicht ausreichen, um die Wunder
der Schöpfung, d. h. zunächst ihre wunderbare Zweckmäßigkeit zu erklären.
Und wenn nun selbst stark mechanisch angehauchte Naturforscher (Dubois-
Neymond) ehrlich gestehen, daß sie mit all ihrer Mechanik die Thatsache des


Gienzbotcn IN. 1875. 47

genannten Naturforschern von einem großen Philosophen (Kant) ihrem Wesen
nach aufgestellt wurde, für den gesunden Menschenverstand etwas ungemein
Palpables hat, wenn sie auch vielleicht für das schlichte religiöse Gefühl
weniger tröstlich klingt. Vielleicht, sage ich; denn bei manchen ist das
Gegentheil der Fall; sie finden ein erhebendes Gefühl in dem Gedanken, daß
auch der Typus Mensch noch einer — wer weiß, wie großen? — Vervoll¬
kommnung fähig und das Ende der Linie nicht abzusehen sei. Dieses Gefühl
ist sublim, und die Rechnung richtig — wenn nur nicht für die große Mehr¬
zahl der Menschen die unendliche Zeitdauer ein so unerquicklicher Faktor
wäre, in dessen Maaßlosigkeit jener Trost sich ausnimmt, wie ein Regentropfen
in einer Sandwüste. Inwiefern auch diese Cardinalfrage zu einer beruhigenden
Lösung geführt werden könne, das zu zeigen gehört nicht mehr zu einer
Untersuchung über den Fortschritt. Wohl aber gehört es dazu, vom Stand¬
punkt desselben gesunden Menschenverstandes aus, den ich soeben beansprucht
habe, und den ich in gewissen allerhöchsten Fragen zum Trotz der Naturforscher
und Naturphilosophen noch immer als die oberste Instanz anerkenne, kräftig
zu protestiren, sobald eine neue Theorie mit einem Rückschritt, und wäre es
auch bloß ein wissenschaftlicher, verbunden ist. Dieß ist aber meiner innersten
Ueberzeugung zufolge bei den superlativischer Darwinianern der Fall, und
nicht nur bei ihnen; die ganze Richtung und Neigung der modernen Natur¬
wissenschaft scheint mir nach diesem Rückschritt hin zu gravitiren. Ich meine
damit das starre und ausschließliche Festhalten an der me es ani schen Natur¬
erklärung mit völligem Preisgeben jedes metaphysischen, constitutiven Prinzipes,
und jeder Teleologie. Hat sich doch gegen diese Vergötterung der Mechanik
sogar der Philosoph des „Unbewußten" erhoben, ein Denker, dem doch wahr¬
lich der Vorwurf nicht gemacht werden kann, daß er sich vor der unheim¬
lichen letzten Consequenz eine Prinzips scheue und mit allzuempfänglichem
Ohre dem Stammeln und Seufzen der Creatur nach Erlösung lausche! Wenn
keine Endursachen und Zweckbegriffe in der Natur sichtbar sind, dann kann der
Mensch sich allerdings auch nicht als Zweck der Schöpfung betrachten; letzteres
darf man zugeben, aber noch gewisser ist jedenfalls der Satz, daß der Menschen¬
geist ein metaphysisches Bedürfniß hat, und daß dessen Abwesenheit ihn sofort
verthieren würde; eben so gewiß ist es auch, daß ein geiht-, gemüth- und
willenloses Universum (Strauß) dieses Bedürfniß auch nicht von ferne befriedigt,
eben so gewiß (wenigstens für den gesunden Menschenverstand) ist es ferner,
daß die kleinsten Schritte und die größten Zeiträume (Darwin) einer
zwecklosen Thätigkeit im Entferntesten nicht ausreichen, um die Wunder
der Schöpfung, d. h. zunächst ihre wunderbare Zweckmäßigkeit zu erklären.
Und wenn nun selbst stark mechanisch angehauchte Naturforscher (Dubois-
Neymond) ehrlich gestehen, daß sie mit all ihrer Mechanik die Thatsache des


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[0377] genannten Naturforschern von einem großen Philosophen (Kant) ihrem Wesen nach aufgestellt wurde, für den gesunden Menschenverstand etwas ungemein Palpables hat, wenn sie auch vielleicht für das schlichte religiöse Gefühl weniger tröstlich klingt. Vielleicht, sage ich; denn bei manchen ist das Gegentheil der Fall; sie finden ein erhebendes Gefühl in dem Gedanken, daß auch der Typus Mensch noch einer — wer weiß, wie großen? — Vervoll¬ kommnung fähig und das Ende der Linie nicht abzusehen sei. Dieses Gefühl ist sublim, und die Rechnung richtig — wenn nur nicht für die große Mehr¬ zahl der Menschen die unendliche Zeitdauer ein so unerquicklicher Faktor wäre, in dessen Maaßlosigkeit jener Trost sich ausnimmt, wie ein Regentropfen in einer Sandwüste. Inwiefern auch diese Cardinalfrage zu einer beruhigenden Lösung geführt werden könne, das zu zeigen gehört nicht mehr zu einer Untersuchung über den Fortschritt. Wohl aber gehört es dazu, vom Stand¬ punkt desselben gesunden Menschenverstandes aus, den ich soeben beansprucht habe, und den ich in gewissen allerhöchsten Fragen zum Trotz der Naturforscher und Naturphilosophen noch immer als die oberste Instanz anerkenne, kräftig zu protestiren, sobald eine neue Theorie mit einem Rückschritt, und wäre es auch bloß ein wissenschaftlicher, verbunden ist. Dieß ist aber meiner innersten Ueberzeugung zufolge bei den superlativischer Darwinianern der Fall, und nicht nur bei ihnen; die ganze Richtung und Neigung der modernen Natur¬ wissenschaft scheint mir nach diesem Rückschritt hin zu gravitiren. Ich meine damit das starre und ausschließliche Festhalten an der me es ani schen Natur¬ erklärung mit völligem Preisgeben jedes metaphysischen, constitutiven Prinzipes, und jeder Teleologie. Hat sich doch gegen diese Vergötterung der Mechanik sogar der Philosoph des „Unbewußten" erhoben, ein Denker, dem doch wahr¬ lich der Vorwurf nicht gemacht werden kann, daß er sich vor der unheim¬ lichen letzten Consequenz eine Prinzips scheue und mit allzuempfänglichem Ohre dem Stammeln und Seufzen der Creatur nach Erlösung lausche! Wenn keine Endursachen und Zweckbegriffe in der Natur sichtbar sind, dann kann der Mensch sich allerdings auch nicht als Zweck der Schöpfung betrachten; letzteres darf man zugeben, aber noch gewisser ist jedenfalls der Satz, daß der Menschen¬ geist ein metaphysisches Bedürfniß hat, und daß dessen Abwesenheit ihn sofort verthieren würde; eben so gewiß ist es auch, daß ein geiht-, gemüth- und willenloses Universum (Strauß) dieses Bedürfniß auch nicht von ferne befriedigt, eben so gewiß (wenigstens für den gesunden Menschenverstand) ist es ferner, daß die kleinsten Schritte und die größten Zeiträume (Darwin) einer zwecklosen Thätigkeit im Entferntesten nicht ausreichen, um die Wunder der Schöpfung, d. h. zunächst ihre wunderbare Zweckmäßigkeit zu erklären. Und wenn nun selbst stark mechanisch angehauchte Naturforscher (Dubois- Neymond) ehrlich gestehen, daß sie mit all ihrer Mechanik die Thatsache des Gienzbotcn IN. 1875. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/377>, abgerufen am 26.06.2024.