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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Und wäre ihm, vielmehr der Menschheit, durch diesen Ausschluß nicht einer
der mächtigsten Factoren der Entwicklung genommen? Denn jener Kampf
ums Dasein liefert ja ein Entwicklungsmoment von der allerhöchsten Bedeut¬
samkeit, er bedingt und verwirklicht ja geradezu den Fortschritt in der Natur-
Physische und geistige Entwicklung lassen sich in dieser Frage nicht trennen,
sie fallen unter ein und dasselbe Gesetz und schreiten in derselben Linie vor
wärts; wenn es wahr ist, daß auch der Mensch, als Gattungstypus, eine
Reihe von niedrigeren Existenzformen successive durchmachen mußte, ehe er
an dem Punkte ankam, wo er anfing, Mensch zu sein, so verdankt er
jenem Gesetze auch seinen geistigen Gehalt; und wenn die Wissenschaft, wie
es heißt, nichts dagegen einzuwenden hat, daß es außer den Menschen
auch noch andere vernünftige, ja sogar höher stehende Wesen giebt --
eine Annahme, welche die neuere Astronomie sogar begünstigen soll, --
so dürfte auch auf diesem Planeten die Species Mensch zur Zeit noch
nicht am Endpunkt der Entwicklungsreihe angelangt sein. Es wäre aber
allerdings sehr wünschbar, daß wir uns bald möglichst wenigstens dem
Punkte näherten, wo das Menschenleben in Theorie und Praxis etwas höher ge¬
halten würde, als dieß jetzt noch der Fall ist, d. h. daß der "Kampf ums
Dasein" eine mildere Form für den Menschen annähme; nach dem Gesetz des
Fortschrittes ist dann zu hoffen, daß dieser Kampf, in immer schwächern Aus¬
läufern, endlich ganz verschwinde. Denn es giebt doch hoffentlich auch einen
moralischen Fortschritt, welcher es dem Menschen möglich macht, die Natur¬
nothwendigkeit in Freiheit zu verwandeln und ein Gesetz, welches auf den
unteren Stufen der Existenz den Fortschritt mächtig beförderte, nach und
nach durch das höhere Gesetz des Geistes zu überwinden. Daß dieß geschehen
kann, zeigt die ganze staatliche Einrichtung, deren Grundlage nichts anderes
ist als die Ueberwindung des Naturstandpunktes durch die Sitte. Der Zeit¬
punkt, wo das Schwert nicht mehr braucht zum Menschenmord geschmiedet und
zum selben Zweck das Feuerrohr gegossen zu werden, scheint allerdings noch
ferne gerückt, so lange man in Culturländern ein Bivat auf den "frischen
fröhlichen Krieg" ausbringen kann, aber er scheint es vielleicht doch nur: das
Fallen der Zollschranken, die Beschleunigung und Erleichterung alles Verkehrs,
und Austausches, auch desjenigen der Gedanken, werden nach und nach doch
die Idee einer großen Menschenfamilie verwirklichen helfen, in deren Schooße
allerdings kein Platz mehr ist für die starren, streng abgeschlossenen und selbst¬
gefällig sich spreizenden Nationalitäten. Es wird -- und das ist eben wieder
der Kaufpreis -- manches Schöne, an dem unser Herz jetzt hängt, dahinfallen,
oder eine ganz andere Form annehmen müssen; vor dem colossalen aber zer¬
fließenden Bilde des Weltbürgert h ums werden die wärmeren Farben
des trauten, "Heimathbildes", des engeren Vaterlandes wenn nicht verblassen,


Und wäre ihm, vielmehr der Menschheit, durch diesen Ausschluß nicht einer
der mächtigsten Factoren der Entwicklung genommen? Denn jener Kampf
ums Dasein liefert ja ein Entwicklungsmoment von der allerhöchsten Bedeut¬
samkeit, er bedingt und verwirklicht ja geradezu den Fortschritt in der Natur-
Physische und geistige Entwicklung lassen sich in dieser Frage nicht trennen,
sie fallen unter ein und dasselbe Gesetz und schreiten in derselben Linie vor
wärts; wenn es wahr ist, daß auch der Mensch, als Gattungstypus, eine
Reihe von niedrigeren Existenzformen successive durchmachen mußte, ehe er
an dem Punkte ankam, wo er anfing, Mensch zu sein, so verdankt er
jenem Gesetze auch seinen geistigen Gehalt; und wenn die Wissenschaft, wie
es heißt, nichts dagegen einzuwenden hat, daß es außer den Menschen
auch noch andere vernünftige, ja sogar höher stehende Wesen giebt —
eine Annahme, welche die neuere Astronomie sogar begünstigen soll, —
so dürfte auch auf diesem Planeten die Species Mensch zur Zeit noch
nicht am Endpunkt der Entwicklungsreihe angelangt sein. Es wäre aber
allerdings sehr wünschbar, daß wir uns bald möglichst wenigstens dem
Punkte näherten, wo das Menschenleben in Theorie und Praxis etwas höher ge¬
halten würde, als dieß jetzt noch der Fall ist, d. h. daß der „Kampf ums
Dasein" eine mildere Form für den Menschen annähme; nach dem Gesetz des
Fortschrittes ist dann zu hoffen, daß dieser Kampf, in immer schwächern Aus¬
läufern, endlich ganz verschwinde. Denn es giebt doch hoffentlich auch einen
moralischen Fortschritt, welcher es dem Menschen möglich macht, die Natur¬
nothwendigkeit in Freiheit zu verwandeln und ein Gesetz, welches auf den
unteren Stufen der Existenz den Fortschritt mächtig beförderte, nach und
nach durch das höhere Gesetz des Geistes zu überwinden. Daß dieß geschehen
kann, zeigt die ganze staatliche Einrichtung, deren Grundlage nichts anderes
ist als die Ueberwindung des Naturstandpunktes durch die Sitte. Der Zeit¬
punkt, wo das Schwert nicht mehr braucht zum Menschenmord geschmiedet und
zum selben Zweck das Feuerrohr gegossen zu werden, scheint allerdings noch
ferne gerückt, so lange man in Culturländern ein Bivat auf den „frischen
fröhlichen Krieg" ausbringen kann, aber er scheint es vielleicht doch nur: das
Fallen der Zollschranken, die Beschleunigung und Erleichterung alles Verkehrs,
und Austausches, auch desjenigen der Gedanken, werden nach und nach doch
die Idee einer großen Menschenfamilie verwirklichen helfen, in deren Schooße
allerdings kein Platz mehr ist für die starren, streng abgeschlossenen und selbst¬
gefällig sich spreizenden Nationalitäten. Es wird — und das ist eben wieder
der Kaufpreis — manches Schöne, an dem unser Herz jetzt hängt, dahinfallen,
oder eine ganz andere Form annehmen müssen; vor dem colossalen aber zer¬
fließenden Bilde des Weltbürgert h ums werden die wärmeren Farben
des trauten, „Heimathbildes", des engeren Vaterlandes wenn nicht verblassen,


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[0372] Und wäre ihm, vielmehr der Menschheit, durch diesen Ausschluß nicht einer der mächtigsten Factoren der Entwicklung genommen? Denn jener Kampf ums Dasein liefert ja ein Entwicklungsmoment von der allerhöchsten Bedeut¬ samkeit, er bedingt und verwirklicht ja geradezu den Fortschritt in der Natur- Physische und geistige Entwicklung lassen sich in dieser Frage nicht trennen, sie fallen unter ein und dasselbe Gesetz und schreiten in derselben Linie vor wärts; wenn es wahr ist, daß auch der Mensch, als Gattungstypus, eine Reihe von niedrigeren Existenzformen successive durchmachen mußte, ehe er an dem Punkte ankam, wo er anfing, Mensch zu sein, so verdankt er jenem Gesetze auch seinen geistigen Gehalt; und wenn die Wissenschaft, wie es heißt, nichts dagegen einzuwenden hat, daß es außer den Menschen auch noch andere vernünftige, ja sogar höher stehende Wesen giebt — eine Annahme, welche die neuere Astronomie sogar begünstigen soll, — so dürfte auch auf diesem Planeten die Species Mensch zur Zeit noch nicht am Endpunkt der Entwicklungsreihe angelangt sein. Es wäre aber allerdings sehr wünschbar, daß wir uns bald möglichst wenigstens dem Punkte näherten, wo das Menschenleben in Theorie und Praxis etwas höher ge¬ halten würde, als dieß jetzt noch der Fall ist, d. h. daß der „Kampf ums Dasein" eine mildere Form für den Menschen annähme; nach dem Gesetz des Fortschrittes ist dann zu hoffen, daß dieser Kampf, in immer schwächern Aus¬ läufern, endlich ganz verschwinde. Denn es giebt doch hoffentlich auch einen moralischen Fortschritt, welcher es dem Menschen möglich macht, die Natur¬ nothwendigkeit in Freiheit zu verwandeln und ein Gesetz, welches auf den unteren Stufen der Existenz den Fortschritt mächtig beförderte, nach und nach durch das höhere Gesetz des Geistes zu überwinden. Daß dieß geschehen kann, zeigt die ganze staatliche Einrichtung, deren Grundlage nichts anderes ist als die Ueberwindung des Naturstandpunktes durch die Sitte. Der Zeit¬ punkt, wo das Schwert nicht mehr braucht zum Menschenmord geschmiedet und zum selben Zweck das Feuerrohr gegossen zu werden, scheint allerdings noch ferne gerückt, so lange man in Culturländern ein Bivat auf den „frischen fröhlichen Krieg" ausbringen kann, aber er scheint es vielleicht doch nur: das Fallen der Zollschranken, die Beschleunigung und Erleichterung alles Verkehrs, und Austausches, auch desjenigen der Gedanken, werden nach und nach doch die Idee einer großen Menschenfamilie verwirklichen helfen, in deren Schooße allerdings kein Platz mehr ist für die starren, streng abgeschlossenen und selbst¬ gefällig sich spreizenden Nationalitäten. Es wird — und das ist eben wieder der Kaufpreis — manches Schöne, an dem unser Herz jetzt hängt, dahinfallen, oder eine ganz andere Form annehmen müssen; vor dem colossalen aber zer¬ fließenden Bilde des Weltbürgert h ums werden die wärmeren Farben des trauten, „Heimathbildes", des engeren Vaterlandes wenn nicht verblassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/372>, abgerufen am 26.06.2024.