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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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auf einmal Alles Unrecht, weil in einem Falle eine Unbill verübt wird?
Weiß die Frankfurter Zeitung nicht, daß es deutsch und speciell preußisch ge¬
dacht ist, sich ohne Murren zu fügen und sich durch eigene traurige Erfah¬
rungen die Freude an den großen Aufgaben, welche die preußische Politik trotz
alledem verfolgt, nicht verderben lassen?

Wie oft kommt es vor (um eine recht triviale Wendung zu gebrauchen!),
daß der Einzelne ungerecht leiden muß, und zwar, wie hier, in Folge einer
harten Ausübung eines zum Mindesten mangelhaften Gesetzes, aber darüber
an dem Berufe Preußens, daß es den "Culturkawpf" führe, zu zweifeln --
wo bleibt da, wir wiederholen es, die Logik? Gerade für die Frankfurter
Herren lag es nahe, sich ein Beispiel vorzuhalten, an welches sie freilich nicht
gern erinnert sein wollen. Als nach seinem ruhmreichen Siegeszug Vogel
von Falkenstein Frankfurt verlassen mußte, um den Generaladjutanten Herrn
von Manteuffel das Feld zu räumen, folgte er, ohne zu murren, und unter¬
zeichnete mit vollem treuem Herzen seine Proclamation -- wie noch manche
spätere -- mit dem Ausruf: "Es lebe der König!" Er ließ sich von dem
Gefühl, daß ihm wehe gethan sei, nicht zu ungerechter Verkennung hinreißen
und that nach wie vor und in späteren Jahren erst recht seine Pflicht jedes¬
mal an dem Platze, aus den er gestellt wurde.

Freilich, Frankfurt ist nicht Preußen. In der That wird Niemand (bei
aller Hochachtung!) die Stadt oder den früheren "Staat" Frankfurt für den
Boden halten, auf welchem so leicht solche Gesinnung erwächst und Charaktere
in der Art eines Aristides erstehen. Aber abgesehen von aller Gesinnung:
der scharfe nüchterne praktische Verstand, der in dem specifischen Frankfurter
Blatte vertreten ist. sollte doch von einer solchen Vermengung einer an sich
gerechtfertigten Detailfrage mit allgemeinen Gesichtspunkten sicher sein und
das Publikum mit so entsetzlichen Schlußfolgerungen verschonen, wonach der
Paragraph 19 oder 20 des Preßgesetzes und dessen milde oder nichtmilde,
gerechtfertigte oder nicht gerechtfertigte Anwendung entscheidet über den Beruf
Preußens, den "Culturkampf" zu führen!

Was uns betrifft, so werden wir nicht unterlassen, den Fall der Frank¬
furter Zeitung als einen unbilligen, der die ganze Presse trifft, gebührender
Maßen zu bezeichnen, andererseits aber uns gegen hebe Verquickung desselben
mit dem nicht blos sogenannten, sondern wirklichen Culturkampf, über¬
haupt gegen das Hereinziehen fremder Beziehungen verwahren. Und wir
werden uns in dieser unserer Auffassung nicht irre machen lassen, selbst wenn
nicht blos drei, sondern noch mehr Redacteure der Frankfurter Zeitung zeit¬
weilig eingesperrt werden sollten, und wenn auch der Herausgeber der Frank¬
furter Zeitung und Vertreter Frankfurts im Reichstag unter ihnen wäre.


auf einmal Alles Unrecht, weil in einem Falle eine Unbill verübt wird?
Weiß die Frankfurter Zeitung nicht, daß es deutsch und speciell preußisch ge¬
dacht ist, sich ohne Murren zu fügen und sich durch eigene traurige Erfah¬
rungen die Freude an den großen Aufgaben, welche die preußische Politik trotz
alledem verfolgt, nicht verderben lassen?

Wie oft kommt es vor (um eine recht triviale Wendung zu gebrauchen!),
daß der Einzelne ungerecht leiden muß, und zwar, wie hier, in Folge einer
harten Ausübung eines zum Mindesten mangelhaften Gesetzes, aber darüber
an dem Berufe Preußens, daß es den „Culturkawpf" führe, zu zweifeln —
wo bleibt da, wir wiederholen es, die Logik? Gerade für die Frankfurter
Herren lag es nahe, sich ein Beispiel vorzuhalten, an welches sie freilich nicht
gern erinnert sein wollen. Als nach seinem ruhmreichen Siegeszug Vogel
von Falkenstein Frankfurt verlassen mußte, um den Generaladjutanten Herrn
von Manteuffel das Feld zu räumen, folgte er, ohne zu murren, und unter¬
zeichnete mit vollem treuem Herzen seine Proclamation — wie noch manche
spätere — mit dem Ausruf: „Es lebe der König!" Er ließ sich von dem
Gefühl, daß ihm wehe gethan sei, nicht zu ungerechter Verkennung hinreißen
und that nach wie vor und in späteren Jahren erst recht seine Pflicht jedes¬
mal an dem Platze, aus den er gestellt wurde.

Freilich, Frankfurt ist nicht Preußen. In der That wird Niemand (bei
aller Hochachtung!) die Stadt oder den früheren „Staat" Frankfurt für den
Boden halten, auf welchem so leicht solche Gesinnung erwächst und Charaktere
in der Art eines Aristides erstehen. Aber abgesehen von aller Gesinnung:
der scharfe nüchterne praktische Verstand, der in dem specifischen Frankfurter
Blatte vertreten ist. sollte doch von einer solchen Vermengung einer an sich
gerechtfertigten Detailfrage mit allgemeinen Gesichtspunkten sicher sein und
das Publikum mit so entsetzlichen Schlußfolgerungen verschonen, wonach der
Paragraph 19 oder 20 des Preßgesetzes und dessen milde oder nichtmilde,
gerechtfertigte oder nicht gerechtfertigte Anwendung entscheidet über den Beruf
Preußens, den „Culturkampf" zu führen!

Was uns betrifft, so werden wir nicht unterlassen, den Fall der Frank¬
furter Zeitung als einen unbilligen, der die ganze Presse trifft, gebührender
Maßen zu bezeichnen, andererseits aber uns gegen hebe Verquickung desselben
mit dem nicht blos sogenannten, sondern wirklichen Culturkampf, über¬
haupt gegen das Hereinziehen fremder Beziehungen verwahren. Und wir
werden uns in dieser unserer Auffassung nicht irre machen lassen, selbst wenn
nicht blos drei, sondern noch mehr Redacteure der Frankfurter Zeitung zeit¬
weilig eingesperrt werden sollten, und wenn auch der Herausgeber der Frank¬
furter Zeitung und Vertreter Frankfurts im Reichstag unter ihnen wäre.


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[0366] auf einmal Alles Unrecht, weil in einem Falle eine Unbill verübt wird? Weiß die Frankfurter Zeitung nicht, daß es deutsch und speciell preußisch ge¬ dacht ist, sich ohne Murren zu fügen und sich durch eigene traurige Erfah¬ rungen die Freude an den großen Aufgaben, welche die preußische Politik trotz alledem verfolgt, nicht verderben lassen? Wie oft kommt es vor (um eine recht triviale Wendung zu gebrauchen!), daß der Einzelne ungerecht leiden muß, und zwar, wie hier, in Folge einer harten Ausübung eines zum Mindesten mangelhaften Gesetzes, aber darüber an dem Berufe Preußens, daß es den „Culturkawpf" führe, zu zweifeln — wo bleibt da, wir wiederholen es, die Logik? Gerade für die Frankfurter Herren lag es nahe, sich ein Beispiel vorzuhalten, an welches sie freilich nicht gern erinnert sein wollen. Als nach seinem ruhmreichen Siegeszug Vogel von Falkenstein Frankfurt verlassen mußte, um den Generaladjutanten Herrn von Manteuffel das Feld zu räumen, folgte er, ohne zu murren, und unter¬ zeichnete mit vollem treuem Herzen seine Proclamation — wie noch manche spätere — mit dem Ausruf: „Es lebe der König!" Er ließ sich von dem Gefühl, daß ihm wehe gethan sei, nicht zu ungerechter Verkennung hinreißen und that nach wie vor und in späteren Jahren erst recht seine Pflicht jedes¬ mal an dem Platze, aus den er gestellt wurde. Freilich, Frankfurt ist nicht Preußen. In der That wird Niemand (bei aller Hochachtung!) die Stadt oder den früheren „Staat" Frankfurt für den Boden halten, auf welchem so leicht solche Gesinnung erwächst und Charaktere in der Art eines Aristides erstehen. Aber abgesehen von aller Gesinnung: der scharfe nüchterne praktische Verstand, der in dem specifischen Frankfurter Blatte vertreten ist. sollte doch von einer solchen Vermengung einer an sich gerechtfertigten Detailfrage mit allgemeinen Gesichtspunkten sicher sein und das Publikum mit so entsetzlichen Schlußfolgerungen verschonen, wonach der Paragraph 19 oder 20 des Preßgesetzes und dessen milde oder nichtmilde, gerechtfertigte oder nicht gerechtfertigte Anwendung entscheidet über den Beruf Preußens, den „Culturkampf" zu führen! Was uns betrifft, so werden wir nicht unterlassen, den Fall der Frank¬ furter Zeitung als einen unbilligen, der die ganze Presse trifft, gebührender Maßen zu bezeichnen, andererseits aber uns gegen hebe Verquickung desselben mit dem nicht blos sogenannten, sondern wirklichen Culturkampf, über¬ haupt gegen das Hereinziehen fremder Beziehungen verwahren. Und wir werden uns in dieser unserer Auffassung nicht irre machen lassen, selbst wenn nicht blos drei, sondern noch mehr Redacteure der Frankfurter Zeitung zeit¬ weilig eingesperrt werden sollten, und wenn auch der Herausgeber der Frank¬ furter Zeitung und Vertreter Frankfurts im Reichstag unter ihnen wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/366>, abgerufen am 26.06.2024.