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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Proben von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Das sind die Männer, welche
bei ihren deutschen Mitbürgern ein Wanken der ethischen Grundlagen be¬
merken. Das sind die Mittel, mit denen sie der göttlichen Weltordnung
wieder aufzuhelfen gedenken.

Unsere sächsischen Leser mögen sich vielleicht wundern, daß wir so lange
bei dem Juniprogramm des "Conservativen Vereins" verweilten. Aber es ist
bis jetzt immer noch die einzige offizielle Erklärung der conservativen Partei
im Königreiche Sachsen. Das "Organ" der Partei, die "Neue Reichszeitung"
in Dresden, hat inzwischen die ergötzlichsten Commentare zu dem Programm
gebracht, welches alle Extreme bekämpfen will "in Treue zum Reich und der
demselben gegebenen Verfassung." Sie hat Artikel gebracht für die Karlisten
in Spanien, für die Ultramontanen in Baiern, gegen den Minister Falk
u. s. w. Aber sie hat den Nachweis noch nicht erbracht, daß sie wirklich das
Organ des Conservativen Vereins ist. Auf der neuesten conservativen Ver¬
sammlung in Chemnitz ist zwar "einstimmig beschlossen worden, enge Fühlung
an die Reichszeitung und die von derselben vertretene sächsich-konservative
Partei zu nehmen und zu wahren". Und der Vorstand des Vereins hat sich
bisher von keiner der Thorheiten und Neichsfeindlichkeiten seines "Organs"
öffentlich losgesagt. Aber trotz alledem kann die Reichszeitung bis jetzt nach
sächsischen Gewohnheiten keineswegs als amtliches Organ des Conservativen Ver¬
eins gelten. Denn wenn sich die sächsische Regierung eine königliche Leipziger
Zeitung hält, die von königlich sächsischen Beamten redigirt. überwacht, ge¬
schrieben und inspicirt wird, ohne daß die Regierung für die politischen Ar¬
tikel und Meinungen des Blattes sich irgendwie verantwortlich hält -- warum
sollte dem Conservativen Verein der Luxus einer ähnlichen Unabhängigkeit
von den Leistungen seines Organs zu versagen sein?

Eine höchst eigenthümliche Colorirung hat die Reichstreue des Conserva¬
tiven Vereins und seines Programms freilich aus der Versammlung in Chemnitz
aus dem Munde der Herren v. Erdmannsdorff, v. Friesen u. s. w. erfahren. Eine
Reichstreue, die mit der offenen Erklärung beginnt, daß die Herren in Chem¬
nitz den Reichskanzler Fürsten Bismarck ihrer Feindschaft versichern, darf sich
getrost neben die Reichstreue der Ultramontanen und Socialdemokraten stellen.
Die Heißsporne, die ihre geheimen Gedanken auf diese ungeschickte Weise her¬
auspolterten, sind nicht etwa aus der Versammlung eliminirt. sondern von
ihren Zuhörern mit Beifall begleitet worden. Gleichwohl wird der Verein
als solcher für diese Aeußerungen einzelner Mitglieder sich bei guter Gelegen¬
heit als nicht verantwortlich erklären. Darum verwiesen wir auf das offizielle
Programm des Vereins und versuchten den Nachweis, daß es durchdrungen
sei von der tiefsten UnWahrhaftigkeit und Heuchelei. Auch in unserm an
doppelzüngiger Schönrednerei und charakterloser Haltung politischer Männer


Proben von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Das sind die Männer, welche
bei ihren deutschen Mitbürgern ein Wanken der ethischen Grundlagen be¬
merken. Das sind die Mittel, mit denen sie der göttlichen Weltordnung
wieder aufzuhelfen gedenken.

Unsere sächsischen Leser mögen sich vielleicht wundern, daß wir so lange
bei dem Juniprogramm des „Conservativen Vereins" verweilten. Aber es ist
bis jetzt immer noch die einzige offizielle Erklärung der conservativen Partei
im Königreiche Sachsen. Das „Organ" der Partei, die „Neue Reichszeitung"
in Dresden, hat inzwischen die ergötzlichsten Commentare zu dem Programm
gebracht, welches alle Extreme bekämpfen will „in Treue zum Reich und der
demselben gegebenen Verfassung." Sie hat Artikel gebracht für die Karlisten
in Spanien, für die Ultramontanen in Baiern, gegen den Minister Falk
u. s. w. Aber sie hat den Nachweis noch nicht erbracht, daß sie wirklich das
Organ des Conservativen Vereins ist. Auf der neuesten conservativen Ver¬
sammlung in Chemnitz ist zwar „einstimmig beschlossen worden, enge Fühlung
an die Reichszeitung und die von derselben vertretene sächsich-konservative
Partei zu nehmen und zu wahren". Und der Vorstand des Vereins hat sich
bisher von keiner der Thorheiten und Neichsfeindlichkeiten seines „Organs"
öffentlich losgesagt. Aber trotz alledem kann die Reichszeitung bis jetzt nach
sächsischen Gewohnheiten keineswegs als amtliches Organ des Conservativen Ver¬
eins gelten. Denn wenn sich die sächsische Regierung eine königliche Leipziger
Zeitung hält, die von königlich sächsischen Beamten redigirt. überwacht, ge¬
schrieben und inspicirt wird, ohne daß die Regierung für die politischen Ar¬
tikel und Meinungen des Blattes sich irgendwie verantwortlich hält — warum
sollte dem Conservativen Verein der Luxus einer ähnlichen Unabhängigkeit
von den Leistungen seines Organs zu versagen sein?

Eine höchst eigenthümliche Colorirung hat die Reichstreue des Conserva¬
tiven Vereins und seines Programms freilich aus der Versammlung in Chemnitz
aus dem Munde der Herren v. Erdmannsdorff, v. Friesen u. s. w. erfahren. Eine
Reichstreue, die mit der offenen Erklärung beginnt, daß die Herren in Chem¬
nitz den Reichskanzler Fürsten Bismarck ihrer Feindschaft versichern, darf sich
getrost neben die Reichstreue der Ultramontanen und Socialdemokraten stellen.
Die Heißsporne, die ihre geheimen Gedanken auf diese ungeschickte Weise her¬
auspolterten, sind nicht etwa aus der Versammlung eliminirt. sondern von
ihren Zuhörern mit Beifall begleitet worden. Gleichwohl wird der Verein
als solcher für diese Aeußerungen einzelner Mitglieder sich bei guter Gelegen¬
heit als nicht verantwortlich erklären. Darum verwiesen wir auf das offizielle
Programm des Vereins und versuchten den Nachweis, daß es durchdrungen
sei von der tiefsten UnWahrhaftigkeit und Heuchelei. Auch in unserm an
doppelzüngiger Schönrednerei und charakterloser Haltung politischer Männer


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[0362] Proben von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Das sind die Männer, welche bei ihren deutschen Mitbürgern ein Wanken der ethischen Grundlagen be¬ merken. Das sind die Mittel, mit denen sie der göttlichen Weltordnung wieder aufzuhelfen gedenken. Unsere sächsischen Leser mögen sich vielleicht wundern, daß wir so lange bei dem Juniprogramm des „Conservativen Vereins" verweilten. Aber es ist bis jetzt immer noch die einzige offizielle Erklärung der conservativen Partei im Königreiche Sachsen. Das „Organ" der Partei, die „Neue Reichszeitung" in Dresden, hat inzwischen die ergötzlichsten Commentare zu dem Programm gebracht, welches alle Extreme bekämpfen will „in Treue zum Reich und der demselben gegebenen Verfassung." Sie hat Artikel gebracht für die Karlisten in Spanien, für die Ultramontanen in Baiern, gegen den Minister Falk u. s. w. Aber sie hat den Nachweis noch nicht erbracht, daß sie wirklich das Organ des Conservativen Vereins ist. Auf der neuesten conservativen Ver¬ sammlung in Chemnitz ist zwar „einstimmig beschlossen worden, enge Fühlung an die Reichszeitung und die von derselben vertretene sächsich-konservative Partei zu nehmen und zu wahren". Und der Vorstand des Vereins hat sich bisher von keiner der Thorheiten und Neichsfeindlichkeiten seines „Organs" öffentlich losgesagt. Aber trotz alledem kann die Reichszeitung bis jetzt nach sächsischen Gewohnheiten keineswegs als amtliches Organ des Conservativen Ver¬ eins gelten. Denn wenn sich die sächsische Regierung eine königliche Leipziger Zeitung hält, die von königlich sächsischen Beamten redigirt. überwacht, ge¬ schrieben und inspicirt wird, ohne daß die Regierung für die politischen Ar¬ tikel und Meinungen des Blattes sich irgendwie verantwortlich hält — warum sollte dem Conservativen Verein der Luxus einer ähnlichen Unabhängigkeit von den Leistungen seines Organs zu versagen sein? Eine höchst eigenthümliche Colorirung hat die Reichstreue des Conserva¬ tiven Vereins und seines Programms freilich aus der Versammlung in Chemnitz aus dem Munde der Herren v. Erdmannsdorff, v. Friesen u. s. w. erfahren. Eine Reichstreue, die mit der offenen Erklärung beginnt, daß die Herren in Chem¬ nitz den Reichskanzler Fürsten Bismarck ihrer Feindschaft versichern, darf sich getrost neben die Reichstreue der Ultramontanen und Socialdemokraten stellen. Die Heißsporne, die ihre geheimen Gedanken auf diese ungeschickte Weise her¬ auspolterten, sind nicht etwa aus der Versammlung eliminirt. sondern von ihren Zuhörern mit Beifall begleitet worden. Gleichwohl wird der Verein als solcher für diese Aeußerungen einzelner Mitglieder sich bei guter Gelegen¬ heit als nicht verantwortlich erklären. Darum verwiesen wir auf das offizielle Programm des Vereins und versuchten den Nachweis, daß es durchdrungen sei von der tiefsten UnWahrhaftigkeit und Heuchelei. Auch in unserm an doppelzüngiger Schönrednerei und charakterloser Haltung politischer Männer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/362>, abgerufen am 26.06.2024.