Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wenden: die sechs Bürgerlichen im Vorstand des konservativen Vereins würden
die Adligen schon etwas weniger extrem machen. Allein dafür ist gar keine
Hoffnung vorhanden. Einzig der Bürgermeister Heinrich von Borna und der
Hofrath Ackermann in Dresden haben unter diesen sechs Herren mitunter das
Bedürfniß, etwas liberal zu schillern. Aber auch sie haben sich "unter Beiseite¬
setzung aller untergeordneten Meinungsschattirungen" wie die Uebrigen dem
Programm des Vereines angeschlossen, und wir werden gleich sehen, wie weit
dieses Opfer des Intellekts bei Ackermann geht. Jedenfalls genügt die ober¬
flächlichste Bekanntschaft mit der politischen Vergangenheit und dem Tempera¬
ment des Kammerherren von Zehner und Genossen, um sie durchaus erhaben
zu halten über den Verdacht, daß sie unter der "Beiseitesetzung aller unterge.
ordneter Meinungsschattirungen" etwa die Preisgebung jener junkerlichen und
Particularistischen Velleitäten verstehen sollten, für die sie ihr Leben lang mit
äußerster Energie gekämpft haben. Statt der Bekämpfung "aller extremen
Richtungen" haben wir demnach vom sog. "Conservativen Verein" lediglich die
Agitation für junkerliche Interessen und eine von der Weltgeschichte längst
verurtheilte politische Anschauung zu erwarten. Hierzu wird sich hoffentlich kein
unabhängiger, vernünftig denkender sächsischer Wähler mißbrauchen lassen.

Um sich ein höheres Relief zu geben, stellt der Vorstand des Conservativen
Vereins weiter die Behauptung auf, "er betrachte sich als ein Glied der
großen conservativen Partei im deutschen Reiche". Wenn es hieße, daß der
Vorstand ein Glied dieser "großen conservativen Partei" sei, würden wir
sagen müssen: er lügt. So aber können wir uns milder dahin ausdrücken:
er sagt eine bewußte Unwahrheit. Denn man kann sich doch nur dann als
Glied eines Körpers betrachten, wenn dieser Körper existirt. Die Herren vom
Vorstand wissen aber sehr genau, daß "eine große conservative Partei" im
deutschen Reiche nirgends existirt. In Preußen beanspruchen den Namen "con-
servativ" drei Parteien, die einander durchaus fremd sind: die junkerliche Oppo-
sition der Kreuzzeitungspartei, die Freiconservativen und die eben erst in der
Bildung begriffene Vereinigung der Männer von alteonservativem Schrot
und Korn, welche in den schweren Kämpfen der Zeit sich um König und
Kanzler schaaren wollen. Warum sagen uns die Herren von Zehner und
Genossen nicht, welcher "großen conservativen Partei" in Preußen ihre Herzen
am verwandtesten schlagen? Etwa der Kreuzzeitungspartei? Denn die Frei-
und Neuconservativen Preußens würden einen Bruderbund mit dem conser¬
vativen sächsischem Verein bei einem solchen Programm jedenfalls weit von sich
weisen. Herr von Zehner hat ja in dieser Hinsicht aus der Zeit seines
Debüts unter den Freiconservativen im norddeutschen Reichstag persönliche Er¬
fahrungen gesammelt. In Baiern, Württemberg. Baden, Hessen giebt es
überhaupt keine conservative Partei. In den thüringischen Staaten und


wenden: die sechs Bürgerlichen im Vorstand des konservativen Vereins würden
die Adligen schon etwas weniger extrem machen. Allein dafür ist gar keine
Hoffnung vorhanden. Einzig der Bürgermeister Heinrich von Borna und der
Hofrath Ackermann in Dresden haben unter diesen sechs Herren mitunter das
Bedürfniß, etwas liberal zu schillern. Aber auch sie haben sich „unter Beiseite¬
setzung aller untergeordneten Meinungsschattirungen" wie die Uebrigen dem
Programm des Vereines angeschlossen, und wir werden gleich sehen, wie weit
dieses Opfer des Intellekts bei Ackermann geht. Jedenfalls genügt die ober¬
flächlichste Bekanntschaft mit der politischen Vergangenheit und dem Tempera¬
ment des Kammerherren von Zehner und Genossen, um sie durchaus erhaben
zu halten über den Verdacht, daß sie unter der „Beiseitesetzung aller unterge.
ordneter Meinungsschattirungen" etwa die Preisgebung jener junkerlichen und
Particularistischen Velleitäten verstehen sollten, für die sie ihr Leben lang mit
äußerster Energie gekämpft haben. Statt der Bekämpfung „aller extremen
Richtungen" haben wir demnach vom sog. „Conservativen Verein" lediglich die
Agitation für junkerliche Interessen und eine von der Weltgeschichte längst
verurtheilte politische Anschauung zu erwarten. Hierzu wird sich hoffentlich kein
unabhängiger, vernünftig denkender sächsischer Wähler mißbrauchen lassen.

Um sich ein höheres Relief zu geben, stellt der Vorstand des Conservativen
Vereins weiter die Behauptung auf, „er betrachte sich als ein Glied der
großen conservativen Partei im deutschen Reiche". Wenn es hieße, daß der
Vorstand ein Glied dieser „großen conservativen Partei" sei, würden wir
sagen müssen: er lügt. So aber können wir uns milder dahin ausdrücken:
er sagt eine bewußte Unwahrheit. Denn man kann sich doch nur dann als
Glied eines Körpers betrachten, wenn dieser Körper existirt. Die Herren vom
Vorstand wissen aber sehr genau, daß „eine große conservative Partei" im
deutschen Reiche nirgends existirt. In Preußen beanspruchen den Namen „con-
servativ" drei Parteien, die einander durchaus fremd sind: die junkerliche Oppo-
sition der Kreuzzeitungspartei, die Freiconservativen und die eben erst in der
Bildung begriffene Vereinigung der Männer von alteonservativem Schrot
und Korn, welche in den schweren Kämpfen der Zeit sich um König und
Kanzler schaaren wollen. Warum sagen uns die Herren von Zehner und
Genossen nicht, welcher „großen conservativen Partei" in Preußen ihre Herzen
am verwandtesten schlagen? Etwa der Kreuzzeitungspartei? Denn die Frei-
und Neuconservativen Preußens würden einen Bruderbund mit dem conser¬
vativen sächsischem Verein bei einem solchen Programm jedenfalls weit von sich
weisen. Herr von Zehner hat ja in dieser Hinsicht aus der Zeit seines
Debüts unter den Freiconservativen im norddeutschen Reichstag persönliche Er¬
fahrungen gesammelt. In Baiern, Württemberg. Baden, Hessen giebt es
überhaupt keine conservative Partei. In den thüringischen Staaten und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134177"/>
          <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> wenden: die sechs Bürgerlichen im Vorstand des konservativen Vereins würden<lb/>
die Adligen schon etwas weniger extrem machen. Allein dafür ist gar keine<lb/>
Hoffnung vorhanden. Einzig der Bürgermeister Heinrich von Borna und der<lb/>
Hofrath Ackermann in Dresden haben unter diesen sechs Herren mitunter das<lb/>
Bedürfniß, etwas liberal zu schillern. Aber auch sie haben sich &#x201E;unter Beiseite¬<lb/>
setzung aller untergeordneten Meinungsschattirungen" wie die Uebrigen dem<lb/>
Programm des Vereines angeschlossen, und wir werden gleich sehen, wie weit<lb/>
dieses Opfer des Intellekts bei Ackermann geht. Jedenfalls genügt die ober¬<lb/>
flächlichste Bekanntschaft mit der politischen Vergangenheit und dem Tempera¬<lb/>
ment des Kammerherren von Zehner und Genossen, um sie durchaus erhaben<lb/>
zu halten über den Verdacht, daß sie unter der &#x201E;Beiseitesetzung aller unterge.<lb/>
ordneter Meinungsschattirungen" etwa die Preisgebung jener junkerlichen und<lb/>
Particularistischen Velleitäten verstehen sollten, für die sie ihr Leben lang mit<lb/>
äußerster Energie gekämpft haben. Statt der Bekämpfung &#x201E;aller extremen<lb/>
Richtungen" haben wir demnach vom sog. &#x201E;Conservativen Verein" lediglich die<lb/>
Agitation für junkerliche Interessen und eine von der Weltgeschichte längst<lb/>
verurtheilte politische Anschauung zu erwarten. Hierzu wird sich hoffentlich kein<lb/>
unabhängiger, vernünftig denkender sächsischer Wähler mißbrauchen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Um sich ein höheres Relief zu geben, stellt der Vorstand des Conservativen<lb/>
Vereins weiter die Behauptung auf, &#x201E;er betrachte sich als ein Glied der<lb/>
großen conservativen Partei im deutschen Reiche". Wenn es hieße, daß der<lb/>
Vorstand ein Glied dieser &#x201E;großen conservativen Partei" sei, würden wir<lb/>
sagen müssen: er lügt. So aber können wir uns milder dahin ausdrücken:<lb/>
er sagt eine bewußte Unwahrheit. Denn man kann sich doch nur dann als<lb/>
Glied eines Körpers betrachten, wenn dieser Körper existirt. Die Herren vom<lb/>
Vorstand wissen aber sehr genau, daß &#x201E;eine große conservative Partei" im<lb/>
deutschen Reiche nirgends existirt. In Preußen beanspruchen den Namen &#x201E;con-<lb/>
servativ" drei Parteien, die einander durchaus fremd sind: die junkerliche Oppo-<lb/>
sition der Kreuzzeitungspartei, die Freiconservativen und die eben erst in der<lb/>
Bildung begriffene Vereinigung der Männer von alteonservativem Schrot<lb/>
und Korn, welche in den schweren Kämpfen der Zeit sich um König und<lb/>
Kanzler schaaren wollen. Warum sagen uns die Herren von Zehner und<lb/>
Genossen nicht, welcher &#x201E;großen conservativen Partei" in Preußen ihre Herzen<lb/>
am verwandtesten schlagen? Etwa der Kreuzzeitungspartei? Denn die Frei-<lb/>
und Neuconservativen Preußens würden einen Bruderbund mit dem conser¬<lb/>
vativen sächsischem Verein bei einem solchen Programm jedenfalls weit von sich<lb/>
weisen. Herr von Zehner hat ja in dieser Hinsicht aus der Zeit seines<lb/>
Debüts unter den Freiconservativen im norddeutschen Reichstag persönliche Er¬<lb/>
fahrungen gesammelt. In Baiern, Württemberg. Baden, Hessen giebt es<lb/>
überhaupt keine conservative Partei.  In den thüringischen Staaten und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] wenden: die sechs Bürgerlichen im Vorstand des konservativen Vereins würden die Adligen schon etwas weniger extrem machen. Allein dafür ist gar keine Hoffnung vorhanden. Einzig der Bürgermeister Heinrich von Borna und der Hofrath Ackermann in Dresden haben unter diesen sechs Herren mitunter das Bedürfniß, etwas liberal zu schillern. Aber auch sie haben sich „unter Beiseite¬ setzung aller untergeordneten Meinungsschattirungen" wie die Uebrigen dem Programm des Vereines angeschlossen, und wir werden gleich sehen, wie weit dieses Opfer des Intellekts bei Ackermann geht. Jedenfalls genügt die ober¬ flächlichste Bekanntschaft mit der politischen Vergangenheit und dem Tempera¬ ment des Kammerherren von Zehner und Genossen, um sie durchaus erhaben zu halten über den Verdacht, daß sie unter der „Beiseitesetzung aller unterge. ordneter Meinungsschattirungen" etwa die Preisgebung jener junkerlichen und Particularistischen Velleitäten verstehen sollten, für die sie ihr Leben lang mit äußerster Energie gekämpft haben. Statt der Bekämpfung „aller extremen Richtungen" haben wir demnach vom sog. „Conservativen Verein" lediglich die Agitation für junkerliche Interessen und eine von der Weltgeschichte längst verurtheilte politische Anschauung zu erwarten. Hierzu wird sich hoffentlich kein unabhängiger, vernünftig denkender sächsischer Wähler mißbrauchen lassen. Um sich ein höheres Relief zu geben, stellt der Vorstand des Conservativen Vereins weiter die Behauptung auf, „er betrachte sich als ein Glied der großen conservativen Partei im deutschen Reiche". Wenn es hieße, daß der Vorstand ein Glied dieser „großen conservativen Partei" sei, würden wir sagen müssen: er lügt. So aber können wir uns milder dahin ausdrücken: er sagt eine bewußte Unwahrheit. Denn man kann sich doch nur dann als Glied eines Körpers betrachten, wenn dieser Körper existirt. Die Herren vom Vorstand wissen aber sehr genau, daß „eine große conservative Partei" im deutschen Reiche nirgends existirt. In Preußen beanspruchen den Namen „con- servativ" drei Parteien, die einander durchaus fremd sind: die junkerliche Oppo- sition der Kreuzzeitungspartei, die Freiconservativen und die eben erst in der Bildung begriffene Vereinigung der Männer von alteonservativem Schrot und Korn, welche in den schweren Kämpfen der Zeit sich um König und Kanzler schaaren wollen. Warum sagen uns die Herren von Zehner und Genossen nicht, welcher „großen conservativen Partei" in Preußen ihre Herzen am verwandtesten schlagen? Etwa der Kreuzzeitungspartei? Denn die Frei- und Neuconservativen Preußens würden einen Bruderbund mit dem conser¬ vativen sächsischem Verein bei einem solchen Programm jedenfalls weit von sich weisen. Herr von Zehner hat ja in dieser Hinsicht aus der Zeit seines Debüts unter den Freiconservativen im norddeutschen Reichstag persönliche Er¬ fahrungen gesammelt. In Baiern, Württemberg. Baden, Hessen giebt es überhaupt keine conservative Partei. In den thüringischen Staaten und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/359>, abgerufen am 26.06.2024.