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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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-- Dank dem Beust'schen Regiment".' -- so reichen Lande dürfte eine so dreiste
Mystifikation der öffentlichen Meinung, wie sie in diesem Programm versucht
wird, selten ihres Gleichen gehabt haben. Und es steht zu hoffen, daß der
gesunde deutsche Sinn der Bevölkerung des Königreichs, der im letzten Jahr¬
zehnt so erfreulich gewachsen ist, keinen Abgeordneten in die zweite Kammer
wählt, der sich zum Conservativen Verein, d. h. zu Männern rechnet, die in
der ganzen großen Zeit nichts gelernt und nichts vergessen haben, die als
einzig wahres Wort in ihrem ganzen Programm verkünden: "Daß sie nicht
scheuen, zum Alten zurückzukehren", d. h. unser Sachsen allein im deutschen
Lande zum Tummelplatz einer engherzigen junkerlichen Reaction zu machen.

Die Vollständigkeit der Darstellung würde erfordern, die Parteien nun¬
mehr ins Auge zu fassen, die der Conservativen Partei bei den Landtagswahlen
entgegentreten, und zu untersuchen, wie es gekommen ist, daß die Liberalen
nicht in geschlossener Phalanx an der Wahlurne erscheinen, sondern sich in
manchem Kreise als Gegner, mit nationalliberalen und fortschrittlichen Wahl-
candidaten gegenübertreten. Aber im Interesse des Friedens in den Wahl¬
kreisen, wo Comprvmißcandidalen von beiden liberalen Parteien angenommen
sind, sei diese Betrachtung verschoben. Vielleicht steigt auch Angesichts des
Treibens der Conservativen Partei einige Nöthe der Scham in die Wangen
derjenigen Fortschrittsmänner, die bisher sich zu Bundesgenossen der reactio-
nären und antinativnalen Intriguen der sächsischen Junker gegen die natio¬
nalen Abgeordneten machten, und hindert die Erneuerung eines gleich kläg¬
lichen Verhaltens. Aber soviel muß doch heute noch gesagt sein: hier, an der
südwestlichsten Grenze der deutschen Marken, wo man täglich herzerhebende
Beweise erhält von dem reisen politischen Leben Badens, wo man beobachten
kann, wie in dem Lande, das bis lange nach den Revolutionen von 1848/49
weit tiefer als jemals das Königreich Sachsen zerfressen war von wildem
Hader der Parteien, wo 1866 noch die nationale Partei in der Minderheit
war, heute Fürst und Regierung und Volk, die mehr radicalen und mehr
nationalen Liberalen sich einträchriglich die Hand reichen zu dem guten Werke,
dem gemeinsamen schwarzen Feinde des deutschen Reiches den Garaus zu
machen und in Pflicht und Strenge die Arbeit für den deutschen Staat zu
thun: da kann man sich oftmals des Gefühls der Beschämung nicht erwehren,
wenn man von der Heimath hört. Nörgeleien, wie sie die fortschrittlichen
Führer und Organe, mitten in den Vorbereitungen zum Wahlkampf gegen
den Reichsverein und seine Candidaten erhoben, wären unerklärlich, wenn die
traurige Wahrheit nicht wahr wäre, daß hinter all den Phrasen und An-
maßlichkeiten der Dresdner Fortschrittspartei lediglich die Ansprüche und
Interessen einiger weniger und noch dazu sehr unbedeutender Persönlichkeiten
stehen. Auch das badische Land besitzt noch heute seine parlamentarischen


— Dank dem Beust'schen Regiment«.' — so reichen Lande dürfte eine so dreiste
Mystifikation der öffentlichen Meinung, wie sie in diesem Programm versucht
wird, selten ihres Gleichen gehabt haben. Und es steht zu hoffen, daß der
gesunde deutsche Sinn der Bevölkerung des Königreichs, der im letzten Jahr¬
zehnt so erfreulich gewachsen ist, keinen Abgeordneten in die zweite Kammer
wählt, der sich zum Conservativen Verein, d. h. zu Männern rechnet, die in
der ganzen großen Zeit nichts gelernt und nichts vergessen haben, die als
einzig wahres Wort in ihrem ganzen Programm verkünden: „Daß sie nicht
scheuen, zum Alten zurückzukehren", d. h. unser Sachsen allein im deutschen
Lande zum Tummelplatz einer engherzigen junkerlichen Reaction zu machen.

Die Vollständigkeit der Darstellung würde erfordern, die Parteien nun¬
mehr ins Auge zu fassen, die der Conservativen Partei bei den Landtagswahlen
entgegentreten, und zu untersuchen, wie es gekommen ist, daß die Liberalen
nicht in geschlossener Phalanx an der Wahlurne erscheinen, sondern sich in
manchem Kreise als Gegner, mit nationalliberalen und fortschrittlichen Wahl-
candidaten gegenübertreten. Aber im Interesse des Friedens in den Wahl¬
kreisen, wo Comprvmißcandidalen von beiden liberalen Parteien angenommen
sind, sei diese Betrachtung verschoben. Vielleicht steigt auch Angesichts des
Treibens der Conservativen Partei einige Nöthe der Scham in die Wangen
derjenigen Fortschrittsmänner, die bisher sich zu Bundesgenossen der reactio-
nären und antinativnalen Intriguen der sächsischen Junker gegen die natio¬
nalen Abgeordneten machten, und hindert die Erneuerung eines gleich kläg¬
lichen Verhaltens. Aber soviel muß doch heute noch gesagt sein: hier, an der
südwestlichsten Grenze der deutschen Marken, wo man täglich herzerhebende
Beweise erhält von dem reisen politischen Leben Badens, wo man beobachten
kann, wie in dem Lande, das bis lange nach den Revolutionen von 1848/49
weit tiefer als jemals das Königreich Sachsen zerfressen war von wildem
Hader der Parteien, wo 1866 noch die nationale Partei in der Minderheit
war, heute Fürst und Regierung und Volk, die mehr radicalen und mehr
nationalen Liberalen sich einträchriglich die Hand reichen zu dem guten Werke,
dem gemeinsamen schwarzen Feinde des deutschen Reiches den Garaus zu
machen und in Pflicht und Strenge die Arbeit für den deutschen Staat zu
thun: da kann man sich oftmals des Gefühls der Beschämung nicht erwehren,
wenn man von der Heimath hört. Nörgeleien, wie sie die fortschrittlichen
Führer und Organe, mitten in den Vorbereitungen zum Wahlkampf gegen
den Reichsverein und seine Candidaten erhoben, wären unerklärlich, wenn die
traurige Wahrheit nicht wahr wäre, daß hinter all den Phrasen und An-
maßlichkeiten der Dresdner Fortschrittspartei lediglich die Ansprüche und
Interessen einiger weniger und noch dazu sehr unbedeutender Persönlichkeiten
stehen. Auch das badische Land besitzt noch heute seine parlamentarischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/363>, abgerufen am 26.06.2024.